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Altersarmut droht

Rentenpolitik spaltet Regierung und Öffentlichkeit gleichermaßen

Die Rentenfrage wird für die schwarz-rote Koalition zunehmend zum Stresstest. In der Union wächst der Widerstand gegen die vereinbarte Haltelinie, während SPD und Kanzler auf Verlässlichkeit pochen. Der Konflikt reicht längst über technische Details hinaus – er rührt am Fundament der Generationengerechtigkeit.

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Bundeskanzler Merz und JU-Chef Winkel. Beim Thema Rente liegen sie auseinander.

Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

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Lesedauer: 9 Min.


In Kürze:

  • Widerstand gegen die Haltelinie wächst, während Kanzler Merz und die SPD am Koalitionskurs festhalten.
  • Das Rentenpaket soll noch in diesem Jahr beschlossen werden.
  • Umfragen zeigen Sorge um Belastung der Jüngeren; Kritik von Jusos und Junge Union.

 
Der Rentenstreit in der Union entwickelt sich zunehmend zur Belastungsprobe für die schwarz-rote Koalition. Während Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die SPD-Spitze auf den im Koalitionsvertrag vereinbarten Kurs pochen, formiert sich vor allem in den Reihen der Union wachsender Widerstand gegen die geplante Sicherung des Rentenniveaus.
Die Auseinandersetzung, die zunächst als Detailfrage der Haltelinie begann, hat sich binnen weniger Wochen zu einer Grundsatzdebatte über Generationengerechtigkeit, Verlässlichkeit und die künftige Architektur der Alterssicherung ausgeweitet.
Die politische Sprengkraft, die der schwarz-roten Koalition im Moment so gefährlich wird, hängt an einem einzigen Satz: „Auch nach 2031 liegt das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht.“ Diese Formulierung steht im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), der zum großen Rentenpaket gehört, das der Bundestag eigentlich noch in diesem Jahr verabschieden soll.

Druck auf Koalition nimmt zu

Das Paket sieht vor, dass das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent stabilisiert wird, anstatt ab 2029 schrittweise zu sinken. Das Rentenniveau bemisst das Verhältnis zwischen der Rente eines Standard-Rentners (45 Beitragsjahre) und dem Durchschnittslohn.
Kritiker warnen, dass das Niveau ohne die Stabilisierung bis 2031 auf etwa 47 Prozent sinken könnte. Die Aktivrente soll ab dem 1. Januar 2026 einen Steuerfreibetrag von bis zu 2.000 Euro pro Monat für Beschäftigte über der Regelaltersgrenze gewähren.

Söder fordert rasche Einigung und warnt vor „Basta“ der SPD

CSU-Chef Markus Söder drängt auf ein baldiges Ende des Koalitionsstreits. Der öffentliche Schlagabtausch schade der Regierung, sagte er nach der Klausurtagung des CSU-Vorstands in München. Eine Lösung müsse rasch gefunden werden, allerdings nur auf Grundlage des Koalitionsvertrags. „Das ‚Basta‘ der SPD geht auch nicht so einfach“, betonte er. Entscheidend sei, dass die Reform jungen Menschen eine echte Perspektive biete und Kompromisse nicht auf deren Kosten zustande kämen.

Damit verweist Söder auf den Kern des Konflikts: Vor allem jüngere Unionsabgeordnete lehnen den Gesetzentwurf ab, weil durch die Verlängerung der Haltelinie bis 2031 nicht nur das Rentenniveau stabilisiert, sondern auch das Ausgangsniveau für die Zeit danach erhöht würde. Für eine eigene Bundestagsmehrheit ist die Koalition auf genau diese Abgeordneten angewiesen.

Rückendeckung für den Kanzler

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker, rentenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, hat sich deutlich hinter Bundeskanzler Friedrich Merz gestellt. Dieser hatte vor einem „Unterbietungswettbewerb“ beim Rentenniveau gewarnt. „Der Kanzler hat mit seiner Analyse recht“, sagte Whittaker dem „Tagesspiegel“. Er betonte, es gehöre zum christdemokratischen Politikverständnis, „dass sich Leistung lohnen muss – das gilt nicht nur für die Phase der Arbeit, sondern auch die der Rente“.
Whittaker warnte zugleich vor verfassungsrechtlichen Problemen, sollte der Abstand zwischen Rente und Grundsicherung weiter schrumpfen. Die gesetzliche Rente zwinge Beitragszahler zu einer Abgabe – dies sei nur tragbar, wenn am Ende auch ein spürbarer Mehrwert gegenüber der Grundsicherung besteht. „Wenn der Staat dieses Versprechen nicht mehr halten kann, wird Karlsruhe uns die gesamte Rente um die Ohren hauen.“

Konflikt in der Union – Junge Gruppe fordert Neuverhandlung

Schärfere Kritik richtete Whittaker an die sogenannte Junge Gruppe der Unionsfraktion, die sich gegen die im Koalitionsvertrag verankerte Haltelinie stellt. „Es ist nicht richtig, dass der vorliegende Entwurf nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt wäre.“ Die Forderungen der Nachwuchspolitiker zielten auf eine neue Rechtslage. Diese sei jedoch nie vereinbart worden.
Die Junge Union hält dagegen und fordert weiterhin Änderungen am Gesetzentwurf. Ihr Vorsitzender Johannes Winkel beklagte gegenüber der „Bild“-Zeitung, es könne nicht sein, dass frei gewählten Abgeordneten faktisch untersagt werde, Änderungen einzubringen. Eine Abstimmung ohne Anpassungen berge das Risiko eines Scheiterns – mit womöglich weitreichenden politischen Folgen.

