Gestatten: Mein Name ist Hase

Besuch beim Osterhasen im Frühlingswald
Von 27. März 2005

Gestatten: Mein Name ist Hase. Ich weiß von mir nichts.

Aber die Menschen!

Stadthase Mümmelmann ist eigentlich ein Kaninchen. Trotzdem wird es – gerade in diesen Tagen – immer wieder mit freudigen Rufen begrüßt: Der Osterhase! Irren ist menschlich, sagte der Igel und stieg von der Drahtbürste. Der Hase verläßt sich lieber auf seinen Geruch. Um so schwieriger, ihm als Mensch näher zu kommen. Ein Besuch beim „Osterhasen“ ist heutzutage geradezu ein unmögliches Unterfangen. Denn Lepus europaeus, der Feldhase, ist ausgesprochen selten geworden. Glücklicherweise haben die vergangenen Jahre in einigen Gebieten Norddeutschlands, regelrechten Hasengegenden (wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen), wieder Zuwächse beschert. Es scheint so, als würde die sprichwörtliche Fruchtbarkeit des Hasen, die ihn erst zum Ostertier machte, über Feldbaufrevel und Maschinentod obsiegen.

Die Mär vom Osterhasen ist auch insofern biologisch begründet, als der sonst meist nacht- und dämmerungsaktive Hase gerade im März einfach nicht zu bremsen ist – die sogenannte Rammelzeit hat begonnen. In diesen Wochen ist der Hase sprichwörtlich „rammeldösig“, und so hat es auch gar keinen Zweck, sich bei Meister Lampert anzumelden.

Der Eingang zum Hasenland

Westlich von Berlin, wo das alte Anhalt und Niedersachsen einander am nächsten kommen, liegt der Eingang zum Hasenland – dort hatte Lampert lange Zeit seine höchste Verbreitungsdichte in Deutschland. Durch eine Pforte aus knospenden Buchenzweigen trete ich in die Hasenhalle – vorsichtig, den weiß-gelb-blauen Teppich aus Buschwindröschen, Scharbockskraut und Leberblümchen mitsamt der zartrosa Dekoration von wildem Seidelbast nicht zu zertreten. Der Buchfink als Portalwächter schmettert sein Frühlingslied. Seit Mitte März übt er für Ostern. Da soll die Hochzeit sein.

Mümmelmann hält sich noch versteckt. Oder nur bedeckt?

Anders als Verwechslungspartner Kanin, der „Stallhas`“, gräbt der Europäische Feldhase keine unterirdischen Gänge, sondern scharrt nur eine flache Sasse – tatsächlich fast ein Osternest. Im Gebüsch, aber auch in der offenen Feldflur, sitzt er darin, legt die Ohren an und schläft mit geschlossenen Augen – fast wie ein Menschenkind. Bei Gefahr hält Lampert hingegen die Augen offen und stellt die Ohren mit den gut sichtbaren schwarzen Spitzen auf. Er kann bestens hören und sehen. Dank seiner Tarnfärbung ist er seinerseits allerdings schwer auszumachen. Hasen können auch vortrefflich schwimmen, springen – bis zu zwei Meter hoch und drei Meter weit – und: sogar klettern. Das ist kein Märchen von Münchhausen, der Hasen bei Hochwasser auf Bäumen fand. Bei Gefahr saust Mümmelken im bekannten Haken-Zickzack davon – mit bis zu 70 Kilometer pro Stunde. Ist er ungestört, bewegt er sich eher im Schneckengang – bloß dass ihn kaum jemand so je gesehen hat.

Mümmelmann wandert nicht aus

Ein Besuch beim Osterhasen hat natürlich nur dann einige Aussicht auf Erfolg, wenn man genau weiß, wo er wohnt – Mümmelmann ist ausgesprochen ortstreu. Nur selten wurden bei markierten Tieren weite Wanderungen festgestellt. Es soll ja auch Menschen geben, die auswandern. Bezogen auf die Gesamtpopulation, ist es die Ausnahme. In der Familie putzen sich die Osterhasen gegenseitig – Gruppenfremde können sie „nicht riechen“. Sie werden auch außerhalb der Ranzzeit einfach weggeboxt. Neben dem Höhepunkt der Rammel im März/ April findet auch eine Herbstrauferei statt. Aber wer denkt dann schon an Osterhasen?

