Heizen wird Luxus, Produktion zum Glücksspiel

Der Gedanke, sich innerhalb der nächsten zwei Jahre von russischer Energie unabhängig machen zu können, ist sehr unwahrscheinlich, sogar utopisch. Doch die hohen Energiepreise gab es schon vor dem Ukraine-Konflikt.
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Die Glasproduktion ist auf Erdgas angewiesen, um kontinuierlich arbeiten zu können.Foto: iStock

Rein wirtschaftlich betrachtet betrifft der Ukraine-Konflikt vor allem auch die sanktionierenden westlichen Länder. Je größer die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen, desto größer die Auswirkungen der Sanktionen. Es entwickelt sich eine Sanktionsspirale: Eine westliche Sanktion steigert den Grad der Eskalation, woraufhin das sanktionierte Land wiederum auch eskalierend reagiert.

Um dieser sich selbst beschleunigenden Spirale zu entkommen, ist es unerlässlich, deeskalierend und diplomatisch vorzugehen. Bedauerlicherweise ist Stand heute keine Deeskalation und kein diplomatisches Geschick erkennbar. 

Kosten stiegen schon deutlich vor Kriegsbeginn

Jeder Investor ist angehalten, sein Portfolio breit aufzustellen und zu diversifizieren, wie es im Fachjargon heißt. Umgangssprachlich ausgedrückt, sollte man nicht alle Eier in ein Körbchen legen. Fällt ein Körbchen aufgrund von Nesträuberei oder sonstigen negativen Ereignissen aus, so können andere gut rentierende Körbchen den Verlust ausgleichen bzw. im Idealfall sogar überkompensieren. Das Prinzip des Diversifizierens sollte auch für den Import von Rohstoffen, anderen Importprodukten und für wichtige Vorprodukte der Industrie gelten.

Mit dem ehemaligen E.ON-CEO Johannes Teyssen bezog ein absoluter Brancheninsider des Energiesektors in einem Interview für „Focus“ bzw. „Mission Money“ schon am 19. April 2022 ziemlich deutlich Stellung und ließ kein gutes Haar an den politischen Entscheidern der letzten zwei Dekaden.

Er machte darauf aufmerksam, dass die Energiekrise fast ausschließlich in Europa stattfindet. Die Krise sei hausgemacht und verursacht durch politische Fehlentscheidungen. Die Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke habe die Energie verknappt, die Versorgung unsicherer gemacht und die Einführung neuer Steuern und der CO₂-Zertifikate hätten eine preistreibende Wirkung gehabt. 

Zudem warnte Teyssen vor einer Verdrehung der Ereignisse, denn die Preissteigerungen im Gas begannen bereits im dritten und vierten Quartal des Jahres 2021 und damit deutlich vor dem Ausbrechen des Krieges in der Ukraine. Letzterer und insbesondere die Sanktionspolitik habe die Preissteigerungen selbstverständlich beschleunigt. 

Ein Utopia der Sanktionen

Die Sanktionspolitik erinnert an die sogenannte Utopia-Methode des schweizerischen Denkers Giuseppe Gracia. Man versucht, utopische ideologische Zielsetzungen zu erreichen oder gewisse Narrative zu manifestieren. Die Intervention mittels Sanktion oder ähnlichem erreicht jedoch nicht das Ziel. 

Das sanktionierte Land wird nicht schwächer, doch man schwächt sich selbst und seine Wirtschaft – und zwar erheblich. Die Wirkung der Intervention ruft Nebeneffekte hervor und diese bedingen dann neue Interventionen. Dies könnten zum Beispiel Preisobergrenzen oder Rationierungen von Gas und Treibstoffen sein. Das Tor zur sogenannten Befehls- und Lenkungswirtschaft, in welcher sämtliche wirtschaftliche Aktionen einem einzigen oder einigen wenigen großen ideologischen Zielen untergeordnet werden, öffnet sich. 

Sobald sich Engpässe im Öl, Gas oder Kraftstoff zuspitzen, steigen die Wahrscheinlichkeiten für Rationierungen und Preiseingriffe. 

Es wird in den Medien sehr oft von Solidarität gesprochen. Aber ebendiese kann man nur walten lassen, wenn man selbst aus einer Position der wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Stärke agieren kann. Ist man selbst schwach, so wird man keinem anderen Land wirksam helfen können. 

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Grafik Interventionsspirale aus dem Buch GeldZeitenwende von Benjamin Mudlack

Einige Gewächshäuser in den Niederlanden mussten ihre unwirtschaftlich gewordene Produktion einstellen, berichtete das Internetportal „Institutional Money“ schon am 1. Oktober 2021. Die mittelfristig verheerenden Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung liegen auf der Hand. 

Noch ein älteres Beispiel: Bereits am 20. Juni 2019 schlugen Beschäftigte des Aluminiumherstellers Hydro in der „Rheinischen Post“ Alarm. Die Energiewende gefährde ihre Jobs, im Jahr 2018 litt der Betrieb unter 18 Stromausfällen. 2018 waren also bereits Anzeichen für Energieprobleme sichtbar und wichtige Betriebe konkret von Stromausfällen betroffen. Die politischen Entscheider reagierten damals bekanntlich nicht. 

Es braucht wenig Fantasie, um zu erfassen, wie die aktuellen Entwicklungen und auch das Abschalten der letzten Atomkraftwerke die Energiesicherheit verschlechtern und gleichzeitig die Abhängigkeit von Gaskraftwerken und damit die Abhängigkeit von Gasimporten dynamisch nach oben schnellen lassen. Gas wird sich weiter verknappen – das lässt die Preise steigen und die Wettbewerbsposition der in Deutschland produzierenden Unternehmen wird weiter massiv geschwächt. 