SPD setzt auf Geschlossenheit und warnt vor Altersarmut

SPD-Chef Lars Klingbeil wies Befürchtungen zurück, der Streit könne die Koalition gefährden. „Es gibt in der Spitze dieser Koalition keinen Dissens“, sagte er und verwies auf die gemeinsame Linie mit dem Kanzler. Zugleich betonte er, die Reform müsse härter arbeitenden Menschen eine verlässliche Alterssicherung bieten.
Auch Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger sprach von einer „guten Lösung“, die auf dem Tisch liege. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas warnte im „Tagesspiegel“ vor den Folgen eines sinkenden Rentenniveaus: „Wenn das Rentenniveau sinkt, werden die Rentner im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung ärmer.“
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch erhöhte zusätzlich den Druck auf die Union. Die Haltelinie sei Teil des SPD-Mitgliederentscheids gewesen, ein Zurück könne es deshalb nicht geben, sagte er den Zeitungen der Bayerischen Mediengruppe. „Eine Koalition funktioniert nur, wenn wir uns aufeinander verlassen können.“ Miersch stellte zudem weitergehende Reformen in Aussicht – bis hin zur möglichen Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung.

Komplexe Mehrheitsfrage im Bundestag

Da die Koalition für den Rentenbeschluss auf die Stimmen aller eigenen Abgeordneten angewiesen ist, kommt den jüngeren CDU/CSU-Parlamentariern erhebliche Bedeutung zu. Verkehrsminister Patrick Schnieder appellierte daher an die eigene Fraktion, das Paket mitzutragen. „Unter realen Bedingungen einer Regierung muss man Kompromisse eingehen“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
CSU-Chef Söder warf seinerseits Spekulationen über ein Zerbrechen der Koalition oder eine Minderheitsregierung zurück. „Minderheitsregierungen sind ein absurdes Hirngespinst“. Notwendig sei vielmehr „Tempo, Tempo, Tempo“ bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen.

Generationenkonflikt verschärft öffentliche Wahrnehmung

Das ZDF-„Politbarometer“ zeigt, wie umstritten die Rentenpolitik in der Bevölkerung ist. 71 Prozent der Befragten meinen, die Politik gehe zu stark zulasten der Jüngeren – darunter auch 62 Prozent der über 60-Jährigen. Beim konkret vorliegenden Gesetzentwurf zeigen sich die Meinungen allerdings geteilt: 46 Prozent sprechen sich dafür aus, das Rentenniveau von 48 Prozent über 2031 hinaus zu verstetigen, 43 Prozent lehnen dies ab.
Zugleich nehmen 61 Prozent die CDU, 54 Prozent auch die SPD als zerstritten wahr. Insgesamt bescheinigen 59 Prozent der Regierung eine eher schlechte Arbeit.

Jusos fordern höheres Niveau – Grüne schließen Zustimmung aus

Während Union und SPD um ihren Kompromiss ringen, drängt der SPD-Nachwuchs in die entgegengesetzte Richtung: Die Jusos fordern im Initiativantrag „Unser Sozialleistungskonzept – einmal hin, alles drin“ für den Bundeskongress am kommenden Wochenende, das Rentenniveau wieder auf 53 Prozent anzuheben. Die derzeitige Durchschnittsrente liege nur knapp über der Armutsgrenze, heißt es in ihrem Antrag für den Bundeskongress.
Die Grünen schließen eine Zustimmung zum Rentenpaket komplett aus. „Betreutes Regieren ist jetzt vorbei. Die müssen das jetzt hinkriegen“, sagte Co-Parteichef Felix Banaszak der Bild am Sonntag mit Blick auf eine drohende Blockade des Gesetzes durch junge Abgeordnete von CDU und CSU im Bundestag. Er halte das Rentenpaket aber „in der Summe auch für falsch“.
In den kommenden Wochen muss die Koalition entscheiden, wie sie mit dem wachsenden Druck von innen und außen umgeht. Der Streit um die Haltelinie ist dabei nur ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem: Die Reformfähigkeit eines Systems, das unter demografischem Wandel, wachsender sozialer Ungleichheit und unterschiedlichen politischen Prioritäten gleichzeitig leidet.
Ob der jetzt vorliegende Gesetzentwurf am Ende Bestand hat, dürfte damit nicht nur über die Zukunft der Rentenpolitik entscheiden – sondern auch über die Stabilität der Regierung.

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