Erdbeben Türkei: 600 Bauunternehmer angeklagt – Erdoğans fatales Amnestiegesetz

Die Türkei beginnt, Bauunternehmer zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings gibt die Regierung keine eigene Verantwortung zu.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan droht Griechenland.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 5. März 2023

Nach dem Erdbeben und den über 50.000 Toten sucht die Türkei nach Schuldigen. Wie der türkische Justizminister Bekir Bozdağ kürzlich sagte, wurden fast 200 Personen, vor allem Bauunternehmer, verhaftet. Zudem wurden mehr als 600 Personen wegen Gebäudeeinstürzen strafrechtlich verfolgt, berichtet das ungarische „Telex“. Gleichzeitig beschuldigen die Baufachleute die türkische Regierung für ihre fehlgeleitete Politik.

Obwohl die Naturkatastrophe verheerend war, hätten viele der Tragödien vermieden werden können – wobei die Arbeit der Hausbauer und der Aufsichtsbehörden ins Spiel kommt. Die Erdbeben vom 6. Februar in der Türkei forderten mehr als 50.000 Menschenleben. Die Zahl der obdachlos gewordenen Menschen liegt bei fast zwei Millionen.

Einstürze, die nicht hätten passieren dürfen

Zusammen mit mehr als 10.000 Nachbeben beschädigten die großen Erdbeben rund 173.000 Gebäude in elf Provinzen. Ein Großteil der Gebäudeschäden, die viele Menschenleben gefordert haben, ist laut Analysten auf schlampige und korrupte Bauarbeiten zurückzuführen. Nach ungarischen Angaben wurde die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die seit mehr als 20 Jahren an der Macht ist, wegen laxer Baustandards heftig kritisiert.

Das türkische Justizministerium richtet Ermittlungseinheiten ein, um jeden Bauunternehmer strafrechtlich zu verfolgen, der die Sicherheitsvorschriften nicht einhält.

Viele sind auf der Flucht vor der Strafverfolgung, beispielsweise die inhaftierten Bauunternehmer Yavuz Karakus und Sevilay Karakus. Sie wollten mit mehr als 17.000 Dollar in bar nach Georgien fliehen, wurden jedoch am Istanbuler Flughafen verhaftet. Yavuz Karakus erklärte, ein reines Gewissen zu haben: „Ich habe vierundvierzig Häuser gebaut, von denen vier zusammengebrochen sind. Ich habe alles nach Vorschrift gemacht.“

Bauvorschriften mehrfach geändert

Die Türkei hat bereits ein verheerendes Erdbeben erlebt. Im Jahr 1999 kamen bei der Katastrophe in Izmit mehr als 18.000 Menschen ums Leben. Um ähnliche Vorfälle zu vermeiden, wurden die Bauvorschriften des Landes mehrmals geändert. Zuletzt im Jahr 2018. Ziel war vor allem, die Voraussetzungen für erdbebensicheres, stabiles Bauen zu schaffen. So wurde zum Beispiel vorgeschrieben, dass Betonwände mit Stahlstäben verstärkt werden müssen.

Henry Bang, ein Geologe an der Universität Bournemouth in Großbritannien, hat die jetzigen Ereignisse gegenüber der britischen Zeitung „The Guardian“ detailliert analysiert. Er erklärte, dass ältere Gebäude, welche mehr als zwanzig Jahre alt sind, noch oft mit schlechteren Materialien gebaut wurden.

Die Wände dieser Gebäude seien nun komplett eingestürzt. Und das, obwohl diese Art von Gebäuden nach den gesetzlichen Bestimmungen schon längst hätten umgebaut werden müssen. In vielen Fällen wurde dies einfach nicht getan. Bei großen Gebäuden mit vielen Stockwerken ist die Situation jedoch anders:

Die mehrstöckigen Gebäude sind wie Kartenhäuser zusammengebrochen, sie waren sicher nicht dafür ausgelegt, einem Erdbeben standzuhalten.“

Dem Forscher zufolge tritt dieses Ausmaß von Zerstörung auf, wenn Wände und Fundamente nicht richtig miteinander verankert sind. Aus sicherheitstechnischer Sicht fallen beim Einsturz dieser Art von Gebäuden die Betonplatten buchstäblich übereinander. „Das minimiert die Überlebenschancen der Bewohner des Gebäudes, wenn es zusammenbricht“, erklärt Bang.

Erdoğans fatales Amnestiegesetz

Die Verschärfung der Bauvorschriften war jedoch nur ein Teil der Politik der Regierung in der Türkei. Im Gegensatz dazu hat Erdoğans Regierung gerade 2018 eine weitere Bestimmung eingeführt.

Mit Blick auf das Wirtschaftswachstum gewährte die Regierung Bauunternehmern, die zuvor bei Bauarbeiten die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten hatten, eine Amnestie. Die „New York Times“ berichtete, dass mehr als 438.000 Menschen von der Amnestie betroffen waren, ohne die sie ihre Bauarbeiten nicht hätten abschließen können.

Eine schnelle Entwicklung der Bauindustrie war ein Schlüsselelement von Erdoğans Regierungspolitik. Nun haben die Bestimmungen wie das Amnestiegesetz ihre Wirkung verfehlt. Die Tatsache, dass die Regierung beginnt, Bauunternehmer zu bestrafen, kann in der Bauindustrie und in der Öffentlichkeit zu Unmut führen.

„Die Durchsuchung und strafrechtliche Verfolgung von Bauunternehmern ist eine Reaktion auf die öffentliche Empörung“, erklärte Taner Yuzgec, ehemaliger Präsident der Kammer der Bauingenieure, gegenüber der „New York Times“. Und weiter:

Die wahren Schuldigen sind die aktuelle Regierung und die vorherigen Regierungen, die das System so belassen haben, wie es ist.“

Obwohl das nicht typisch ist, kommt es auch bei Politikern vor, dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Ökkeş Kavak, Bürgermeister des Bezirks Nurdağı in der Provinz Gaziantep, ist beispielsweise vor Gericht geladen worden. Der Vorwurf gegen den Gouverneur lautet nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur: „Versäumnis der Überprüfung von Baustandards“. Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen werden jedoch voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion