DDR 2.0: „Treuhandverwaltung“ soll angeblich Energieversorgung sichern

Die Bundesregierung scheut sich nicht, auf ausländisches Privateigentum zuzugreifen. Wolfgang J. Hummel zur rechtlich grotesken Lage, die durch die Treuhandverwaltung von Rosneft entstanden ist. Eine Analyse.
DDR 2.0: „Treuhandverwaltung“ soll angeblich Energieversorgung sichern
In der Erdölraffinerie PCK in Schwedt kam bislang Rohöl aus Russland über die Pipeline „Freundschaft“ an. Rosneft hat wegen der Zwangsverwaltung gegen das Wirtschaftsministerium beim Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht.Foto: Patrick Pleul/dpa
Von 30. Oktober 2022

Wie in einer Meldung über eine Militäraktion heißt es am 16. September 2022 um 7:03 Uhr in der Twitter-Meldung des Staatssekretärs des Bundeswirtschaftsministeriums: „Die Bundesregierung hat heute auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes die Rosneft Deutschland GmbH und die Rosneft Refining & Marketing GmbH unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt.“

Die Begründung ähnelt im Weiteren in wenig überraschender Weise Texten, die sich auch in Beschlüssen der sozialistischen DDR im Rahmen der Verstaatlichung von privaten Unternehmen finden.

„Mit der Treuhandverwaltung wird der drohenden Gefährdung der Energieversorgungssicherheit begegnet …“. Es wird „ein wesentlicher Grundstein für den Erhalt und die Zukunft des Standorts Schwedt gelegt“, heißt es in der Anordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom 14.09.2022. „Die Entscheidung wird von einem umfassenden Zukunftspaket begleitet …“, ist das Versprechen der Bundesregierung.

Formal ein Ermächtigungsgesetz

Da werden Erinnerungen wach. In seiner Rede auf der 3. SED-Parteikonferenz 1956 versprach der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht bei einer staatlichen Beteiligung „den Angehörigen eine klare Perspektive und eine sichere Existenz“.

Das sogenannte Energiesicherungsgesetz ist formal ein Ermächtigungsgesetz für die Bundesregierung zur staatlichen Kontrolle und Steuerung von Energieversorgungsunternehmen. Ursprünglich 1975 als Gesetz im Nachgang zur Ölkrise gedacht, wurden im Zuge der Russland-Sanktionen im Mai 2022 die Kompetenzen für die Bundesregierung erheblich ausgeweitet. Treuhandverwaltung und Enteignung von Unternehmen sind nunmehr auch kurzfristig möglich.

Wie bereits beim Kernkraftausstieg zeigt die Bundesregierung auch im Fall Rosneft keine Scheu, auf privates Eigentum – hier zudem noch ausländisches – zuzugreifen.

Artikel 14 des Grundgesetzes schützt das Eigentumsrecht

Dabei dürfte – wie im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 2821/11, Urteil vom 6.12.2016) im Streit gegen den schwedischen Energiekonzern VATTENFALL um den Atomausstieg – die Bundesregierung bestreiten, dass sich Rosneft überhaupt auf eine Grundrechtsverletzung berufen kann.

Zugegebenermaßen: Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt. Doch das Eigentum wird vorliegend nicht nur beschränkt, sondern faktisch zugunsten des Staates entzogen.

Jetzt setzt sich weiter fort, was bereits bei der Zwangsabschaltung von Kernkraftwerken hingenommen wurde. Der Eingriff in die Unternehmerfreiheit. Damals blieb ein Aufschrei aus.

Der Bundesregierung kam beim Kernkraftwerksausstieg 2011 zugute, dass bei den potenziellen Klägern die Gesellschafter Bundesländer, Kommunen oder Stadtwerke waren, also unmittelbar oder mittelbar in die Staatsorganisation eingegliederte juristische Personen. Der Vorstand des schwedischen Energiekonzerns VATTENFALL hatte den Mut zur Klage. Die deutschen Energieunternehmen schlossen sich halbherzig an und dies auch nur deshalb, um Haftungsansprüche privater Aktionäre gegen sich zu vermeiden.

