Verkehrslockdown: Mehrheit der Deutschen für Beschränkung des Streikrechts

Soll das deutsche Streikrecht in manchen Branchen eingeschränkt oder gar gesetzlich verboten werden? Der „Superstreik“ am vergangenen Montag hat die Debatte erneut ins Rollen gebracht.
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Die Gewerkschaften EVG und Verdi haben weite Teile des öffentlichen Verkehrs lahmgelegt.Foto: Leonhard Simon/Getty Images
Von 30. März 2023

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Flugzeuge starteten nicht. Busse und Bahnen blieben in den Depots. Auf den digitalen Anzeigetafeln der Bahn steht – nichts. Es sind Bilder, die an die Corona-Lockdowns vor über einem Jahr erinnern. Die gute Nachricht ist: Die Pandemie ist nicht zurück. Und doch befand sich Deutschland für einen Tag lang in einem „Verkehrslockdown“.

Mit einem großen Warnstreik haben die Gewerkschaften EVG und Verdi am Montag, 27. März, den Bahn-, Luft- und Schiffsverkehr im ganzen Land weitgehend lahmgelegt. Millionen Berufspendler und Reisende sowie weite Teile des Güterverkehrs waren betroffen. Ist das noch verhältnismäßig?

Nun, der Ruf wird lauter, das Streikrecht für Mitarbeiter in kritischen Infrastrukturen einzuschränken, wie bei Bahnen, im Flugverkehr oder bei der Energie- und Wasserversorgung.

„Aus unserer Sicht braucht es ein neues Gesetz, das einen Rahmen für Streiks im Bereich der kritischen Infrastrukturen setzt, und zwar nur für diesen Bereich, damit der Streik am Ende von Verhandlungen steht und nicht am Anfang“, sagte die Chefin der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“.

„Wir wollen Streiks nicht verbieten“, fügte die CDU-Politikerin hinzu. Für die kritische Infrastruktur brauche es aber klare Regeln, um die Schäden für unbeteiligte Dritte so gering wie möglich zu halten.

Anzeigetafel am Berliner Hauptbahnhof am 27. März 2023. Foto: Maja Hitij/Getty Images

Streikrecht wie ein „Flickenteppich“

Connemanns Vorschlag: Zunächst solle ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Wenn das nicht erfolgreich verlaufe, könne gestreikt werden – mit einer viertägigen Ankündigungsfrist und Notfalldiensten. Sie beklagte zudem die aktuelle Streik-Rechtsprechung, die einem „Flickenteppich“ gleichkommt und vom jeweiligen Richter abhängig ist.

In Deutschland gibt es kein explizites Gesetz zum Streikrecht. Die konkreten Rahmenbedingungen und Grenzen eines Streiks werden durch die Rechtsprechung der Gerichte festgelegt und können sich stetig weiterentwickeln.

Dies bedeutet, dass die Gerichte im Laufe der Zeit durch ihre Urteile und Entscheidungen das Streikrecht ausgeformt haben. Auf diese Weise werden die Kriterien für einen „rechtmäßigen Streik“ festgelegt, wie zum Beispiel die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Streiks sowie die Friedenspflicht und die Tarifgebundenheit der Streikenden. Auch die Frage, welche Formen des Streiks zulässig sind, ist durch die Rechtsprechung festgelegt worden.

So geht es im öffentlichen Dienst weiter

Aus Sicht des Gewerkschaftsvorsitzenden der EVG, Martin Burkert, sind die Warnstreiks im Verkehrssektor „notwendig und verhältnismäßig“. Seit Montag läuft die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst zwischen Bund, Kommunen und der Gewerkschaft Verdi, die mit der EVG gemeinsam zum Arbeitskampf aufgerufen hatte. Angesichts der verhärteten Fronten war es unklar, ob bei der auf drei Tage angesetzten Verhandlungsrunde ein Durchbruch gelingt.

Der Chef des Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, brachte ein Scheitern ins Spiel. Sollten die Arbeitgeber ihr Angebot nicht deutlich nachbessern, sagte er: „Wir würden dann wahrscheinlich in die Schlichtung gehen. Sollte die wiederum zu keinem Ergebnis führen, dann wird es mal wieder sehr dunkel in Deutschland.“ Silberbach kündigte für den Fall einen „flächendeckenden, unbefristeten Arbeitskampf“ an.

Berlin Hauptbahnhof am 27. März 2023. Foto: Maja Hitij/Getty Images

Mehrheit der Deutschen für Einschränkung des Streikrechts

Bei den Arbeitgebern gab es hingegen schon vor dem „Superstreik“ am Montag großen Aufschrei. Sie warfen den Gewerkschaften überzogenes Handeln vor. An dem „übertriebenen Streik leiden Millionen Fahrgäste, die auf Busse und Bahnen angewiesen sind“, sagte ein Bahnsprecher. Nachteile hätten auch Tausende Unternehmen, die ihre Güter über die Schiene empfingen oder versendeten.

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, sieht die Akzeptanz für das Streikrecht „gefährdet“. Dies zeigt auch eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Insa im Auftrag des Wirtschaftsflügels der CDU.

Demnach sprechen sich 59 Prozent der Anfang März befragten Bundesbürger für eine Einschränkung des Streikrechts im Bereich kritischer Infrastrukturen aus. Streiks in diesen Bereichen sollten nur noch nach einem vorangegangenen Schlichtungsverfahren und einer Vorankündigung von mindestens vier Tagen durchgeführt werden dürfen. Fast ein Drittel der potenziellen Unionswähler sind sogar für ein vollständiges Verbot von Arbeitsniederlegungen im Bereich der kritischen Infrastrukturen.

Warnstreiks dürften zudem die deutsche Tarifautonomie nicht „radikalisieren“, sagte Kampeter der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa). „Ein Blick nach Frankreich zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf die schiefe Ebene begibt.“ In Frankreich haben zuletzt Millionen Menschen gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron protestiert. Die über Wochen friedlichen Proteste wurden zuletzt von massiver Gewalt und Auseinandersetzungen überschattet.

(Mit Material von dpa und dts)



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