Mümmelmann nimmt mich mit zur geselligen Brautwerbung des Hasenwaldes. Sie wird am Rand der Dickung auf einem Feld ausgetragen. Es ist nicht selten, dass zu diesem Schauspiel zwei Dutzend, früher gar 40 – 50 Tiere zusammenkommen! Natürlich gibt es solche Riesenhasenhochzeiten nur noch selten. Das ist ja bei den Menschen in Mitteleuropa nicht viel anders. Das Hauptaugenmerk der Rammler gilt natürlich den Hasendamen, die kräftig „parfürmiert“ werden – über die Duftnote kann man geteilter Meinung sein. Gleichzeitig müssen Nebenbuhler ferngehalten werden; dann stellt sich der Brautwerber im Hochzeitskostüm zum Boxkampf. Die stattlichen Mümmelmänner -bis zu 5 Kilogramm schwer – richten sich zu einer beträchtlichen Höhe von an dreiviertel Meter auf und trommeln mit den Vorderläufen aufeinander ein. Doch auch mit der Angebeteten kann es zunächst einmal zu Auseinandersetzungen kommen – so schnell gibt sich nicht jede hin. Sogar Verletzungen wurden bei Hasenmännern im Gefolge des Paarungsspieles festgestellt, Hämatome und Bisswunden.

Gegen Abend ist die Gesellschaft weitgehend in festen Händen, nur ein enttäuschter Junghase hoppelt noch einem frisch vermählten Paar hinterher. Derartiges soll es ja auch in anderen Säuger-Familien geben… Die Häsin ist derweil nicht faul, sie wippt kokett mit der „Blume“, dem schwarzweißen Hasenschwanz, zerstäubt Geruchsstoffe, die den Hasenmann außer Rand und Band bringen und – rennt davon. Der Hase kann nicht anders, er muß hinterdrein. Die Häsin dankt es ihm mit ausgiebiger Fruchtbarkeit. Nach 43 Tagen fällt der erste Wurf, meist nur ein bis zwei Junge. Aber das steigert sich rasch. Die weiteren bis zu sechs – meist drei oder vier – Würfe bestehen häufig aus vier bis fünf Junghasen, die jeder wenig mehr als hundert Gramm wiegen.

Das Besondere am Fruchtbarkeitszauber der Häsinnen ist, dass sie während der Tragzeit neu empfangen und Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsphasen mit sich tragen können, so daß es statt sechs nur drei oder vier Wochen dauert, bis der nächste Wurf das Licht der Hasenwelt erblickt. Die leicht behaarten Jungen sind gegen Kälte, Wind und Regen sehr empfindlich, so daß es nur selten ausgesprochene „Hasenjahre“ gibt. Diese Empfindlichkeit hängt mit der Herkunft der Feldhasen zusammen, die in den vergangenen Jahrtausenden mit der Waldrodung aus osteuropäisch-vorderasiatischen Steppengebieten einwanderten, während die Kaninchen aus dem Mittelmeerraum stammen. Damals gab es noch genügend Feldgehölze und Hudewälder, die Deckung boten und reichlich Hasenspeisen wie Beeren, Pilze, Rindenstücke, saftige Knospen und Sprosse, auch Gräser und Wildgemüse. Die Kultursteppe der letzten Jahrzehnte kostete nicht nur Hasenleben, sondern auch Bestände des Rebhuhns und anderer Tiere der Feldflur. Junghasen beherrschen die Tarnung von Geburt an und entfernen sich schon bald von der Mutter. Deshalb sollte man auch anscheinend „verlassene“ Tiere keineswegs aufsammeln. Schon nach einem Jahr sind die jungen Damen und Herren selbst wieder paarungsbereit. Das neue Ostervergnügen kann beginnen.



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