Eine neue Friedensdenkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), „Welt in Unordnung – gerechter Friede im Blick“, hat ein hörbares Echo in den deutschen Medien ausgelöst.
Bei ihrer Veröffentlichung der
Denkschrift in der Dresdner Frauenkirche am 9. November 2025 war der historische Anspruch zu spüren, den das neue Kirchenwort auslösen soll. Die „alte“ Denkschrift der EKD zum Thema Frieden von 2007 konnte die krisenhafte Entwicklung im Hinblick auf Krieg in Europa noch nicht einfangen.
Stimmungswandel in der Evangelischen Kirche
Nach 2022, mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem Beginn westlicher Waffenlieferungen an das überfallene Land, ist auch in den Augen der Kirchenmänner und -frauen nichts mehr, wie es war.
Den Stimmungswandel in der Evangelischen Kirche hat der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg, ein Berliner, treffend beschrieben, als er kürzlich in einem Podcast sagte, gerade Russland unter der Regierung Gorbatschow habe die Vereinigung Deutschlands erst ermöglicht.
„Wir sahen durch eine rosarote Brille.“ Niemand habe sich doch einen solchen Gesinnungswandel unter Präsident Wladimir Putin in Russland vorstellen können. „Heute leuchtet aber der Begriff des gerechten Friedens noch viel strahlender als vor Jahren“, so Felmberg. Nun sei klar: Eine pazifistische Haltung ohne die Einbeziehung von rechtserhaltender Gewalt – so nennt die Kirche Abschreckung oder militärisches Handeln – dürfe es nicht mehr geben.
Gibt es einen gerechten Krieg?
Gibt es also einen gerechten Krieg? Die Frage hat schon der Kirchenvater Augustin gestellt und Kriterien für einen gerechten Krieg zu finden gesucht:
1. Abwehr von schwerem Unrecht – causa iusta –, es muss einen gerechten Grund geben
2. Krieg nur durch einen Staat – auctoritas principis
3. Förderung von Gerechtigkeit
4. Krieg muss letztes Mittel sein – ultima ratio
Von der Formel „gerechter Krieg“ haben die protestantischen Kirchen mittlerweile Abschied genommen. Aber die Evangelische Kirche hat Augustin etwas umgedreht und anstatt vom gerechten Krieg vom gerechten Frieden gesprochen: Frieden durch Recht.
Schon die
Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ von 2007 sagt: Militärische Gewalt als „ultima ratio“ wird nicht ausgeschlossen. Aber dann hat der russische Angriff auf die Ukraine 2022 die Bewertungen doch ziemlich über den Haufen geworfen. Wer kann die Ukraine schützen? Bis heute tut sie das aus eigener Verantwortung und aus eigenem Antrieb – freilich mit westlicher Hilfe.
Vier Dimensionen
Bislang, so heißt es, hat sich die EKD auf sehr ideelle Antworten festgelegt. So heißt es von der EKD-Ratsvorsitzenden, der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs: „Nicht die Angst soll unser Handeln bestimmen, sondern ungebrochen unsere Hoffnung.“ Hoffnung, Herz und Haltung sind die Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen und Ausdruck eines christlichen Glaubens.
In der neuen
Denkschrift findet sich eine weiterentwickelte friedensethische Akzentsetzung der EKD. So werden neben der Betonung bleibender prinzipieller Orientierung evangelischer Friedensethik an Jesu Predigt der Gewaltfreiheit zugleich die vier Dimensionen neu profiliert, die in ihrem Zusammenspiel den gerechten Frieden auszeichnen:
1. Schutz vor Gewalt
2. Förderung von Freiheit
3. Abbau von Ungleichheiten (Abbau von Not, Herstellung von Gerechtigkeit)
4. Friedensfördernder Umgang mit Pluralität (Anerkennung kultureller Verschiedenheit)
Gewissensverantwortung
Aber Friedensethik wird in der Denkschrift neu und zwingend zusammen mit Sicherheitspolitik gedacht.
Hier ein Beispiel: Eine besondere Herausforderung für die evangelische Friedensethik liegt darin, die unterschiedlichen Perspektiven zwischen den Angehörigen der Streitkräfte und der zivilen Gesellschaft wahrzunehmen und ernst zu nehmen.
