Logo Epoch Times
plus-iconChef der Polizeigewerkschaft

Rainer Wendt über Gewalt, Extremismus - und warum er trotzdem optimistisch bleibt

Der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, spricht im Interview mit Epoch Times über den Anschlag auf das Berliner Stromnetz, den Verlust von Freiheit durch die sich stetig verschlechternde Sicherheitslage, Clankriminalität und über positive Veränderungen durch die neue Bundesregierung.

top-article-image

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoiG), im EpochTV-Studio.

Foto: Stephan Kröker/Epoch Times

Artikel teilen

Lesedauer: 20 Min.

Am vergangenen Sonntag wurde eine Frau in Magdeburg auf offener Straße mit einer Stichwaffe angegriffen und getötet. Traurige Fälle wie dieser sind beinahe an der Tagesordnung. Was kann die Politik tun, um der Lage Herr zu werden? Wie begegnet die Polizei der wachsenden Bedrohung und worin ist jeder Einzelne unserer Gesellschaft gefordert? Dazu sprach Epoch Times mit Rainer Wendt.
Das Gespräch führten Epoch-Times-Chefredakteur Alexander Zwieschowski und Tom Goeller, Journalist mit langjähriger Erfahrung in der Sicherheitspolitik.
Da sind keine Aggregate, die anspringen, wenn etwas kaputtgeht, sondern dann ist eben der Stadtteil ohne Strom. Und wir fangen an, wie in Entwicklungsländern auf Masten zu klettern und Kabel zu reparieren, als ob es keine Ersatzsysteme gäbe. Ich finde so etwas unverantwortlich in einer Millionenstadt.
Zunächst einmal geht es bei dieser Form von Extremismus darum, politische Statements mithilfe von Gewalt durchzusetzen und die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Es hat auf die Bahn gefährliche Anschläge gegeben.
Man muss sich schon sorgen darüber, wie unsere kritische Infrastruktur eigentlich geschützt ist. Man muss nur irgendwelche Platten beiseiterücken und schon kann man die Bahn lahmlegen, um die Kabel kaputtzumachen. Um den Schutz unserer kritischen Infrastrukturen ist es ganz fürchterlich bestellt. Überall werden die Lücken deutlich.
Ein anderes Beispiel: An allen deutschen Flughäfen konnten und können Aktivisten mit einfachen Drahtscheren auf das Rollfeld gelangen. In anderen Ländern ist das unvorstellbar. Und das liegt daran, dass die Betreiber nicht daran denken, dort vernünftige Schutzmaßnahmen zu treffen, weil der Gesetzgeber sie dazu nicht verpflichtet.
Die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat sich lieber mit Kontrollquittungen und Kennzeichnungspflicht für die Polizei beschäftigt, als ein Gesetz zum Schutz kritischer Infrastrukturen zu machen. Das muss endlich geschehen. Wenn die Betreiber nicht dazu gezwungen werden, diese Anlagen zu schützen, werden sie das auch nicht tun.
Die Grünen lehnten das ab und verwiesen auf einen Beschluss des Parteitages. Also ersetzt Ideologie Faktenwissen. Und dann ist natürlich eine Diskussion auch schnell zu Ende – oder sie beginnt gar nicht erst. Und das erlebe ich bei Alexander Dobrindt und bei anderen Politikern, auch aus der SPD, anders. 
Zwieschowski: Messerangriffe mehren sich. Es gibt sogar schon Websites, die aufzeigen: So viele Messerangriffe gab es im gesamten Bundesgebiet am heutigen Tag. Laut offiziellen Polizeimeldungen und gerade auch nach Solingen ist wieder die Debatte hochgekommen, das Waffengesetz zu verschärfen, Messer zu verbieten und mehr Messerverbotszonen einzurichten. Wie sehen Sie das aus der Sicht der Polizei? Bringt das etwas? Was kann die Politik effektiv tun?
Es ist allerdings völliger Quatsch, Schilder aufzustellen, die das Tragen von Waffen zeitlich begrenzen, etwa von 19 bis 4 Uhr. Das fällt wirklich nur Politikern ein. Da frage ich mich manchmal: Was muss man eigentlich geraucht haben, um solche Schilder aufzustellen? Entweder ist es verboten oder es ist nicht verboten.
Bevor ich in eine Diskothek gehe, muss ich wissen, wie ich wieder nach Hause komme und mit wem. Diese Stichschutzhemden sind Blödsinn. Die Polizei verfügt über eine gute Schutzausstattung, aber selbst die funktioniert nicht lückenlos, wie wir leider festgestellt haben. Da sind ja Leute mit Messern unterwegs, die gezielt die Halsschlagader treffen wollen. Da kann man sich nur schwer schützen.
Die Untersuchung stammt vom Beamtenbund, der jedes Jahr die Bürger befragt. Die Akzeptanz in die Demokratie lässt dramatisch nach. Und es wäre nicht die erste Demokratie, die nicht aus der Vielzahl ihrer Feinde, sondern aus Mangel an ihren Freunden zugrunde geht. Wir brauchen wieder eine größere Akzeptanz, und dafür muss der Staat mehr tun.
