Streeck kritisiert fehlende Debattenkultur in der Corona-Politik

„Es ist enorm wichtig, dass wir anfangen, Lehren aus der Pandemie zu ziehen.“ Der Virologe Prof. Hendrik Streeck hat die Debattenkultur und die mangelhafte medizinische Datenlage in Deutschland kritisiert, die sich während der Corona-Krise offenbart hat.
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Der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck sieht eine mangelhafte Debattenkultur in Deutschland (Archivbild).Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Von 4. Februar 2023

Der Bonner Virologe Prof. Hendrik Streeck, einer der bekanntesten Experten der Corona-Krise, hat sich für eine Aufarbeitung der vergangenen drei Jahre starkgemacht. „Es ist enorm wichtig, dass wir anfangen, Lehren aus der Pandemie zu ziehen“, sagte Streeck in einem Video-Interview mit der Zeitung „Welt“.

Mit der Datenlage fängt es an

Es gehe ihm nicht darum, zu sagen, wer richtig und wer falsch gelegen habe. Wichtig sei vielmehr, sich vorzubereiten und festzuhalten, „was funktioniert, was funktioniert nicht, wo sind wir unsicher, wo brauchen wir noch Forschung?“

Die Notwendigkeit einer Aufarbeitung zeige sich ihm bereits, wenn er sich die Datenlage ansehe. Wenn man eine Maßnahme beschließe, müsse diese von Beginn an wissenschaftlich begleitet werden, forderte Streeck.

Diffamierungen statt Debattenkultur

Das Kernproblem liegt für den Forscher aber ganz woanders: „Wir merken, dass wir keine gute Debattenkultur leben“, bedauerte der Chefvirologe der Bonner Universitätsklinik. Denn der „Kernpunkt der Wissenschaft“ sei doch „eigentlich die Debatte und die Diskussion“.

Gerade in der Anfangszeit der Krise hätten Wissenschaftler, „die nicht beratend in der Regierung“ gewesen seien, genau das „immer wieder angestoßen“. „Aber da kamen dann sowohl vom Wissenschaftsjournalismus als auch von der Politik zum Teil heftige Angriffe oder sogar Diffamierungen.“ „Welt“-Chefreporter Tim Röhn sieht das ähnlich: „Man hat Narrative etabliert und jeder, der das kritisch sah, wurde angegangen“, erinnerte er sich an die drei Corona-Jahre. „Das war im Rückblick das größte Problem, dass man Kritiker auf teils infame Weise diskreditiert hat.“

Streeck sprach von „Meinungssilos“, die es von Anfang an gegeben habe. Jene, die dazu gehört hätten, hätten durchaus miteinander kommuniziert. Aber sie hätten es nicht geschafft, einen Expertenrat zusammenzubringen, der „interdisziplinär aufgestellt“ sei, kritisierte Streeck.

Streeck fordert breit gefächertes Spektrum von Wissenschaftlern

Inzwischen habe man gelernt, dass nicht nur Virologen, sondern auch „Psychologen, Soziologen, Kinderärzte, Wirtschaftsweise, vielleicht sogar Philosophen“ nötig seien, um zu einer „gesellschaftlich guten Entscheidung zu kommen“, sagte Streeck.

Für ihn sei deshalb „eine zentrale Lehre“ der Pandemie die Erkenntnis, dass man „nicht auf eine singuläre Meinung“ setzen dürfe. Man brauche vielmehr ein breit gefächertes Spektrum, „damit wir auch alle Aspekte, die in der Pandemie berührt werden, auch richtig berücksichtigen“.

Masken mal mehr, mal weniger sinnvoll

Zur Maskenpflicht vertrat der Virologe ebenfalls einen differenzierten Ansatz: Labor- oder Versuche mit Hamstern hätten gezeigt, dass Masken „das individuelle Risiko einer Infektion“ reduzierten. „Eine Maske bringt sehr wohl einen individuellen Schutz, wenn sie am richtigen Ort getragen wird und auch richtig getragen wird“, stellte Streeck klar. „Im Krankenhaus, wo zum Teil sehr schwerkranke Menschen liegen, da ist eine Maske zum Teil sehr sinnvoll“, betonte Streeck.

Problematisch aber werde der Wirkungsnachweis „auf der Bevölkerungsebene“: Es gebe keine Belege dafür, dass eine Maskenpflicht – beispielsweise im ÖPNV – einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen habe. Schon der Evaluationsbericht des Corona-Sachverständigenrats vom Sommer 2022 habe gezeigt, dass es momentan „keinen guten Beweis“ dafür gebe, dass „eine Maskenpflicht wirklich zu einer Reduktion des Infektionsgeschehens“ führe. Diese Erkenntnisse würden auch von einer aktuellen Meta-Studie der „Cochrane Library“ bestätigt, betonte Streeck.

Spekulieren über Beweggründe der Politik

Er selbst habe als Mitglied des Sachverständigenrats mit dafür gesorgt, dass die fehlende Beweislage für die Wirkung einer Maskenpflicht in den Evaluationsbericht aufgenommen wurde. Zuvor sei im Rat darüber lange diskutiert worden. Doch weder das Bundesgesundheitsministerium noch „andere Politiker“ noch „viele Journalisten“ hätten den Bericht beachtet. Manche Zeitungen hätten den geleakten Evaluationsbericht sogar „richtig zerrissen“, empörte sich der Virologe.

Er könne „nur darüber spekulieren“, warum die Politik beinahe drei Jahre an der Maskenpflicht festgehalten habe. Besser wäre es aus seiner Sicht, das Thema zurück in die Hände der Fachmediziner in den Krankenhäusern zu geben.

Opposition will Klarheit zu Impfkosten

Eine Aufarbeitung sollte es nach Ansicht von Oppositionsparteien auch geben, was die Kosten für COVID-19-Impfungen angeht. Sie werfen der alten und neuen Bundesregierung Kontrollverlust und Kopflosigkeit vor, wie die „Welt“ berichtet. Denn bis Ende 2023 würden voraussichtlich rund 3,7 Millionen Euro allein für die Lagerung anfallen – Entschädigungszahlungen für Impf-Nebenwirkungen und Beschaffungskosten nicht mitgerechnet.

Impfstoffhersteller können dagegen feiern: Wegen ihrer Preiserhöhungen von bis zu 50 Prozent für mRNA-Vakzine fuhren sie in den vergangenen Jahren Rekordgewinne ein. Denn pro Einwohner in Deutschland wurden über acht COVID-Impfungen bestellt – und mussten auch bezahlt werden.

 



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