Viele Bürger begreifen den Dienst in den Streitkräften, in der Polizei et cetera als frei gewählte Berufstätigkeit. Die Bereitschaft, für das Land oder das Gemeinwesen einzustehen, verlangt aber auch im Extremfall, das eigene Leben einzusetzen. Der Dienst verlangt von den Soldaten, aber auch von Polizisten, eine Verantwortung zu übernehmen, die in der Denkschrift Gewissensverantwortung genannt wird.
Diese Übernahme von Verantwortung beschwören die Soldaten und Polizisten in ihrem Eid zum Dienstbeginn als Rekruten oder Polizeischüler. Aber all das bedeutet natürlich auch, dass die Waffenträger im Auftrag ihres Staates handeln. Theologen sagen dazu: Soldaten wissen, dass sie in Ausübung ihres Dienstes schuldig werden können.
Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus, hat das sehr deutlich erkannt und gesagt: „Man muss dem Rad in die Speichen fallen.“ Und der Friede ist für Bonhoeffer immer ein Wagnis.
Fehrs: Nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig
Ohne den Schutz vor Gewalt kann es keine Förderung von Freiheit, keinen Abbau von Ungleichheiten und keinen friedensfördernden Umgang mit Pluralität geben. Ein Friede, der nur auf die Abwesenheit von Gewalt setzt, aber andere Dimensionen vernachlässigt, ist nicht dauerhaft stabil.
„Der Abschreckungsgedanke kann eben gerade nicht als erledigt angesehen werden, so gern wir alle das wollten. Die Tonalität und Sprache hingegen verträgt Abrüstung. Nicht kriegstüchtig, sondern verteidigungsfähig und friedenstüchtig – darum geht’s –, um Krieg zu verhindern“, sagt Bischöfin Fehrs.
Neu akzentuiert werden das Zusammendenken von Friedensethik und Sicherheitspolitik, die Bedeutung von Konflikten im digitalen Bereich, von Kriegsverbrechen im Kontext der sexualisierten Gewalt, von Fragen des Klimaschutzes sowie die bildungspolitische Verankerung friedensethischer Fragen und der Schöpfungsbewahrung. Hier hängt also vieles mit vielem zusammen, kritisch bemerkt: zu viel.
Wadephul lobt „kluge Antworten“
Außenminister Johann Wadephul (CDU), selbst evangelischer Christ, aber zugleich Oberstleutnant der Reserve, stellte sich kürzlich in Berlin im Haus der EKD der Debatte: Der Jurist
lobte die Neubewertung durch die Kirche mit „klugen Antworten“. Die Denkschrift bekenne sich klar zur Abschreckung, nicht zu einem Pazifismus des kategorischen Gewaltverzichts.
Er hätte sich gewünscht, die Denkschrift hätte noch klarer benannt, dass die Bedingungen für „rechtserhaltende Gewalt“ im Krieg gegen die Ukraine bereits klar erfüllt seien. Er freue sich aber doch über die grundlegenden Positionen zu einer allgemeinen Dienstpflicht und die Erkenntnis, dass alles politische Handeln der „Herrschaft des Rechts“ dienen muss, nicht dem „Recht des Stärkeren“. Er sei überzeugt davon: „Der Frieden ist zu retten“, aber dafür sei Handeln gefragt.
Atombewaffnung als Dilemma
Für die neue Denkschrift bleibt die Atombewaffnung ein Dilemma: Während ihr Besitz eine Realität darstelle, sei ihr Einsatz kategorisch abzulehnen. Eine Drohung damit kann aber erforderlich sein, weil andererseits der Verzicht in der jetzigen politischen Situation kaum überzeugend vertreten werden könne. Der Schuldverstrickung durch eigenes Handeln könne der Mensch demnach nicht entkommen. Er bleibe auf Gottes Zuwendung der Vergebung angewiesen, so die Denkschrift.
Was folgt aus dem von vielen Seiten gelobten kirchlichen Nachdenken?
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel, der an der Universität Potsdam lehrt, hat kürzlich eine bedrohliche Aussage gemacht. Er sagte, dieser Sommer oder eben Herbst könne der letzte in Frieden sein. Begründet hat er es mit der zunehmenden russischen Bedrohung durch Drohnen und der Verschiebung der Frontverläufe in der Ukraine. Wir können nicht in eine Glaskugel schauen, aber richtig ist, dass unsere Generation, die sich in Friedenszeiten in Europa wähnte, aufgeschreckt ist.
Abrüstung wird es so schnell nicht wieder geben.
Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 17. November aktualisiert.