Goeller: Das geht genau in die Richtung, dass sich immer mehr Bürger so unsicher fühlen, dass sie sagen, es gibt auch nicht genug Polizei. Inzwischen denkt man in vielen Gegenden Deutschlands über Bürgerwehren nach oder gründet welche. Wie stehen Sie zu der Idee einer Bürgerwehr?
Genauso wichtig ist aber auch das Schutzversprechen des Staates. Der sorgt dafür, dass man sich im öffentlichen Raum wohlfühlen kann. Doch die Angst der Deutschen wächst. Schaut man Fernsehsendungen aus der Silvesternacht, dann sieht man viel Gewalt im öffentlichen Raum, viele Waffen und wenig Frauen. Sie meiden aus Angst manche Veranstaltungen.
Wir sehen ein Vermeidungsverhalten in weiten Teilen der Bevölkerung. Die Menschen gehen nach Hause, solange es noch hell ist, und verbarrikadieren sich in ihren Häusern und Wohnungen. Manche glauben, das sei ein Zeichen von Sicherheit, weil ihnen nichts passiert, wenn sie zu Hause sind. Das ist absoluter Zynismus.
Die Wahrheit ist, dass es hier um einen kollektiven Verlust von Freiheit aufgrund mangelhafter Sicherheit geht. Das heißt, Menschen beschränken sich selbst, bleiben zu Hause, weil sie Angst haben. Und das muss den Staat eigentlich besorgen. Aber ich sehe nicht, dass das der Fall ist. Im Gegenteil, der öffentliche Raum wird nicht besser, er wird gefährlicher.
Goeller: Ja, und deshalb gründeten sich an manchen Orten Bürgerwehren, um den öffentlichen Raum zu schützen. Wie stehen Sie denn als Polizist dazu?
Das kann man nur ablehnen. Bürgerwehren folgen keinen gesetzlichen Vorgaben. Sie haben keine demokratische, keine staatspolitische Legitimation. Es stimmt, dass es nicht genügend Polizisten gibt. Daher muss mehr moderne Technik zum Einsatz kommen. In Berlin setzen wir Hunderte Polizisten dafür ein, Objekte zu bewachen. Was für ein Unfug! 
Warum steht an den neuralgischen Punkten nicht moderne Videotechnik? Die kann man noch mit Künstlicher Intelligenz koppeln. Das gibt es alles, aber wir machen das einfach nicht.
Goeller: Es hat doch angefangen. In Frankfurt am Main und in Hamburg hat man an neuralgischen Punkten Überwachungskameras mit Gesichtserkennung aufgestellt. Sind das die ersten richtigen Schritte?
Derjenige, der vor dem Bildschirm sitzt, schaut auf einen schwarzen Bildschirm. Er hellt erst dann auf, wenn die Technik einen außergewöhnlichen Zustand feststellt. Wenn ich etwa über den Alexanderplatz gehe, interessiert die Technik das gar nicht, daher bleibt der Bildschirm schwarz. Wenn ich aber stürze, dann signalisiert die Technik, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. 
Bei chinesischen Produkten wäre ich ausgesprochen vorsichtig. Wir sollten uns auf deutsche und europäische Produkte beschränken. Die sollten wir uns leisten und dafür ein paar weniger Nichtregierungsorganisationen finanzieren.
Staatsanwaltschaften führen nur die schwersten Fälle vor, bei denen auch Fluchtgefahr besteht. Das hat auch was mit mangelnden Plätzen für Untersuchungshäftlinge zu tun, nicht mit mangelndem Willen von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Und die werden nicht mit Handzetteln ausgetragen, sondern da geht es dann gleich auch zur Sache. Es geht um unfassbar viel Geld, und da fackeln die nicht lange, wie wir gesehen haben, beispielsweise in Köln, wenn es darum geht, den Drogenmarkt dort zu erobern oder zu verteidigen.
Zwieschowski: Da schließe ich direkt eine Frage zu Berlin an. Im Durchschnitt gab es im letzten Jahr jeden Tag eine Schießerei. Ist die organisierte Kriminalität besonders hoch in der Hauptstadt?
Durch Zuwanderung sind in den vergangenen zehn Jahren auch neue Gruppen zu uns gekommen, die sich hier organisieren. Und dann gibt es diese Konflikte, die in ihrer Heimat mit Waffen ausgetragen werden. Und warum sollen sie das hier anders machen als in der Heimat?
Ich war vergangene Woche im Europäischen Parlament und habe dort in der EVP-Fraktion mit Manfred Weber und vielen anderen Politikerinnen und Politikern sprechen können. Sie nehmen das Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Militär sehr ernst und wollen weitere Regelungen auf den Weg bringen, die wir ausdrücklich unterstützen. Es gibt viele positive Signale, und Deutschland ist immer noch ein starkes Land. Und wir haben eine tolle Polizei.
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für Epoch Times. Ferner war er von 1995 bis August 2023 Reserveoffizier im Dienstgrad Oberstleutnant und nahm an Auslandseinsätzen teil, unter anderem zehn Monate im Irak.

Aktuelle Artikel des Autors

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.