Die Mischung aus Versorgungsunsicherheit (Blackout-Gefahr) und steigenden Preisen stellt ein toxisches Gemisch für unsere Wirtschaft dar. Unternehmen und Arbeitsplätze sind in Gefahr, es droht eine Rezession und neben der Energieunsicherheit auch eine sich dynamisch beschleunigende Verarmung signifikanter Teile der Bevölkerung.

Ein Land, das Energiesicherheit zu international wettbewerbsfähigen Preisen nicht verlässlich liefern kann, bürdet seinen Bürgern und Unternehmen schier Unermessliches auf. Es ist daher nicht verwunderlich, dass politische Akteure die Menschen auf Rezession und Wohlstandsverluste einstimmen. 

Heizen als Luxusgut

Ein Ende der Sanktions- und Interventionsspirale und eine Abkehr von der Utopie hin zur Vernunft ist unabdingbar. Die Politik sollte eine Kehrtwende hinlegen, an den Verhandlungstisch zurückkehren und vorhandene Kraftwerke nicht abstellen. Das Abstellen von funktionsfähigen Kraftwerken ist bilanziell gesehen die Vernichtung von Anlagevermögen. Also auch dieser Vorgang nagt am Wohlstand unserer Volkswirtschaft.

Es klingt in dem Zusammenhang paradox, wenn der Leiter des staatlichen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im „Handelsblatt“ am 17. Juni 2022 Preissteigerungen und die damit verbundenen Wohlstandsverluste als hilfreich für die notwendige Transformation der Wirtschaft ansieht. 

Die Bevölkerung, die bereits vervielfachte Gaspreise zahlt und weiteren Preissteigerungen entgegenblickt, muss sich angesichts einer solchen Äußerung auf den Arm genommen vorkommen, wenn das Heizen zu einem Luxusgut wird. Die viel zitierte Transformation der Wirtschaft scheint eher die zeitversetzte Umsetzung des Morgenthau-Plans zu sein – und zwar aus dem Grund, weil sie mit der Deindustrialisierung Deutschlands und vermutlich auch Europas einhergeht.

Seriöse Kalkulationen nicht mehr möglich 

Die „Deutsche Handwerks Zeitung“ titelte Ende Juni, dass 69 Prozent der Mittelständler die Preise erhöhen werden. Dieses Ergebnis resultierte aus einer Befragung, in der die Unternehmer zudem über anhaltende Lieferengpässe und stark steigende Energie- und Rohstoffkosten klagten. Die Mehrzahl der Unternehmer geht zudem von negativen Geschäftsaussichten aus. Diese pessimistische Stimmung drückt auf die Investitionsbereitschaft. In der Folge gehen die Unternehmen zu einer liquiditätsschonenden Unternehmensausrichtung über – was zu rückläufigen Auftragseingängen bei anderen Unternehmen führt.

Am 27. Mai 2022 berichtete das Medium von einer sich zuspitzenden Lage in der Bauwirtschaft. Private Bauherren treten von ihren Bauvorhaben zurück und geben ursprünglich zum Kauf geplante Baugrundstücke zurück. Seriöse Kalkulationen seien durch dynamisch steigende Materialpreise nicht mehr möglich und die gestörte Beschaffungssituation gefährde gesamte Betriebe. Baukosten laufen den Unternehmen davon, geplante Großprojekte werden infrage gestellt oder gar abgesagt. Die Stromkosten für einige Betriebe haben sich um das drei- bis vierfache erhöht. Zudem laufen Preisbindungen sukzessive aus, was zu Neuverträgen mit erhöhten Konditionen führen wird. 

Die Chemieindustrie wird durch die hohen Energiepreise gleich doppelt getroffen. 15 Prozent des gesamten Erdgasbedarfs entfallen auf den Chemiesektor. Der vor allem aus Russland importierte Rohstoff wird von den Betrieben für die eigene Strom- und Dampferzeugung und als chemischer Rohstoff wie z. B. für Stickstoffdünger, für Wasserstoff oder auch für den Kraftstoffzusatz Adblue benötigt. 

Große Unternehmen verfügen über eine gewisse Preisdurchsetzungsmacht und können die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterreichen. Für kleine und mittelständische Unternehmen gilt das oft nicht – der Kostenanstieg kann sehr schnell existenzbedrohende Ausmaße annehmen.

Tatsächlich könnte der Staat seine Unternehmen und Bürger recht schnell und unbürokratisch finanziell entlasten. Im Strompreis liegen die Kosten für die Stromerzeugung und Netzentgelte laut Bundesnetzagentur bei knapp 52 Prozent. Angesichts der Aussichtslosigkeit der Lage sollte man die Steuern und Abgaben, die 48 Prozent des Strompreises ausmachen, so weit es geht senken, wenn nicht sogar abschaffen. Die Höchstpreise an Steuern und Abgaben wirken fast schon surreal.

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Benjamin Mudlack ist Bankkaufmann und diplomierter Wirtschaftsinformatiker, Buchautor, Unternehmer und Vorstandsmitglied der Atlas Initiative. Seine Schwerpunkte sind das Geldsystem, die österreichische Schule der Nationalökonomie und der Mittelstand. Er plädiert für dezentrale Strukturen, dynamische Prozesse statt zentralistischen, statischen Konzepten.



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