Studie: Staudammbau verschiebt Rotationsachse der Erde
Über zwei Jahrhunderte haben die Menschen so viel Wasser mit Dämmen aufgestaut, dass sie die Erde wortwörtlich aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Laut einer neuen Studie wanderten die Pole in zwei Phasen, nachdem zuerst in Europa und Nordamerika und dann in Ostafrika und Asien zahlreiche Staudämme gebaut wurden.
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Einer von knapp 7.000 Stauseen, die die Menschen in den vergangenen 200 Jahren angelegt und befüllt haben. Ihr Gewicht hat die Erde sprichwörtlich aus dem Gleichgewicht gebracht und die Erdachse in zwei Phasen verschoben.
Die magnetischen und geografischen Pole der Erde sind keine festen Punkte auf der Erdoberfläche.
Verschieben sich die Pole, verändert sich auch die Rotationsachse der Erde, bezogen auf die Erdoberfläche.
Der Bau von fast 7.000 großen Staudämmen zwischen 1835 und 2011 hat Pole und Erdachse insgesamt um über 1 Meter verschoben.
Das aufgestaute Wasser entspricht rund 165-mal dem Bodensee oder mehr als einem Drittel der Ostsee und hat einen Rückgang des globalen Meeresspiegels um 21 Millimeter verursacht.
Die Oberfläche unseres Blauen Planeten erscheint fest. In Wirklichkeit schwimmen Kontinente und Ozeane jedoch auf einer Schicht aus glibberigem, geschmolzenem Gestein und können sich daher relativ zum Magma darunter bewegen. Jedes Mal, wenn sich die Masse auf der Oberfläche des Planeten umverteilt, wackelt diese äußerste Gesteinsschicht und bewegt sich.
Wenn die äußerste Gesteinsschicht wackelt, verschieben sich jedoch auch die Bereiche der Erdoberfläche direkt über der Rotationsachse. Die geografischen Pole verlaufen dann an anderen Stellen der Oberfläche als zuvor. Diese sogenannte echte Polwanderung kann unterschiedliche Gründe haben: natürliche, etwa wenn Eisschichten wachsen oder schrumpfen, und menschliche, beispielsweise durch Bautätigkeiten.
Letzteres bestätigten Wissenschaftler um Natasha Valencic. Das Team um die Doktorandin der Erd- und Planetenwissenschaften an der Harvard University fand heraus, dass der Bau von fast 7.000 Staudämmen zwischen 1835 und 2011 die Pole – und damit die Rotationsachse der Erde – insgesamt um über 1 Meter verschoben hat.
7.000 künstliche Seen verschieben Erdachse
In ihrer Studie verwendeten Valencic und ihre Kollegen eine globale Datenbank mit Staudämmen, um die Standorte von 6.862 einzelnen Dämmen und die von ihnen aufgestaute Wassermenge zu kartieren. Obwohl die Forscher damit nur einen Bruchteil der über 30.000 Wasserreservoire weltweit einschlossen, umfasst ihre Analyse rund 72 Prozent des aufgestauten Wassers.
Die in der Studie berücksichtigte Wassermenge beläuft sich auf rund 7.900 Kubikkilometer und könnte damit rund 165-mal den Bodensee oder ein Drittel der Ostsee füllen. Gleichmäßig über Deutschland verteilt, stünde die Bundesrepublik, von Sylt bis zur Zugspitze, von Isenbruch bis Görlitz, etwa 22 Meter hoch unter Wasser.
Weniger als ein Viertel der über 30.000 Wasserreservoire der Welt enthält rund 72 Prozent allen aufgestauten Wassers. Im Bild: Lage und Größe von 6.862 Staudämmen mit einem Fassungsvermögen über 0,1 Kubikkilometer.
Nach der Kartierung analysierte das Team um Valencic außerdem, wie sich die Erdachse zwischen 1835 und 2011 durch das aufgestaute Wasser verschoben hat, und fand heraus, dass dieser Effekt tatsächlich durch den Bau der Staudämme verursacht wurde.
