Wer hat die Milliarden veruntreut?

Drei Top-Manager des insolventen DAX-Unternehmens Wirecard müssen sich seit dem Morgen des 8. Dezember vor dem Münchener Landgericht verantworten. Die beiden Hauptangeklagten weisen sich gegenseitig die Schuld an einem Gesamtschaden von über drei Milliarden Euro zu. Der Prozess könnte sich bis ins Jahr 2024 hinziehen. Der Fall gilt als der größte deutsche Bilanzskandal seit 1945.
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Markus Braun, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von WirecardFoto: Peter Kneffel/dpa/Archivbild/dpa
Von 8. Dezember 2022

Der Prozess gegen drei Manager des Zahlungsdienstleisters Wirecard hat am Morgen des 8. Dezember in München begonnen.

Auf der Anklagebank sitzen Ex-Vorstandschef Markus Braun, Oliver Bellenhaus, der frühere Geschäftsführer einer Wirecard-Tochterfirma in Dubai, und Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa. Ein weiterer Hauptverdächtiger, der IT-Experte und Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek, ist seit Juni 2020 auf der Flucht. Er soll sich nach dpa-Informationen in Russland aufhalten.

Die vierte Strafkammer des Landgerichts Münchner rechnet nach dpa-Informationen mit rund 100 Prozesstagen. Ort der Verhandlung ist ein unterirdischer Hochsicherheitstrakt nahe der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Der Anklagesatz ist laut dpa 89 Seiten lang. Dem Hauptangeklagten Braun drohten im Fall einer Verurteilung 15 Jahre Haft.

Größter Finanzskandal seit 1945

Den Angeklagten wird u. a. gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vorgeworfen. Kreditgebern soll nach Einschätzung der dpa dadurch ein Gesamtschaden in Höhe von 3,1 Milliarden Euro entstanden sein. Allein Privatanleger hätten Werte in Höhe von 1,9 Milliarden verloren. Die tagesschau geht davon aus, dass 20 Milliarden Euro an Vermögen vernichtet wurden.

Der Skandal war am 18. Juni 2020 aufgeflogen. Damals hatte der Wirecard-Vorstand mutmaßliche Scheinbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zugegeben. Eine Woche später meldete das Unternehmen Insolvenz an. Der Verbleib des Geldes ist unklar.

Der Fall gilt als der größte Bilanzskandal der in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Über drei Milliarden Euro Schaden – das wäre nach Informationen der dpa die höchste Summe, die eine kriminelle Gruppe nach 1945 je beiseite geschafft hätte. Nie zuvor habe ein Vorstandschef eines ehemaligen Dax-Konzerns unter dem Verdacht gestanden, gemeinsam mit weiteren Führungskräften eine solche „Betrügerbande“ gebildet zu haben. Strittig sei nicht, dass es kriminelle Machenschaften bei Wirecard gegeben habe, sondern lediglich, wer dafür die Verantwortung trage.

Bellenhaus gegen Braun

Nach Informationen des Handelsblatts wird damit gerechnet, dass der gebürtige Hofer Oliver Bellenhaus als Kronzeuge gegen den Hauptangeklagten Markus Braun auftreten wird. Bellenhaus‘ Verteidiger Florian Eder habe bereits angekündigt, dass sein Mandant ein Geständnis über seine Rolle ablegen werde. Bereits in der U-Haft habe Bellenhaus zu Protokoll gegeben, in Dubai eine Art Fälscherwerkstatt betrieben zu haben. Der Hauptverantwortliche im Sinn der Anklage sei aus Sicht von Bellenhaus aber Braun.

Braun, 53, gebürtiger Österreicher, sieht die Verantwortung dagegen bei anderen Wirecard-Mitarbeitern – vor allem bei seinem untergetauchten Ex-Vertrauten Jan Marsalek und bei Bellenhaus selbst. Der Schaden sei ohne sein Wissen und Zutun entstanden, beteuerte Braun in seiner zweieinhalbjährigen Untersuchungshaft. Seine Strafverteidigung hat nach Handelsblatt-Informationen der Wiesbadener Rechtsprofessor Alfred Dierlamm übernommen.

Ex-Buchhalter psychisch erkrankt?

Beim dritten Angeklagten handelt es sich um den früheren Wirecard-Chefbuchhalter Stephan Egilmar Hartmann Freiherr von Erffa (48). Der gebürtige Kenianer werde nach Informationen der dpa voraussichtlich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Im Rahmen der Ermittlungen habe von Erffa bereits vor Monaten zugegeben, die Autorisierung eines Geldflusses von 50 Millionen Euro an einem privaten Computer gefälscht zu haben, berichtet das Handelsblatt. Das Gericht beabsichtige, die Ärzte Norbert Nedopil und Kolja Schiltz als Sachverständige zu bestellen, um von Erffas psychischen Gesundheitszustand zu beurteilen. Von Erffa werde in München von der Strafverteidigerin Sabine Stetter und seinem Medienanwalt Gero Himmelsbach vertreten.

Ob von Erffa zurechnungsfähig ist, ist unklar. Benjamin Schorn, Experte für Wirtschaftskriminalität, geht in einem Interview mit der Wirtschaftswoche davon aus, dass „bis zu sechs Prozent der Menschen im Top-Management Psychopathen“ sind. Schorn hatte bei der Prüfgesellschaft KPMG geholfen, den Wirecard-Skandal aufzuklären.

Nach Informationen des Handelsblatts könnte Andrea Görres, die ehemalige Chefjuristin von Wirecard, als Belastungszeugin gegen Braun auftreten. Als weitere Zeugen würden wohl Rainer Wexeler, Finanzvorstand der Wirecard Bank, und Insolvenzverwalter Michael Jaffé in den Zeugenstand gerufen.

Absturz eines Vorzeigeunternehmens

Sinn und Zweck der Wirecard AG mit Hauptsitz in Aschheim war es, elektronische Zahlungen zwischen Kreditkartenfirmen und Einzelhändlern und sonstigen Verkäufern abzurechnen. Das DAX-Unternehmen war 1999 gegründet worden. Es galt vielen Kleinanlegern lange Zeit als Garant für gute Renditen.

[Mit Informationen von Agenturen]

Anmerkung der Redaktion: Im vorstehenden Fall handelt es sich lediglich um einen Verdacht. Unsere Redaktion folgt dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Ob und in welchem Rahmen eine tatsächliche Schuld o. g. Akteure besteht, ist gerichtlich festzustellen.



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