Indien: „Kuh-Bürgerwehren“ attackieren muslimische Viehhändler

Die Kuh ist in Indien heilig – doch nicht für alle Inder. Für Muslime spricht nichts dagegen, Rinder zu schlachten und zu essen. Hindus, die sich in „Kuh-Bürgerwehren“ organisieren, gehen seit Jahren auf eigene Faust gegen mutmaßliche Metzger und Viehhändler vor.
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Die Kuh wird in den meisten Regionen Indiens als heilig angesehen. Es ist überwiegend verboten, sie zu töten oder ihr auf jegliche Weise Schaden zuzufügen.Foto: iStock
Von 16. April 2023

Es ist mitten in der Nacht. Eine Truppe aus rund 15 Männern nähert sich einem Lastwagen an einer Zolldurchfahrt in Indien. Mit lauten Parolen wie „Sag uns, was du geladen hast“ springen einige von ihnen auf das Gefährt auf und lösen die Abdeckplane, um sich selbst über die „Ware“ ein Bild zu machen. Dass es sich hier aber nicht um Zollbeamte handelt, zeigt eine Dokumentation der „Deutschen Welle“ (DW).

Die zuvor beschriebene Attacke sei laut DW-Reportern Teil einer Kampagne von hinduistischen Nationalisten, die auf der Suche nach Rindern seien. „Gelobt sei die Mutter Kuh“, rufen die Männer und reißen ihre Hände in die Höhe. Angriffe wie diese würden darauf abzielen, Indiens muslimischer Minderheit wirtschaftlich zu schaden. In einem Kulturkampf um die Kuh würden Metzger und Viehtransporter in Indien regelmäßig auf diese Weise von sogenannten „Kuh-Bürgerwehren“ angegriffen.

Dabei komme es nicht selten zu Gewalt und Übergriffen gegen die Viehhändler. Dipak Aria, der Anführer der Gruppe stellt klar: „Muslime töten und verspeisen unsere Kühe und verletzen damit, was uns Hindus heilig ist“. Er und seine Männer seien „bereit, ihr Leben zu geben, um das Schlachten von Rindern zu beenden“. Und ebenso dazu, „diese Menschen zu töten“, so Aria.

Verschärfung der Konflikte

Die Konflikte zwischen Hindus und Muslimen reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück, seien jedoch wieder stark aufgeflammt, seit Premierminister Narendra Modi an der Macht ist.

In einem Interview der „Deutschen Welle“ mit der indischen Journalistin Ghazala Wahab meint diese: „Die Regierung hat eine Art Hasskampagne gegen gesellschaftliche Minderheiten aufgezogen und einen effektiven Weg gefunden, sie auszugrenzen.“

Der Islam in Indien ist nach dem Hinduismus die zweitgrößte Glaubensrichtung. Von den 1,4 Milliarden Einwohnern Indiens sind 79,8 Prozent Hindus und 14,2 Prozent Muslime. Ein im Dezember 2019 von der Modi-Regierung initiiertes neues Staatsbürgerschaftsrecht habe dazu beigetragen, Muslime zu diskriminieren, zitierte der „Deutschlandfunk“ im vergangenen Jahr Altaf Ahmad vom Rat der Muslime.

Der gegenseitige Hass der beiden Glaubensgruppen zeigt sich sowohl in den sozialen Medien als auch in immer wiederkehrenden Beispielen realer Gewalt. Im Bundesstaat Rajasthan hatte die Polizei zum Beispiel zwei muslimische Männer festgenommen, die beschuldigt wurden, einen Hindu-Schneider getötet zu haben.

Die Männer hatten zuvor in einem Video erklärt, es sei eine Vergeltungstat gewesen, weil der Hindu die politischen Äußerungen einer Politikerin unterstützt habe. Diese Politikerin, Sprecherin der indischen Regierungspartei BJP, hatte sich in einer Fernsehdebatte abfällig über den Propheten Mohammed geäußert.

Kontroverse Ansichten der wirtschaftlichen Lage

Doch nicht nur religiöse Aspekte führten unlängst zu gewalttätigen Ausschreitungen, sondern auch die trostlose Lage auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch könnten – was die wirtschaftliche Lage Indiens betrifft – die Ansichten nicht widersprüchlicher sein. So bezeichnet der in Indien geborene Ökonom Ashoka Mody die Lage des Landes als äußerst kritisch, wie die „Wirtschaftswoche“ kürzlich berichtete.

Indische Eliten würden die Aussichten jedoch höchst optimistisch bewerten – auch der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziere eine diesjährige Steigerung des indischen Bruttoinlandsproduktes um 6,1 Prozent. Und für nächstes Jahr sogar ein Wachstum von 6,8 Prozent.

Mody, der als Gastprofessor für internationale Wirtschaftspolitik an der Princeton University arbeitet, bezog sich in seiner Einschätzung zunächst auf die Jahre 2020 bis 2022, in denen Indiens jährliche Wachstumsrate pandemiebedingt bei nur 3,5 Prozent gelegen habe. Weiter habe die Wirtschaft in der zweiten Hälfte 2022 an Dynamik verloren, was seiner Meinung nach auch in diesem Jahr anhalten werde.

Dabei verweist er auf die unzureichende Schaffung von benötigten Arbeitsplätzen. In den nächsten zehn Jahren würden demnach 200 Millionen zusätzliche Stellen benötigt, um die Menschen im erwerbsfähigen Alter zu beschäftigen – was kaum zu schaffen sei.

Der Druck bei Arbeitssuchenden – zu denen jedes Jahr sieben bis neun Millionen dazukämen – steige dadurch immens an. Da es in den Städten kaum Arbeitsplätze gab, seien während der Pandemie Millionen Arbeitnehmer in die Landwirtschaft zurückgekehrt, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dort seien heute rund 45 Prozent der Arbeitskräfte des Landes beschäftigt.



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