So zeigen die Ergebnisse, dass die Verschiebung der Pole der Erde in zwei Phasen verlief: Von 1835 bis 1954 wurden in Nordamerika und Europa viele Staudämme gebaut, wodurch diese Gebiete in Richtung Äquator rückten und die Rotationsachse in Richtung Russland kippte. Konkret verschob sich der Nordpol in dieser Zeit um 20,5 Zentimeter in Richtung des 103. Meridians im Osten, der durch Russland, die Mongolei, China und die Indochinesische Halbinsel verläuft.
Von 1954 bis 2011 wurden weltweit Staudämme gebaut, wobei die Mehrzahl in Ostafrika und Asien entstand. In der Folge rückten diese Gebiete von der Rotationsachse weg und der Pol verschob sich um 57 Zentimeter in Richtung des 117. westlichen Meridians, der durch das westliche Nordamerika und den Südpazifik verläuft. Dass diese Bewegung – dem kürzeren Zeitraum zum Trotz – stärker ausfiel, ist dem Umstand geschuldet, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich mehr Wasservolumen eingesperrt wurde.
Addiert man die jährlichen Bewegungen aus dem gesamten Zeitraum von 1835 bis 2011 zusammen, haben sich die Pole um 113 Zentimeter bewegt, wobei etwa 104 Zentimeter allein im 20. Jahrhundert geschahen.
Der Bau von Staudämmen hat in den vergangenen 190 Jahren die Rotationsachse der Erde zunächst nach Osten und dann nach Südwesten verschoben (rot). Unter Berücksichtigung der Umverteilung von Meerwasser (blaue Punkte) bewegten sich die Pole in Summe um 113 Zentimeter, wovon 104 Zentimeter allein im 20. Jahrhundert stattfanden.
Den Autoren der Studie zufolge zeigen die Ergebnisse eine weitere Möglichkeit, wie menschliche Aktivitäten den Planeten beeinflusst haben. Die Verschiebung der Pole ist zwar gering, aber sie könnte den Wissenschaftlern helfen zu verstehen, wie sich die Pole bewegen werden, wenn große Gletscher und Eisschilde schmelzen – und welchen Einfluss der Meeresspiegel auf die Erdachse hat.
Im 20. Jahrhundert stieg der Meeresspiegel im weltweiten Durchschnitt um 1,2 Millimeter pro Jahr. Die Menschen hätten aber ein Viertel und damit „einen erheblichen Anteil“ hinter Dämmen eingeschlossen, so Valencic. Weiter sagte sie:
„Wenn wir Wasser hinter Dämmen zurückhalten, wird nicht nur Wasser aus den Ozeanen entfernt, was zu einem globalen Rückgang des Meeresspiegels führt, sondern auch die Masse anders über die Welt verteilt. Wir werden nicht in eine neue Eiszeit stürzen, weil sich der Pol insgesamt um etwa 1 Meter verschoben hat, aber es hat Auswirkungen auf den Meeresspiegel.“
Die Ergebnisse zeigen somit, dass Forscher bei der Berechnung des künftigen Meeresspiegelanstiegs auch die Stauung von Wasser berücksichtigen müssen. Zudem vollzieht sich der Anstieg des Meeresspiegels nicht gleichmäßig über den gesamten Globus. Das sei ein weiterer Punkt, den wir berücksichtigen müssten, denn diese Veränderungen können ziemlich groß und bedeutend sein, ergänzte die Geowissenschaftlerin.
„Je nachdem, wo man Dämme und Stauseen platziert, ändert sich die Geometrie des Meeresspiegelanstiegs.“
Die Studie erschien am 23. Mai 2025 in der Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters“.
Dipl.-Ing. Tim Sumpf studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit den Schwerpunkten erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Als Ressortleiter „Wissen“ und Statistiker des Hauses berichtete er neben den genannten Themen auch über Klima, Forschung und Technik.