Reaktionen auf die „Reichsbürger-Razzia“

Offizielle Stellen und Extremismus-Experten verbuchen die Großrazzia gegen die „Reichsbürgerszene" vom 7. Dezember als großen Erfolg. Die Zahl der Haftbefehle steigt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant, das Disziplinarrecht zu ändern. Für die Linken-Politikerin Martina Renner wirkt das Ereignis „wie eine PR-Aktion".
Polizeibeamte während einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» in Frankfurt.
Blaulicht auf einem Polizei-Einsatzwagen.Foto: Stadtratte/iStock
Von 8. Dezember 2022

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Nach der mit 3.000 Sicherheitsbeamten groß angelegten, grenzüberschreitenden „Reichsbürger-Razzia“ vom 7. Dezember sind inzwischen 19 Haftbefehle ausgestellt worden. Das berichtet die Zeitung „Welt“ unter Verweis auf einen Sprecher des Generalbundesanwaltes. Im Laufe des Donnerstags könnten weitere Beschuldigte einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.

Faeser will Disziplinarrecht ändern

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geht davon aus, dass die Razzia „wohl erst der Anfang“ von Ermittlungen gewesen sei. „Da wird es mit Sicherheit noch Kontaktpersonen geben“, sagte sie am Abend im ARD-Talkomat „Maischberger“. Die eigentliche Arbeit der Sicherheitsbehörden fange gerade erst an. Das sicher gestellte Beweismaterial werde zu neuen Erkenntnissen führen. Weil einige der Verdächtigen dem Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) angehörten, plane sie, das Disziplinarrecht zu verändern, „damit wir solche Verfassungsfeinde schneller loswerden.“ Faeser glaubt, dass auch die Corona-Krise eine Rolle bei der Radikalisierung gespielt habe.

Der Terrorismus-Experte und Gründer des International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) in London, Peter R. Neumann, sieht das ähnlich. „Durch die Mobilisierung gegen die Corona-Maßnahmen ist eine extreme Bewegung entstanden“, sagte er im Interview mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND). „Reichsbürger“ hätten „die Möglichkeit bekommen, sich mit anderen Gruppen zu vernetzen, so etwa ‚Querdenker‘, AfD-Anhänger und andere Rechtsextreme.“ Im Rechtsextremismus sehe er „die größte terroristische Bedrohung in Deutschland.“ „Innerhalb dieser Szene“ seien „die Reichsbürger aktuell die aggressivsten“, sagte Neumann. Er halte es für realistisch, dass die Gruppierung auch „extrem brutale Angriffe auch auf die ‚kritische Infrastruktur‘ verüben könnte, um eine Krise in Deutschland auszulösen.“

Vorbereitungen „relativ weit vorangeschritten“

Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank, der Leiter der Ermittlungen, verteidigte im „ARD-Brennpunkt“ vom 7. Dezember den Zeitpunkt der Zugriffe. In der „Reichsbürgerszene“ sei „jederzeit auch mit einem gewaltsamen Widerstand, auch unter Schusswaffengebrauch gegen Polizeibeamte und Sicherheitskräfte zu rechnen“. Er sei „froh, dass alles reibungslos und ohne besondere Vorkommnisse über die Bühne“ gegangen sei. Die „Vorbereitungen für eine terroristische Vereinigung“ mithilfe eines „militärischen Arms“, der über Angehörige der Bundeswehr „Heimatschutzkompanien“ organisieren sollte, seien bereits „relativ weit vorangeschritten“ gewesen. Ein „konkretes Datum“, an dem die Gruppierung hätte zuschlagen wollen, sei aber nicht festgestellt worden, so Frank. „Wir gehen davon aus, dass die Personen in der Vereinigung fest entschlossen waren und auch ganz sicher waren, etwas zu tun.“

Waffenfunde

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, korrigierte im „ZDF heute-journal“ die bislang veröffentlichten Zahlen rund um die Razzia nach oben: Bis zum Abend des 7. Dezember habe es 150 Durchsuchungen und 54 Beschuldigte gegeben. Er gehe davon aus, dass es in den nächsten Tagen weitere Beschuldigte und Durchsuchungen geben werde. Die Beweisaufnahme solle Erkenntnisse darüber liefern, wie weit die Planungen für einen Umsturz vorangekommen seien. Außerdem könnten die Beweise dabei helfen, „Personen aus dem Staatsdienst zu entfernen“. In rund 50 Objekten seien Waffen gefunden worden – „von der Armbrust und der Steinschleuder bis hin zur Pistole und zur Langwaffe, und auch Munition.“ Deshalb habe man auch so viele Sicherheitskräfte eingesetzt.

Nach Informationen von Alexander Dinger, Investigativreporter der „Welt“, sei bei der „in diesem Spektrum größten Razzia, die es je gegeben“ habe, bislang nicht „das große Schusswaffenarsenal“ gefunden worden. Nach Gesprächen mit Experten gehe er davon aus, dass „das Unterstützernetzwerk natürlich viel größer“ sei.

Seit Frühjahr im Visier des Verfassungsschutzes

Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, erklärte in einem „ZDF spezial“ am Abend, dass die Sicherheitsbehörden die „gewaltorientierte Gruppe“ bereits seit dem Frühjahr 2022 beobachtet habe. Deutsche Sicherheitsbehörden hätten die Situation „jederzeit unter Kontrolle“ gehabt. Die Razzia sei „schon ein starker Schlag gegen diese militante Gruppe der Reichsbürger und Selbstverwalter“ gewesen. In Deutschland gehe man von 21.000 Anhängern aus. Im vergangenen Jahr habe es „mehr als tausend Straftaten aus dieser Gruppe“ gegeben. Viele besäßen legale oder illegale Waffen. Von daher sei auch in diesem Fall „äußerste Vorsicht geboten“ gewesen – „zumal eben auch einige der Verhafteten aus der Bundeswehr kamen, aus Spezialeinheiten der Bundeswehr kamen“.

Nach Einschätzung der Amadeu-Antonio-Stiftung ist die Reichsbürgerszene in Deutschland zu lange unterschätzt worden. Es habe in den vergangenen Jahren immer wieder deutliche Zeichen dafür gegeben, dass die Anhänger gewaltbereit seien und offenbar auch organisiert, sagte Extremismusforscher Lorenz Blumenthaler in einem Interview mit der Zeitschrift „Stern“.

Wussten Pressevertreter seit Tagen Bescheid?

Martina Renner, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linken-Fraktion im Bundestag, sagte auf ntv.de, dass manche Pressevertreter schon seit zwei Wochen Bescheid darüber gewusst hätten, dass es zu der Aktion kommen würde. Sie selbst habe schon seit „Mitte letzter Woche“ davon gewusst. „Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs“, so Renner. Das Ganze wirke auf sie „wie eine PR-Aktion“. Es sei möglicherweise darum gegangen, zu zeigen, „dass die Politik nicht nur Aktionspläne gegen rechts verabschiedet, sondern gegen die Terrorgefahr auch erfolgreich vorgeht.“ Wer auch immer die Daten über diesen Eingriff so offen gestreut habe, habe damit die Einsatzkräfte gefährdet, kritisierte Renner.

Hintergrund

Spezialeinheiten von Bund und Ländern hatten am frühen Morgen des 7. Dezember eine groß angelegte Razzia im grenzüberschreitenden Reichsbürgermilieu durchgeführt. Einige Dutzend Angehörige sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Bis zum Abend wurden 25 Personen festgenommen. Es besteht der Verdacht auf Bildung einer terroristischen Vereinigung.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion