
Gold könnte zur Gefahr werden: EZB warnt vor globalem Finanzbeben
Gold gilt als sicherer Hafen, doch laut EZB könnte es bald selbst zur Bedrohung werden. Ein unterschätzter Mechanismus am Goldmarkt droht, das globale Finanzsystem ins Wanken zu bringen. Die Warnzeichen erinnern fatal an die Vorboten der letzten großen Finanzkrise.

Gold: Was als sicherer Rückzugsort gilt, könnte sich laut EZB zum möglichen Auslöser der nächsten Finanzkrise entwickeln.
Foto: Bundesbank/Archiv/dpa
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in einem aktuellen Risikobericht eine eindringliche Warnung ausgesprochen: Turbulenzen am Goldmarkt könnten nicht nur einzelne Finanzinstitute ins Wanken bringen, sondern das gesamte globale Finanzsystem destabilisieren. Im Zentrum der Sorge stehen physisch zu erfüllende Gold-Terminkontrakte, also Verträge, bei denen tatsächliche Goldlieferungen vereinbart sind. Hinter dieser scheinbar technischen Entwicklung verbirgt sich ein hochbrisantes Szenario, das in seiner Komplexität und Sprengkraft an die Finanzkrisen vergangener Jahrzehnte erinnert.
Gold: Vom sicheren Hafen zum systemischen Risiko
Traditionell gilt Gold als „sicherer Hafen“ – ein Wertaufbewahrungsmittel in Zeiten politischer Instabilität, von Inflation oder Marktstress. Seit der globalen Finanzkrise 2008 ist die Nachfrage nach Gold konstant hoch, befeuert durch geopolitische Spannungen und geldpolitische Unsicherheiten. Die Preise des Edelmetalls haben seit 2023 mehrere Rekordmarken überschritten.
So lag im Jahr 2024 der Goldpreis laut „Statista“ bei durchschnittlich etwa 2.394,86 US-Dollar je Feinunze. Damit liegt der Preis gegenüber dem Vorjahr um rund 23,3 Prozent höher. Gegenüber dem Jahr 2019 ist der Preis sogar um rund 72 Prozent gestiegen.
In ihrer Untersuchung, die Teil der „Financial Stability Review“ für Mai 2025 ist, analysieren vier EZB-Volkswirte die jüngsten Entwicklungen am Goldmarkt. Sie sprechen von alarmierenden Ergebnissen. Vor allem die stark gestiegene Zahl physisch erfüllter Gold-Terminkontrakte an der New Yorker Terminbörse COMEX ist aus Sicht der EZB ein potenzieller Brandbeschleuniger.
Lieferdruck steigt – System gerät ins Wanken
Die Mechanik dieser Terminkontrakte ist einfach, ihre Wirkung jedoch fatal, wenn sie aus dem Gleichgewicht gerät. Verkäufer verpflichten sich, zu einem bestimmten Termin Gold zu liefern; Käufer erwarten die physische Übergabe des Metalls. Normalerweise sind diese Lieferverpflichtungen ein fester Bestandteil des Rohstoffhandels. Doch Anfang 2025 erreichten die Liefermeldungen für physisches Gold laut den Volkswirten der EZB-Analyse historische Höchststände. In ihrem Bericht schreiben sie:
„[…] während die Anzahl der zur Lieferung angemeldeten Gold-Futures-Kontrakte im Jahr 2025 ein historisch hohes Niveau erreichte, während die Lieferankündigungen für Januar 2025 die höchsten seit Juli 2007 [waren].“
Der plötzliche Anstieg der Nachfrage nach physischem Gold hat dazu geführt, dass riesige Mengen des Edelmetalls von London, dem traditionellen Lagerplatz für institutionelles Gold, nach New York verschifft wurden. Der Grund: In New York lag der Goldpreis bis zu 50 US-Dollar pro Feinunze über dem Londoner Preisniveau. Hinzu kamen Spekulationen über mögliche US-Zölle auf Goldimporte. All dies erzeugte einen Lieferdruck, den die Logistiksysteme kaum bewältigen konnten.
Die Folge: Banken, insbesondere sogenannte Bullion Banks, die sich auf den Handel und die Lagerung von Edelmetallen spezialisiert haben, gerieten ins Schleudern. Diese Banken sichern sich in der Regel über Short-Wetten an der COMEX ab, also über den Verkauf von Gold-Terminkontrakten. Dabei verlassen sie sich darauf, physisches Gold aus London bei Bedarf schnell in die USA transportieren zu können. Wenn diese Logistik stockt, sind massive Verluste vorprogrammiert.
Gefahr eines „Short Squeeze“: Wenn die Goldpreise explodieren
Die EZB warnt ausdrücklich vor einem sogenannten Short Squeeze. Dieses Szenario tritt ein, wenn der Goldpreis sprunghaft steigt und Verkäufer, die auf fallende Preise gesetzt haben, gezwungen sind, ihre Positionen mit Verlust zurückzukaufen. Da viele Terminkontrakte nicht mit realem Gold hinterlegt sind, müssten Banken in einem solchen Fall plötzlich große Mengen Gold am offenen Markt beschaffen – zu extrem hohen Preisen. Ein Teufelskreis aus steigenden Preisen, Lieferengpässen und Panikverkäufen könnte entstehen. Die Folgen wären dramatisch: Insolvenzen bei Banken, Vertrauensverlust bei Anlegern und ein potenzieller Flächenbrand auf den globalen Finanzmärkten.
Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht die Brisanz: Der Marktwert der in der Eurozone ausstehenden Goldderivate beträgt nach Angaben der EZB rund 1 Billion Euro. Das entspricht etwa dem Dreifachen der weltweiten Jahresproduktion. Diese Diskrepanz zeigt, wie stark der Derivatemarkt aufgebläht ist und wie verwundbar er dadurch geworden ist.
Gefahr geht von BRICS-Staaten aus
Besonders besorgniserregend ist laut EZB die Rolle der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Die Zentralbank warnt hier vor Deckungslücken bei Goldderivaten.
Nach der Beschlagnahmung der russischen Zentralbankreserven suchten die BRICS-Staaten nun nach Anlagealternativen für ihre Dollar- und Euroreserven. In diesem Zusammenhang würden sie massive Goldreserven aufbauen. Sollten sich die Zentralbanken der BRICS-Staaten das Gold ausliefern lassen wollen, drohe nicht nur ein unkontrollierbarer Preisanstieg. Auch Lieferengpässe, hohe Nachschussforderungen oder sogar Totalausfälle wären möglich und würden die Kontraktpartner – Banken in der Eurozone – in ihrer Existenz gefährden.
Im „Stabilitas-Marktkommentar“ merkt Martin Siegel, Geschäftsführer von Stabilitas, einem Beratungsunternehmen für Edelmetallfonds, zum EZB-Bericht an:
„Die EZB weist auf ein wichtiges Problem hin. Sollten die Investoren auf physischer Lieferung in erheblichem Umfang bestehen, dann würde der Goldpreis sprunghaft ansteigen und die Nachfrage nach Gold könnte nicht mehr bedient werden. Die einzige Möglichkeit, einen Kollaps des Marktes und die Pleite von beteiligten Marktteilnehmern [zu verhindern] wären massive Eingriffe der Aufsichtsbehörden bis zu einer vorübergehenden Schließung der Märkte.“
Laut EZB ist ein Großteil der Goldderivate-Exponierung von Banken im Euroraum gegenüber Gegenparteien außerhalb des Euroraums. Das bedeutet, ein externer Schock, etwa ein politisch motivierter Goldrun, könnte massive Konsequenzen für europäische Banken haben.
Ein undurchsichtiger Markt mit explosivem Potenzial
Kritisch sieht die EZB auch die mangelnde Transparenz auf dem Goldmarkt. Ein Großteil der Derivategeschäfte findet außerbörslich (over the counter, OTC) statt und unterliegt keiner zentralen Aufsicht. Damit fehlt es an Überblick, wer welche Risiken trägt – ein gefährlicher Blindflug, wie er auch der Finanzkrise 2008 vorausging.
Ironischerweise bemängelt die EZB diese Intransparenz, obwohl sie selbst in ihren Jahresbilanzen Goldbestände nur als „Gold- und Goldforderungen“ ausweist, ohne anzugeben, wie viel physisches Gold tatsächlich vorhanden ist und wie viel verliehen wurde. Hier hat die Zentralbank ein Glaubwürdigkeitsproblem. Eine Institution, die Transparenz fordert, sollte mit gutem Beispiel vorangehen.

Quelle: Jahresbericht der EZB 2024
Diese Verschiebung hin zu physischer Lieferung ist ein Ausdruck tiefgreifenden Misstrauens gegenüber Finanzsystemen – und ein Warnsignal für die Stabilität der Märkte. Denn physisches Gold ist nicht beliebig vermehrbar. Wenn plötzlich alle ihre Kontrakte erfüllt sehen wollen, droht eine Welle von Zahlungsausfällen.
Regulierer unter Druck: Handlungsbedarf wächst
Sollte sich die Lage zuspitzen, wären die Aufsichtsbehörden gezwungen, einzugreifen. Denkbar wären etwa Anpassungen der Lieferfristen, höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken mit hohem Derivatevolumen oder gar Handelsbeschränkungen. Doch solche Maßnahmen bräuchten Zeit – Zeit, die in einer eskalierenden Marktsituation knapp sein könnte.
In der „BIS Quarterly Review“ vom März 2025 analysiert die Bank for International Settlements (BIS) die Risiken aus hohen Derivatevolumina und verweist auf die Möglichkeit, dass Aufsichtsbehörden im Notfall Eigenkapitalvorschriften verschärfen oder Handelsbeschränkungen einführen könnten, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern.
Gold längst kein ruhiger Rückzugsort mehr
Langfristig stellt sich die Frage, ob die derzeitige Praxis der Goldverleihe durch Zentralbanken noch zeitgemäß ist. Wenn diese Geschäfte systemische Risiken bergen, müssten klare Grenzen gezogen werden. Derzeit verleihen viele Notenbanken ihr Gold an Investmentbanken gegen eine geringe Leasingrate, um damit zusätzliche Erträge zu erzielen. Bestätigt wird diese Praxis unter anderem durch die jährlich veröffentlichte Umfrage des World Gold Council, in der explizit im Abschnitt „Gold Lending and Swaps“ nach der Praxis des Goldverleihs gefragt wird. Angesichts der von der EZB in ihrer Analyse aufgezeigten Gefahren ist diese Praxis zweifellos eine stille, aber risikobehaftete Quelle von Marktdynamik.
Die Analyse der EZB zeigt weiter: Der Goldmarkt ist längst kein ruhiger Rückzugsort für Anleger mehr, sondern ein hochkomplexes System mit erheblichem Störpotenzial. Die Kombination aus geopolitischer Unsicherheit, intransparenten Märkten, physischem Lieferdruck und einem Derivatemarkt, der ein Vielfaches der realen Goldmenge abbildet, ist brandgefährlich.
Was als Schutz vor Krisen begann, könnte selbst zur Krise werden. Gold ist eben nicht nur glänzendes Metall, sondern auch ein Spiegel der Nervosität in einer zunehmend fragilen Weltwirtschaft.
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