Das Bundesverfassungsgericht kam der Bundesregierung weit entgegen. Die gesetzliche „Eigentumsgestaltung“ – gemeint war die willkürliche Verkürzung der Laufzeiten der Kraftwerke – sei zulässig. Trotzdem konnte auch das eher politisch und nicht rechtlich argumentierende Bundesverfassungsgericht nicht umhin, festzustellen, dass allein durch die Laufzeitverkürzung „die durch die Eigentumsgarantie geschützten Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt“ worden seien. Weiterhin führte es aus: „Mit Art. 14 GG unvereinbar ist ferner, dass die 13. Atomgesetz-Novelle keine Regelung zum Ausgleich für Investitionen vorsieht.“ Diese Rechtsauffassung wird bezogen auf die Investitionen von Rosneft im Rechtsstreit ebenfalls noch bedeutsam werden.

Bezogen auf den Atomausstieg ignorierte die Bundesregierung jedoch in der Folge die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts. VATTENFALL musste ein internationales Gericht anrufen.

Nicht etwa das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht, sondern das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID), eine Institution der Weltbank in Washington, USA, zwang die deutsche Bundesregierung am Ende zu einem Vergleich.

Nach einem zehn Jahre langen Rechtsstreit bekamen 2021 – wenig beachtet von den Medien – RWE, Eon, EnBW und VATTENFALL eine Entschädigung für das, was Medien und Politik als „Atomausstieg“ bezeichneten, was faktisch jedoch die staatliche Zwangsstilllegung von Betriebsteilen von Unternehmen war.

„Treuhandverwaltung“ ist Schritt in öko-sozialistische Planwirtschaft

Die „Treuhandverwaltung“, ein beschönigender Begriff, ist nun ein weiterer Schritt der Bundesregierung in Richtung öko-sozialistische Planwirtschaft. Formaljuristisch überschreitet die Bundesregierung zwar nicht die Grenze zur Enteignung. Doch wo liegt der Unterschied?

Die Bundesnetzagentur kann zukünftig das operative Geschäft bestimmen. Sie kann der Geschäftsführung Weisungen erteilen. Sie kann sogar die Mitglieder der Geschäftsführung abberufen oder neu bestellen. Anweisungsbefugnisse der ursprünglichen Eigentümerin Rosneft bestehen nicht mehr.

Nur formal behält Rosneft seine Firmenanteile. Dies führt zu dem grotesken Ergebnis, dass die Gesellschafter nun für Verluste aufkommen müssen, die der staatliche Treuhänder verursacht. Bisher arbeitet die Rosneft-Raffinerie hochprofitabel.

Bundesregierung hat die „konkrete Gefahr“ selbst geschaffen

Staatliche Eingriffe der Bundesregierung häufen sich, erfolgen in immer mehr Wirtschaftsbereichen und werden immer massiver. Bereits mit der sogenannten „Energiewende“ verschaffte sich die Bundesregierung zusätzliche Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten. Mit der Bekämpfung der COVID-Pandemie und dem Infektionsschutz begründete die Bundesregierung weitere staatliche Eingriffe in Unternehmen. Der Ukraine-Krieg und die Sanktionen dienen inzwischen als weitere Begründung für Maßnahmen, welche bereits die Schwelle zur Enteignung berühren.

In der Begründung des Bescheids des Bundeswirtschaftsministeriums im neuen Fall Rosneft sucht man vergebens einen Begriff, der eigentlich im Vordergrund stehen müsste: „Sanktionen gegen Russland“. Stattdessen wird in schwammigen Formulierungen von „im Markt bestehenden Unsicherheiten über die sanktionsrechtliche Behandlung von Rosneft“ gesprochen. „Dienstleister im Zahlungsverkehr“ hätten angekündigt, Dienstleistungen nicht fortsetzen zu wollen. „Problematisch ist auch die Belieferung mit Ersatzteilen“, heißt es an anderer Stelle. Keine Rede ist davon, dass Banken und Ingenieur- und Handwerksunternehmen unter Strafandrohung die Zusammenarbeit mit Rosneft verboten ist.

