Südkoreas Albtraum: Die Bevölkerung hat keine Lust mehr auf Fortpflanzung

Warum will man in Südkorea keine Kinder mehr bekommen? 35.000 Euro bietet der Staat für die Erziehung. Trotzdem entscheiden sich junge Südkoreaner lieber anders.
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Südkoreas Albtraum: Rapide sinkende Bevölkerung – da hilft auch jede Menge Geld nicht.Foto: iStock
Von 16. April 2023

Südkorea ist ein Land, dessen Bevölkerung sich zukünftig halbieren wird. Alternde Singles und kinderlose Familien bestimmen das Bild. Die Regierung pumpt riesige Summen in die Unterstützung des Nachwuchses – trotzdem entscheiden sich junge südkoreanische Erwachsene lieber für das Berufsleben.

Jahr für Jahr führen die Zahlen Südkorea an die Spitze der Länder mit der niedrigsten Geburtenrate. Bereits im Dezember letzten Jahres stellte die Regierung von Präsident Yoon Suk-yeol eine Reihe von Maßnahmen vor, um die sinkende Geburtenrate in Südkorea zu bekämpfen.

Statistische Zahl der Geburten pro Mutter: 0,78

Die Einwohnerzahl des Landes lag laut „Aljazeera“ im Jahr 2021 bei 51,74 Millionen. Bis 2070 wird sie voraussichtlich auf 37,66 Millionen sinken. Um die Zahlen zu stabilisieren, sind ernsthafte Veränderungen nötig.

Die durchschnittliche Anzahl der Geburten pro Mutter in Südkorea müsste mindestens 2,1 betragen. 2022 lag diese Zahl nur noch bei 0,78. Auch in den am weitesten entwickelten Industrieländern der Welt liegt der Durchschnittssatz unter der genannten Richtmarke. Allerdings geht es ihnen mit 1,6 Kindern pro Mutter deutlich besser.

Die Beihilfen sind in Südkorea zwar äußerst hoch, aber auch andere Aspekte müssen angegangen werden, um den wirklichen Wandel herbeizuführen. Das Phänomen sei lokalen Stimmen zufolge ziemlich komplex.

Die Pyebaek-Zeremonie ist eine traditionelle Ehrung der Familie des Bräutigams durch das frisch verheiratete Paar unmittelbar nach der Hochzeit. Diese Zeremonie wird auch heute noch bei vielen Hochzeiten in Korea praktiziert. Die Zahl der Hochzeiten nimmt von Jahr zu Jahr ab. Foto: iStock

Keine „Lust“ zum Opfer bringen

Ein Kind zur Welt zu bringen, ist nicht nur ein Garant für das Überleben der menschlichen Rasse, es ist auch ein natürliches, instinktives Bestreben des Menschen. Die Erziehung eines Kindes bringt zwar unzählige Freuden mit sich, erfordert aber auch Opferbereitschaft. Es heißt, dass mit der Geburt eines Kindes nicht nur ein Baby geboren wird, sondern auch eine Mutter und ein Vater. Sie opfern viel, damit ein kleines Leben in Sicherheit und in einer wertvollen Umgebung aufwachsen kann. Was passiert, wenn die Erwartungen zu hoch sind? Wenn die Opfer zu groß zu sein scheinen?

Karriere, ein bequemes, entspanntes Leben oder Kinder? In Südkorea bezweifeln viele, wie sinnvoll das Opfer ist. Für viele Südkoreaner scheint es einfach eine Frage der persönlichen Vorliebe zu sein, weder zu heiraten noch Kinder zu haben.

Cho Joo-yeon, eine 39-jährige koreanische Sprachdolmetscherin aus Seoul, die seit zehn Jahren verheiratet ist, sagte gegenüber „Aljazeera“, dass Kinder zu haben für sie nie eine Option war. Für sie ist es keine Frage des Geldes. Staatliche Zuschüsse sind also nicht das Thema.

„Kinder zu haben, wäre eine große Verantwortung, denn die Grundlage wäre, wie meine Eltern mich erzogen haben, und das ist ein riesiger Maßstab, den ich erfüllen müsste“, sagte Cho.

