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Forderung nach neuem Umgang mit der AfD

Boris Palmer: Wie man die zehn Millionen AfD-Wähler „wieder zurückholen“ kann

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat sich für einen anderen Umgang mit der AfD stark gemacht. Die Strategie des Ausgrenzens und Totschweigens ist für ihn „tot“. Das beste Gegenmittel sieht er in einer zukunftsgerichteten Law-and-Order-Politik, die auch die Migrationsprobleme angeht.

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Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Archivbild, parteilos) empfiehlt, die AfD mit einer „zukunftsgerichteten Politik“ zu entzaubern – auch beim Einwanderungsthema.

Foto: Bernd Weißbrod/dpa

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Lesedauer: 6 Min.


In Kürze:

  • Tübingens OB Boris Palmer rät, die AfD-Wähler nicht länger auszugrenzen
  • Regierungsbeteiligung der AfD für Palmer weiter kein wünschenswertes Szenario
  • Im Fall einer unvermeidbaren AfD-Regierungsbeteiligung gelte es, „verfassungsrechtliche Schranken“ zu errichten
  • Migrationspolitik als entscheidender Hebel

 
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos, ehemals Grüne) hält mittlerweile den Ansatz für einen Fehler, die AfD noch länger „auszugrenzen und totzuschweigen“. Das gelte auch für jene zehn Millionen Wähler, die sich für die Alternative für Deutschland (AfD) entschieden hätten.
Diese Ausgrenzungsstrategie habe „schon bisher nicht funktioniert“, stellte Palmer in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ fest, das am 19. September 2025 erschien. Nun sei die Strategie tot, denn man könne „ein Viertel der Wähler so nicht behandeln“. Das stärke lediglich den „Opfermythos“.
Andererseits dürfe man die AfD aus seiner Sicht aber auch nicht aktiv in eine Regierung einbinden, solange ein Wahlergebnis dies nicht erzwinge. Denn die „AfD-Leute können es nicht und schaden unserem Land, ganz besonders der Wirtschaft“, meinte das Tübinger Stadtoberhaupt.

Was tun, wenn die AfD die stärkste politische Kraft wird?

Nur für den Fall, dass die AfD tatsächlich zur stärksten Partei aufsteige, könne deren Regierungsbeteiligung „möglicherweise doch opportun“ sein, räumte Palmer ein. In diesem Fall handele es sich ja um eine „Zwangssituation“.
Dann sei „Einhegen die letzte demokratische Alternative“. Palmer empfahl, zu diesem Zweck die „verfassungsrechtlichen Schranken“ hochzuziehen: Es müsse verunmöglicht werden, dass die AfD das Sagen im Innenministerium oder einem anderen Verfassungsministerium habe. Sei dies erreicht, gebe es zwei Möglichkeiten.

Palmer: AfD soll sich „von den Nazis in ihren Reihen“ trennen

Entweder zeige sich, dass die AfD es nicht könne – dann sei „der Zauber“ ohnehin vorbei. Oder es gelinge den übrigen Politikern, die AfD „so zu domestizieren, dass sie eine rechtskonservativ-bürgerliche Partei“ werde, wie „wir sie aus den 50er-Jahren kennen“. Dazu müsse sich die Partei aber „von den Nazis in ihren Reihen“ trennen, forderte Palmer.
An welche „Nazis“ Palmer genau dachte, ist unklar: Namen nannte er gegenüber dem „Handelsblatt“ (Bezahlschranke) nicht.