Die Bundesregierung versucht in krampfhafter Weise den Eindruck zu vermeiden, dass es die EU-Sanktionen und ihre eigenen Sanktionsbeschlüsse gegen russische Unternehmen sind, die genau die Lage herbeigeführt haben, welche sie nun angeblich zum Eingreifen zwingt. Tatsächlich hat die Bundesregierung exakt die „konkrete Gefahr“ selbst geschaffen, die ihr gemäß § 17 Absätze 1 bis 5 und Absatz 8 Energiesicherungsgesetz ein Eingreifen erlaubte.

Rechtliches Gehör wurde nicht gewährt

Wie schnell für einen „höheren Zweck“ auch die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit – je nach Ansicht desjenigen, der das Recht auslegt – berührt oder überschritten werden, zeigt ein Blick auf die handwerklichen Details der Anordnung: Eine Anhörung war bisher ein wesentlicher Baustein in jedem bundesdeutschen Verwaltungsverfahren.

Beteiligte und vor allem der Adressat sollen sich in einem Verwaltungsverfahren vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes äußern können. Schließlich hat der Adressat die Folgen zu tragen. Die Anhörung ist Ausfluss des Grundsatzes auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Absatz 1 Grundgesetz, sagen sinngemäß alle einschlägigen Kommentare.

Bezogen auf die Raffinerie von Rosneft heißt es demgegenüber im Bescheid der Bundesregierung: „Von einer Anhörung war gemäß § 28 Absatz 2 Nummer 1 und Absatz 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes im öffentlichen Interesse abzusehen“.

Welches öffentliche Interesse dafür spricht, die Geschäftsführung und die Eigentümer eines Unternehmens, welches faktisch enteignet wird, zuvor nicht einmal anzuhören, ist rechtlich nicht nachvollziehbar.

Der Verzicht auf eine Anhörung muss noch mehr verwundern, weil die Bundesregierung in ihrer Begründung unterstellt, dass die russischen Gesellschafter aufgrund des „eigenen wirtschaftlichen Interesses“ einer Verarbeitung von nicht-russischem Öl in der Raffinerie nicht zustimmen würden. Schon allein, um nicht lediglich mit Unterstellungen arbeiten zu müssen, wäre eine Anhörung geboten gewesen.

Erinnerungen an die DDR

Auch an dieser Stelle ein Blick zurück in die deutsche Wirtschaftsgeschichte. Der West-Berliner „Tagesspiegel“ vom 25.3.1956 schreibt unter der Überschrift „SED-Konferenz ohne Stalinbild“ über den Vorgänger Honeckers: „Ulbricht sicherte den privaten Unternehmern, Handwerkern und Kaufleuten ihre Existenz auch im zweiten Fünfjahrplan zu. Er wies jedoch darauf hin, dass die noch in der DDR bestehende große Zahl kleiner Privatunternehmen Schwierigkeiten verursacht und die Planaufgaben stört. Es müssten Wege gefunden werden, diese Störungen auf ein Minimum zu reduzieren.“

Ganz in DDR-Manier heißt es auch abschließend in der Anordnung der Bundesregierung: „Die Kosten der Treuhandverwaltung hat die Rosneft Deutschland zu tragen.“

Mittlerweile hat Rosneft gegen den rechtswidrigen Bescheid vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage erhoben. Habecks Berater scheinen von der rechtlichen Fragwürdigkeit des Bescheids zu wissen: Der Bundeswirtschaftsminister hat den Bescheid an Rosneft entgegen der gängigen Praxis vorsichtshalber nicht selbst unterzeichnet.

Gefährdung als rechtssicherer Investitionsstandort

Was die Bundesregierung bei ihrem Vorgehen offensichtlich auch in Kauf nimmt: Mit ihrem Vorgehen beschädigt sie den Ruf Deutschlands als Investitionsstandort. Die „Treuhandverwaltung“ verstößt auch gegen das Investitionsschutzabkommen mit Russland. Nach Artikel 4 des Investitions- und Schutzvertrages (IFV) wollten sich – welch geschichtliche Ironie – gerade die bundesdeutschen Unternehmen gegen „Enteignung einschließlich Verstaatlichung oder andere Maßnahmen mit gleichartigen Auswirkungen“ durch russische Behörden schützen.

Wenige Tage nachdem die Bundesregierung mit großen Worten anlässlich seines Todes die Reformen Gorbatschows in Russland gelobt hat, verletzt die Bundesregierung genau das Abkommen vom 13. Juni 1989, das mit Staats- und Parteichef Gorbatschow als „Vertrag der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen“ noch vor dem Mauerfall geschlossen wurde.

Öko-sozialistische Agenda und drohende De-Industrialisierung

Wie wenig die Bundesregierung selbst an ihr als „Lösung“ dargestelltes Konzept glaubt, zeigt sich in einem Satz der „Gemeinsamen Erklärung zur Zukunft des Standort Schwedt“ vom 16. September 2022. Den Arbeitnehmern, „deren Arbeitszeit sich im Zusammenhang mit dem Embargo gegen Importe von russischem Erdöl verringert“, wird vorsorglich schon ein Zuschuss zum Kurzarbeitergeld versprochen.

Hinter dem Embargo der SPD/GRÜNEN/FDP-Regierung gegen russisches Öl versteckt sich eine weitere Agenda. „Treibhausneutralität und die Wende zur Elektromobilität machen einen Wandel am Standort erforderlich“, so die Bundesregierung unverblümt.

So geht die Bundesregierung bewusst auch über die ohnehin einschneidenden EU-Embargo-Maßnahmen hinaus. Das Öl-Embargo als Teil des sechsten EU-Sanktionspakets soll nur russische Öllieferungen über den Seeweg unterbinden. Transporte per Pipeline sollten weiterhin mit Übergangsfristen teilweise bis 2024 möglich sein. Die Bundesregierung gab zu Protokoll, auch Pipeline-Öllieferungen bereits zum Jahresende 2022 verbieten zu wollen.

Für die Umsetzung einer ideologisch motivierten öko-sozialistischen Agenda werden der Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen, eine De-Industrialisierung Ost-Brandenburgs und damit eines zentralen Teils der Industriebasis Ostdeutschlands billigend in Kauf genommen.

Angesichts dieser Politik drängt sich der Verdacht auf, dass staatliche Eingriffe, „Preisdeckel“, Zwangsverwaltung und Enteignung unabhängig vom aktuellen Konflikt mit Russland auch in Zukunft eingesetzt werden, um anti-marktwirtschaftliche und öko-sozialistische Ziele zu erreichen. „Energiesicherheit“ mag es heute genannt werden.

Morgen können es weitere unscharfe Begriffe sein, wie etwa „Klimaschutz“, „Sicherstellung der Versorgung von Wohnraum“ oder die „Abwehr von Gesundheitsgefahren“, mit denen die Aushöhlung des Eigentums und der Unternehmerfreiheit begründet werden.

Zum Autor

Wolfgang J. Hummel (Jurist) war nach 1991 bei der Treuhandanstalt mit der Reprivatisierung von in DDR-Zeit verstaatlichten Unternehmen befasst. Später war er an der Privatisierung des Berliner Energieversorgers BEWAG an VATTENFALL und am Konzessionsverfahren für das Gasverteilungsnetz der GASAG im Land Berlin beteiligt. 2014 erhielt er als Vertreter Deutschlands bei der Mission des Internationalen Währungsfonds in der Ukraine Einblicke in die Kooperation des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz mit den russischen Öl- und Gaskonzernen GAZPROM und Rosneft.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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