Von „unverrückbar“ zu „reformierbar“ - CDU und die Schuldenbremse nach der Wahl
Die CDU hat sich in der Vergangenheit als eiserner Verfechter der Schuldenbremse präsentiert – doch nach der Bundestagswahl scheinen die Positionen zu wanken. Plötzlich sind Verhandlungen über neue Sondervermögen und eine mögliche Umgehung der Schuldenbremse im Gange. Ist das ein pragmatischer Kurswechsel oder ein politischer Wortbruch? Eine Analyse.

Die Union hat die Bundestagswahl mit 28,5 Prozent gewonnen.
Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images
„An der grundgesetzlichen Schuldenbremse festhalten. Sie stellt sicher, dass Lasten nicht unseren Kindern und Enkeln aufgebürdet werden. Sie verpflichtet die Politik, mit den Einnahmen auszukommen, die für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Verfügung stehen, und sichert so die dauerhafte Tragfähigkeit des Bundeshaushalts. Auch in Krisenzeiten hat sie ihre Funktionsfähigkeit und Flexibilität bewiesen.
Schuldenbremse benötigt Bremswirkung
Friedrich Merz: Keine Rechtfertigung zur Lockerung der Schuldenbremse
„Die Bundesregierung wird von uns jedenfalls keine Zustimmung bekommen, wenn sie ernsthaft vorschlagen sollte, die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu lockern. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung.“
Rolle-Rückwärts im November letzten Jahres
Weiter führte Merz aus: „Wenn das Ergebnis jedoch wäre, dass es Investitionen fördert, den Fortschritt vorantreibt und die Lebensgrundlage unserer Kinder sichert, dann könnte die Antwort anders ausfallen.“
Schnell versuchte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die Äußerungen seines Parteichefs wieder einzufangen. In der Sendung „Maybrit Illner“ sagte Linnemann: „Mit uns gibt es keine Veränderung im Bund an der Schuldenbremse, weil das unsere tiefe Überzeugung ist.“
Sondervermögen ja – keine schnelle Reform der Schuldenbremse
Nach der Wahl scheint nun aber vieles anders zu sein. Zumindest scheinen Union und SPD schon jetzt im Hintergrund darüber zu verhandeln, wie man die Schuldenbremse in Zukunft umgehen kann. Der „Deutschlandfunk“ beruft sich auf Informationen der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. Demnach führen Vertreter von Union und SPD Gespräche über einen zusätzlichen Etat in Höhe von bis zu 400 Milliarden Euro, um die Wehrfähigkeit zu stärken. Diskutiert wird auch über eine Reform der Schuldenbremse.
Letzteres hatte Merz allerdings ausgeschlossen. Wie der Fernsehsender MDR Merz zitiert, ist zumindest zeitnah eine Reform der Schuldenbremse nicht zu erwarten. „Es ist in der naheliegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren“, sagte Merz laut MDR vor einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Das ist, wenn es überhaupt stattfindet, eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit, die da zu leisten ist.“
Was das Sondervermögen für Wehrausgaben betrifft, da gibt sich die Union offen, dieses schnell auf den Weg zu bringen. Nach den Worten ihres haushaltspolitischen Sprechers Christian Haase sei seine Fraktion offen für die Einführung eines neuen Sondervermögens für die Bundeswehr oder für eine deutliche Aufstockung des bestehenden 100-Milliarden-Topfes im Grundgesetz. „In der Unionsfraktion gibt es grundsätzlich die Bereitschaft für ein neues oder ein deutlich höheres Bundeswehr-Sondervermögen“, sagte Haase der „Rheinischen Post“.
„Wir müssen uns schneller selbst verteidigen können. Deshalb könnte es Sinn machen, das Sondervermögen kurzfristig noch mit der Zwei-Drittel-Mehrheit des alten Bundestags zu beschließen.“ Dafür müsste man sich zeitnah mit SPD, FDP und Grünen einigen. „Wir würden damit genau das erfüllen, was SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius immer gefordert hat“, sagte der Haushaltsexperte.
Haase warnte allerdings davor, daran, die Reform der Schuldenbremse zu knüpfen. „Wir wollen im Augenblick nicht über eine Reform der Schuldenbremse reden. Denn wir brauchen erst mal einen Kassensturz“, so der CDU-Politiker. Dieser bestimme dann den Finanzrahmen für die nächsten Jahre.
Es geht aber offenbar nicht nur um ein Sondervermögen für die Bundeswehr von bis zu 400 Milliarden Euro. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten, haben vier Top-Ökonomen inzwischen ein Konzept vorgelegt, dass zusätzlich zum Verteidigungssondervermögen, ein Sondervermögen von weiteren 400 bis 500 Milliarden für dringliche Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur vorschlägt. Die Union und SPD wollen diese Zahlen zunächst nicht bestätigen und verwiesen auf die Vertraulichkeit der Sondierungsgespräche. In einem „Welt-Interview“ dementierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: „Ich kenne diese Zahlen nicht.“
Ein Sondervermögen im Bundeshaushalt ist ein zweckgebundenes Finanzierungsinstrument, das außerhalb des regulären Haushalts geführt wird. Es dient dazu, bestimmte Ausgaben zu finanzieren, ohne die Schuldenbremse oder die normale Haushaltsplanung direkt zu belasten. In der Realität bedeuten diese Schattenhaushalte, dass die Schuldenbremse hier direkt umgangen wird.
Bundesbank fordert schon länger Reform der Schuldenbremse
Die Bundesbank forderte bereits 2022 eine Lockerung der Schuldenbremse, da solide Staatsfinanzen auch mit einer moderat höheren Kreditaufnahme gewährleistet werden könnten. Seit der Einführung der Schuldenbremse 2011 sank die deutsche Schuldenquote laut „Statista“ von über 80 auf 63 Prozent – eine der niedrigsten Quoten weltweit.
Die Bundesbank schlägt eine Reform vor, die die zulässige Kreditaufnahme an die Schuldenquote koppelt. Liegt diese unter 60 Prozent, könnte der Staat bis zu 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an Krediten aufnehmen. Zwischen 60 und 90 Prozent wären 0,5 Prozent erlaubt, während ab einer Schuldenquote von 90 Prozent die bisherige Grenze von 0,35 Prozent des BIP bestehen bliebe.
Um Missbrauch zu verhindern, fordern Fachleute klare Grenzen: Kredite dürften ausschließlich für wirtschaftlich sinnvolle Zukunftsinvestitionen genutzt werden, eine feste Obergrenze solle unkontrollierte Verschuldung vermeiden, ein unabhängiges Kontrollgremium die Kreditvergabe überwachen und Tilgungspläne eine langfristige Rückzahlung sichern.
Tobias Hentze, Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) schlägt vor, eine Mindestquote für Investitionen aus Steuermitteln festzulegen. Diese garantiere, dass Kredite nicht zur Finanzierung des regulären Haushalts missbraucht werden. Das Institut schlägt weiter eine Mindestquote für Investitionen aus Steuermitteln vor, um eine Zweckentfremdung der Kredite zu verhindern.
Union wusste: Schuldenbremse bremst
Der Union scheint auch schon länger klar zu sein, dass die Schuldenbremse ein Hemmschuh der Regierungspolitik ist. Hatte man sich in der Öffentlichkeit auch immer gegen eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen, scheint es hinter vorgehaltener Hand andere Töne gegeben zu haben. Das legt zumindest ein Tweet der Bundestagsabgeordneten Ricarda Lang (Grüne) auf X nahe.
Lang schreibt dort:
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