Dann fügte sie hinzu, dass sie nie schwanger werden wollte: „Ich werde meine Karriere nicht für ein Kind opfern.“ Sie und ihr erfolgreicher Ehemann, der in der Werbebranche arbeitet, sind sich sicher, dass ein Kind gewisse Anforderungen mit sich bringen würde. Es würde bedeuten, dass sie das Kind auf die beste Schule schicken sollten. Sie sehen auch die Notwendigkeit, viel zu sparen, um dem Kind das Beste von allem zu bieten. Dieser Druck sei eine viel zu große Last, die sie nicht tragen mögen.

Für Paare in Südkorea hat das Kinderkriegen oft keine Priorität. Sie ziehen es vor, ein bequemes Leben mit weniger Verantwortung zu genießen. Dabei konzentrieren sie sich auf die Entwicklung ihrer Karrieren. Foto: iStock

Kwon Jang-ho und Cho Nam-hee, die etwa 25 Kilometer nördlich der südkoreanischen Hauptstadt in Ilsan leben, erwarten auch außerordentliche Herausforderungen, wenn ihr Sohn in die Grundschule kommt.

„Für Menschen, die in großen Städten leben und hohe Ansprüche haben, steigt der Wettbewerb, um unsere Kinder auf die besten Schulen zu schicken“, erklärt Cho Nam-hee. „Es gibt immer diesen Druck, allen anderen voraus zu sein“, fügte auch Kwon hinzu.

„Eine brutale Wettbewerbsgesellschaft“

Im März wurde bekannt, dass die Arbeitszeit in Südkorea von 52 auf 69 Stunden pro Woche erhöht werden könnte. Es überrascht demnach nicht wirklich, dass das Land die höchste Zahl an geleisteten Arbeitsstunden vorweisen kann. Umso erstaunlicher ist die Argumentation des Arbeitsministers: Sie würden die ohnehin schon eklatant langen Arbeitszeiten erhöhen, um die Work-Life-Balance zu verbessern.

Der Minister selbst bezeichnete den Vorschlag als mutig, berichtet die „Daily Mail“. Er erklärte aber, dass er es Frauen ermöglichen würde, im Voraus zu arbeiten. Mit anderen Worten: Sie könnten sich Überstunden verdienen, um die Zeit der Schwangerschaft und nach der Geburt zu überbrücken. Der Widerstand gegen diesen Vorschlag ist stark. Sowohl die Frauenvereinigung als auch die Gewerkschaftsgruppen sind empört. Die stärkste Oppositionspartei, die Demokratische Partei, ist ebenfalls gegen die Idee.

„Es würde die Arbeit von 9 Uhr morgens bis Mitternacht an fünf aufeinanderfolgenden Tagen legalisieren“, heißt es in einer Erklärung des Gewerkschaftsbundes.

Die Debatte weist auf eine der Hauptursachen für die Geburtenkrise hin. Nach Angaben der Gewerkschaft ist es für Mütter in Südkorea in der Regel unmöglich, Karriere zu machen.

Das komplexe Phänomen ist nach Ansicht von Fachleuten auch darauf zurückzuführen, dass sich das Land in nur wenigen Jahrzehnten von tiefer Armut zu einer der fortschrittlichsten Volkswirtschaften entwickelt hat. Die Einwohner haben sich hart in die Arbeit gestürzt. In diesem Land sind Schlafentzug, Selbstmord und der Gebrauch von Antidepressiva ein ernstes Problem.

Was jedoch die größten Spuren hinterlassen hat, ist die Übernahme des chinesischen kommunistischen Musters. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatten Anfang der 1970er-Jahre südkoreanische Frauen noch durchschnittlich vier Kinder.

Im Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung hat die Regierung Ehepaare jedoch dazu ermutigt, nur ein Kind zu bekommen. Diese Politik wurde vor zwanzig Jahren wegen ihrer gravierenden Auswirkungen aufgegeben. Doch es ist misslungen, die Familiengründung wieder aufzuwerten.

In der Tat ist Geld nicht alles

Um zu vermeiden, dass junge Arbeitskräfte in Zukunft durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden müssen, versuchen nun die südkoreanischen Zentral- und Lokalregierungen, finanzielle Anreize für das Schwangerwerden zu fördern. Diese Beträge sind sogar für westeuropäische Verhältnisse gewaltig.

Ein Blick auf die Zahlen in Euro. Zum Beispiel kostet in Südkorea ein Laib Brot (ein halbes Kilo) 2,50 Euro, zwölf Eier 2,90 Euro und ein Kilogramm Hühnerbrust knapp 8 Euro. Ein Kinobesuch ist für 8,30 Euro möglich und ein Paar Markensportschuhe gibt es für rund 60 Euro. Demnach scheinen die meisten Kosten ähnlich hoch wie in einem westlichen Land zu sein. Das durchschnittliche monatliche Nettogehalt liegt in Südkorea bei etwa 2.000 Euro, und für eine Dreizimmerwohnung im Stadtzentrum zahlt man rund 1.200 Euro Miete pro Monat.

Ab 2022 erhalten Mütter bei der Geburt ihres Kindes eine Zahlung von 2 Millionen Won (1.365 Euro). Monatliche Zuwendungen können bis zum Alter von sieben oder acht Jahren gezahlt werden. Sie liegen zwischen 480 und 135 Euro – je nach Alter des Kindes und der Region, in der es lebt.

Für einkommensschwache Haushalte und Alleinerziehende gibt es besondere Zuschüsse. Die Zahlungen können auch schon vor der Geburt des Kindes beginnen. Der Staat finanziert die medizinischen Kosten im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und bezuschusst bei Bedarf sogar die Dating-Kosten der jungen Paare, berichtet „Aljazeera“.

Busan, Südkorea. In Großstädten ist der Leistungsdruck sehr hoch. Selbstmord und Depressionen sind keine Seltenheit. Foto: iStock

Wie dringend die Nachwuchsgewinnung ist, zeigt das Beispiel von Busan, der zweitgrößten Stadt Südkoreas. Hier wurde die Sonderprämie für drei oder mehr Geburten kürzlich von 500.000 Won (340 Euro) auf 10 Millionen Won (6.827 Euro) erhöht.

Und in der südwestlichen ländlichen Provinz South Jeolla wird ein monatliches Stipendium von 600.000 Won (409 Euro) pro Kind für volle sieben Jahre gewährt. Das entspricht einer Gesamtsumme von 50,4 Millionen Won (34.350 Euro) innerhalb von sieben Jahren.

Die hohen Beihilfen allein scheinen jedoch nicht auszureichen. Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol bestätigte kürzlich, dass die Regierung in den letzten 16 Jahren 280 Billionen Won (190,74 Milliarden Euro) für das Problem ausgegeben hat. Allerdings erklärte er, die Maßnahmen seien bisher „gescheitert“. Daher ermutigt der Präsident die Regierung, neue Strategien zu entwickeln.

Gibt es ein Erfolgsrezept?

Präsident Yoon Suk-yeol ist also der Meinung, dass materielle Anreize allein die kritische Situation der Entvölkerung nicht lösen werden. Die Suche nach einer passenden Strategie läuft.

In den 1970er-Jahren bekamen südkoreanische Mütter durchschnittlich vier Kinder. Heute sind Familien mit einem Kind die Regel. Foto: iStock

Japan ist eines der Länder mit ähnlichen Problemen. In seinen jüngsten Bemühungen versucht es, dem Beispiel eines europäischen Landes zu folgen – Ungarn. Dort ist die durchschnittliche Zahl der Geburten seit 2011 um 29 Prozent gestiegen. Damit liegt das Land an erster Stelle in Europa, was das Wachstum angeht. „Während 2010 nur drei von fünf gewünschten Kindern in Ungarn zur Welt kamen, sind es heute vier von fünf“, berichtet das Wirtschaftsanalyseportal „novekedes.hu“.

Dabei gibt es wahrscheinlich kein kulturübergreifendes Erfolgsrezept. Dennoch versuchen die Japaner, das System Ungarns zu imitieren.

Analysten sagen, dass ein ähnliches umfassendes Programm zur Unterstützung von Kindern und Familien der Schlüssel sein könnte. Dies fängt in Ungarn mit erheblichen Subventionen für den Kauf eines Eigenheims an und ermutigt Frauen, neben der Kindererziehung zu arbeiten.

Die ungarische Regierung konzentriert sich auch auf die Umsetzung einer grünen Gesellschaft und die Wiederbelebung lokaler Gemeinden und des ländlichen Raums. Ein kinderfreundliches Umfeld lässt sich von diesen Faktoren stark beeinflussen. Inwieweit sich aber dieses Rezept auf den asiatischen Raum übertragen lässt, ist bislang noch nicht bekannt. Es heißt, dass die Ungarn „orientalische Westler“ sind. Ein Erfolg scheint daher durchaus möglich zu sein.



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