Podiumsdiskussion brachte laut Palmer „keinen klaren Sieger“

Zu seiner jüngsten Podiumsdiskussion mit dem Co-Vorsitzenden des baden-württembergischen AfD-Landesverbandes, Markus Frohnmaier, hatte Palmer schon am 6. September auf seinem Facebook-Account ein positives Fazit gezogen: „Die Ausgangsthese, man könne in einer inhaltlichen Debatte mit der AfD nur verlieren, ist widerlegt. Die Rezeption, dass es keinen klaren Sieger gibt, bedeutet ja, dass es keinen klaren Verlierer gibt“, schrieb Palmer.
Seine eigene „Strategie, Frohnmaier zu zwingen, sich zwischen seinem bürgerlichen Auftritt und rechtsextremen Inhalten zu entscheiden“, sei „an mehreren Punkten aufgegangen“. So sei es ihm beispielsweise gelungen, dem AfD-Politiker nachzuweisen, dass dieser „falsche Behauptungen“ zur Kriminalstatistik aufgestellt habe. Im Gespräch mit dem Handelsblatt knüpfte Palmer daran an:
„Man kann mit AfD-Funktionären sprechen, ohne sich zu
beschimpfen, und dadurch erst den Blick frei machen auf inhaltliche Defizite der AfD.“

Migrationspolitik und Pragmatismus als entscheidende Hebel?

Palmer gab sich im Interview zuversichtlich, dass die AfD grundsätzlich wieder „geschrumpft“ werden könne. Nach „zehn Jahre[n] verfehlter Migrationspolitik“ werde es dazu aber „wahrscheinlich zehn Jahre konsequenter Politik brauchen“. Insbesondere in der Migrationspolitik müsse mehr von dem getan werden, was die Menschen erwarteten. Das sei für ihn „der wesentliche Hebel“:
„Wenn man das in den Griff bekommt und ein paar Jahre durchhält, dann werden ganz viele AfD-Wähler sagen: Jetzt haben sie es doch verstanden. Und dann kann man diese Wähler zurückholen.“
Nach Palmers Einschätzung liegt der Grund dafür, dass sich überhaupt so viele Menschen „frustriert“ nach politischen Alternativen umgeschaut hätten, auch in mangelndem Willen, die Dinge zu ändern:
„Wir haben uns in einer dysfunktionalen Bürokratie eingerichtet, die mittlerweile mehr zerstört, als sie bringt.“
Vor der „bürokratischen Korrektheit“ müsse aber „Funktionalität“ kommen, sagte Palmer. Er selbst habe als Oberbürgermeister deshalb den Ansatz gewählt, „wonach jede Regel so lange gilt, bis sie dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Tut sie das, versuchen wir, sie zu umgehen“.
Überhaupt schrieb Palmer seinen anhaltenden Erfolg als Oberbürgermeister seiner eigenen, angeblich „zukunftsgerichteten Politik“ zu: Schließlich stehe er in Tübingen nicht nur für „Klimaschutz“, sondern auch für „Law and Order“ ein. „Eine starke Zivilgesellschaft mit einer progressiven Grundorientierung und eine Politik im Rathaus, die auf Ordnung setzt – diese Kombination ist das stärkste Bollwerk, das man gegen die AfD konstruieren kann.“

Palmer sah Zuschreibung des Verfassungsschutzes kritisch

Im Mai 2025 hatte sich Palmer skeptisch zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ durch den Bundesverfassungsschutz geäußert. Diese Einstufung sei aus seiner Sicht „gewagt“. Denn „nur stramm rechts zu sein und migrationsfeindlich“, sei hierzulande „nicht verboten“. Wenn aber eines sicher sei, so wäre dies „ein Sieg der AfD nach einem gescheiterten Verbotsantrag“.
Der Verfassungsschutz, so Palmer damals, würde dem verbreiteten Irrtum aufsitzen, dass „alles Rassismus sei, was Unterschiede im Verhalten mit der Herkunft in Verbindung bringt“. Dem sei aber nicht so: „Diese Unterschiede gibt es. Sie sind nur sozialisationsbedingt und nicht genetisch.“ Vor der Einwanderungswelle 2015 seien anlassfreie Messermorde im öffentlichen Raum schließlich unbekannt gewesen, gab Palmer seinerzeit zum Ausdruck.
Patrick Reitler, geboren in den späten Sechzigerjahren am Rande der Republik. Studium der Komparatistik, Informationswissenschaft und Sozialpsychologie. Seit der Jahrtausendwende als Journalist hauptsächlich in Online-Redaktionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und als Fußballkommentator unterwegs. Seit Ende 2022 freier Autor. Bei Epoch Times vorwiegend für deutsche Politik zuständig.

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