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Meinung

Lydia Roeber

Berlin, du warst mal anders

Berlin – einst laut, lebendig, legendär. Heute? Ein Schockmoment. Epoch-Times-Autorin Lydia Roeber nimmt uns mit auf Stippvisite in ihre alte Heimat: eine Hauptstadt, die kapituliert hat – vor Armut, Ideologie und sich selbst.

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Foto: iStock Panama7

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Lesedauer: 6 Min.

„Berlin, du bist so wunderbar“ – das war der Ohrwurm eines Werbespots für eine Berliner Biersorte aus dem Jahr 2013. Und damals hatte dieser Slogan noch etwas Wahres. Die Stadt war laut, ungehobelt, aber voller Leben, Energie und Selbstironie. Ein paar Jahre später warben die Berliner Verkehrsbetriebe mit dem Gassenhauer „Ohne mich kommt ihr heut Nacht nicht heim“ dafür, sicher und entspannt vom Feiern mit den Öffis nach Hause zu kommen – kein Problem damals. Ein Teil dieses Spots wurde in meiner Wohnung am Charlottenburger Savignyplatz gedreht. Ich lebte dort fast 20 Jahre lang. Mein Cabrio stand damals offen über Nacht auf der Straße. Niemand hat es angerührt.

Heute? Unvorstellbar

Gestern war ich wieder da. Nur kurz. Und ich habe Berlin nicht wiedererkannt. Unter den S-Bahn-Bögen gegenüber meiner alten Wohnung: ein Matratzenlager, Obdachlose, Uringeruch. Papierschnipsel und Plastikreste wehen über den Bürgersteig, wo früher die Kinder aus der Nachbarschaft mit dem Roller fuhren. Zweimal wurde ich auf meiner kurzen Strecke zum Ku’damm angebettelt – nicht freundlich, sondern fordernd.
Und am einstigen Prachtboulevard taumelt ein Mann mit offener Hose durch die Menge. Keiner schaut mehr hin. Nicht aus Ignoranz, sondern weil es zum Alltag geworden ist.
Das alles fällt mir auf, weil es früher nicht so war, und wegen des Kontrastes: Ich habe Berlin vor zwei Jahren verlassen – für eine saubere, kleine Stadt im Norden, von vielen pauschal als „Dunkeldeutschland“ abgetan. Nur: Dort funktioniert das Leben. Saubere Straßen. Menschen grüßen sich. Es riecht nach Bäckerei, nicht nach Verwahrlosung.

Was ist also passiert mit Berlin?

Es ist nicht nur der soziale Abstieg Einzelner – es ist der systematische Kontrollverlust. Es ist das Ergebnis von jahrelanger politischer Vernachlässigung. Ein Sinnbild von Kapitulation vor Drogenkriminalität, gewalttätigen Silvesterkrawallen, Verwahrlosung, kaputten Schulen, leer stehenden Läden, explodierenden Mieten und dem Rückzug der Mittelschicht. Und während Bezirksämter über Gendersterne diskutieren, versagen sie bei Grundlegendem: Sicherheit, Ordnung, Infrastruktur. Wohnungen sollten eigentlich für Millionen erbaut werden, stattdessen entstehen sie für Investoren. Statt der viel gepriesenen Integration wächst das Gefühl der Entfremdung.
Berlin leistet sich in Tegel die größte Asylunterkunft Deutschlands, deren zweifelhafte Zustände von sich reden machen, und flutet damit die Stadt mit noch mehr Problemen und Beteiligte und Betreiber mit unfassbaren Gewinnen. Kosten laufen auf von 250 Euro pro Tag und Person – mehr als man für ein Hotelzimmer im Luxussegment berappen muss.

Bye bye Berlin – Hauptstadt in Schieflage

Im abgeschotteten Regierungsviertel wird öffentlich jedoch über Fahrverbote und Wärmepumpen debattiert, während unter den S-Bahn-Brücken Matratzenlager entstehen und das Stadtbild verwahrlost. Der Berliner Senat will allein im laufenden Jahr 3 Milliarden Euro einsparen. Auch für die Jahre 2026 und 2027 sind Kürzungen von mindestens weiteren 1,8 Milliarden Euro geplant. Bereits frühere Landesregierungen hatten mit massiven Kürzungen bei Gesundheit, Bildung und Soziales Berlin zu einem Zentrum der Armut gemacht.
Besonders hart trifft es die Kultur: Die Finanzierung für Kunst und Kultur wird um rund 130 Millionen Euro reduziert, was etwa 12 Prozent des Budgets entspricht. Gleichzeitig steigen die Mieten rasant. In den letzten zehn Jahren hat sich der durchschnittliche Quadratmeterpreis der Mieten verdoppelt. Die, die sich Berlin noch leisten können, leben in einer Parallelwelt mit Biowein und Lieferabo. Der Rest kämpft. Um Wohnraum. Um Würde.
Auf dem Rückweg in die neue Heimat will ich am Südkreuz in den Zug einsteigen. Als ich die Bahnhofstreppe hochkomme, steht dort ein Mann, gut gekleidet, graues Haar, der ein bisschen so aussieht wie mein 85-jähriger Vater – und wühlt im Mülleimer nach Pfandflaschen. Nicht betrunken, nicht verwahrlost. Einfach arm. Wahrscheinlich einfach hungrig.
Und doch: Ganz ausgestorben ist es nicht, das alte Berlin.
In meinem alten Kiez-Café arbeitet jetzt eine junge Kellnerin, freundlich, zugewandt, neben ihr auf dem Tresen für zwischendurch ein Buch: Hannah Arendt. Ein anderer Gast, ein älterer Herr mit schmalem Mantel, schenkt ihr zum Abschied freundliche Worte, ein Lächeln und bezahlt viel mehr, als üblich ist. Ein paar Meter weiter sah ich, wie Anwohner gerade kleine Blumen an den Fuß einer Linde am Straßenrand pflanzen, gemeinsam, schweigend, aber entschlossen. Kein großes Projekt, keine Schlagzeile. Nur Menschen, die ihr Viertel ein kleines Stück zurückholen wollen.
Vielleicht ist Berlin doch nicht gefallen, sondern gerade dabei, sich neu zu finden – von unten heraus.
Vielleicht wächst irgendwo zwischen all den Brüchen eine neue Form von Zusammenhalt. Noch kein Comeback. Aber auch kein endgültiger Abschied.
Berlin, du warst mal wunderbar. Vielleicht wirst du es eines Tages wieder.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.

Lydia Roeber hat sich schon ihr Studium an der FU Berlin mit Texten verdient und lange als Fernsehjournalistin gearbeitet. Früher als Reisejournalistin tätig, nimmt sie sich heute bevorzugt die drängenden gesellschaftlichen Themen bei der Epoch Times vor – von Transhumanismus über digitale Kontrolle bis zum Bildungsnotstand.

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