Nichts geht mehr: Streik an 800 Standorten legt Deutschland lahm

Der Streik im öffentlichen Dienst und bei der Bahn führt zu erheblichen Einschränkungen der Mobilität. Betroffen sind auch mehrere große Flughäfen.
«Warnstreik 12% mind. 650 €»: Streikkundgebung der EVG am Hauptbahnhof Stuttgart.
„Warnstreik, 12 Prozent mind. 650 €“: Streikkundgebung der EVG am Hauptbahnhof Stuttgart.Foto: Julian Rettig/dpa
Von 27. März 2023

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Seit Montag, dem 27. März, um Mitternacht befinden sich zehntausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und der Bahn an mehr als 800 Standorten im Streik. Zum Ausstand aufgerufen hatten Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Es handelt sich um einen eintägigen Warnstreik. Allerdings hat die EVG bereits anklingen lassen, dass es ohne ein Einlenken der Arbeitgeber auch über Ostern zu Arbeitskämpfen kommen könnte.

In sieben Bundesländern Streik auch im Nahverkehr

Betroffen von den Arbeitsniederlegungen sind der Fern- und Regionalverkehr der Deutschen Bahn. Bestreikt werden vielfach auch ÖPNV, Schleusen für den Schiffsverkehr und die größten Flughäfen – mit Ausnahme von Berlin. Insgesamt sind etwa 350.000 Beschäftigte zur Teilnahme am Streik aufgerufen.

Bereits seit Sonntag findet auf dem Flughafen München keine Passagierbeförderung mehr statt. In vielen Städten ist mit Staus zu rechnen. Einige Schulen, insbesondere weiterführende, haben auf Remote-Betrieb umgestellt. Auch dort, wo Betriebe auf diese Option eingestellt sind, treten vorübergehend wieder Homeoffice-Regelungen in Kraft.

Die Deutsche Bahn teilt mit, dass die Lage an den Bahnhöfen ruhig sei. Die meisten Reisenden seien der Empfehlung des Konzerns gefolgt, geplante Fahrten zu verschieben. In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen betrifft der Streik auch den Nahverkehr.

Arbeitgeber werfen Gewerkschaften überzogenes Vorgehen vor

Parallel zu den Kampfmaßnahmen beginnt am Montag in Potsdam die dritte Runde der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Verdi fordert für die rund 2,4 Millionen Beschäftigten ein Plus von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro, beim Gehalt. Auf diese Weise wollen sie die Beschäftigten vor allem in Anbetracht der Preisanstiege des Vorjahres und der anhaltenden Inflation schadlos halten.

Die Arbeitgeber wollen demgegenüber von der Möglichkeit steuerlich begünstigter Einmalzahlungen Gebrauch machen. Sie bieten eine steuerfreie Einmalzahlung von 2.500 Euro und ein Plus von fünf Prozent für eine Laufzeit von 27 Monaten an. Den Gewerkschaften werfen sie ein „völlig überzogenes“ Vorgehen vor. Diese würden mit ihrem Vorgehen „ihre Glaubwürdigkeit verspielen“.

EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch spricht hingegen von einer „Verweigerungshaltung“ der Arbeitgeber. Diese hätten trotz der angespannten Situation vieler Beschäftigter „nichts vorgelegt […], über das wir ernsthaft verhandeln könnten“. Der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft, Martin Burkert, spricht in der „Augsburger Allgemeinen“ sogar von „unsozialen Gegenforderungen“ wie Urlaubskürzungen.

Landsberg stellt kommunale Mehrbelastungen in Aussicht

Loroch verweist darauf, dass vor allem untere Lohngruppen wie Busfahrer und Kundenbetreuer auf Bruttolöhne zwischen 2.100 und 2.400 Euro angewiesen seien. Die EVG, die mit der DB und 50 weiteren Verkehrsbetrieben verhandelt, verlangt ein Lohnplus von insgesamt zwölf Prozent über ein Jahr Laufzeit. Mindestens soll es jedoch ein Plus von 650 Euro als „soziale Komponente“ geben.

Demgegenüber spricht Konzernsprecher Achim Stauß von einem „unnötigen und überzogenen Streik“ und weist auf die Vielzahl betroffener Bahnkunden hin. Am Dienstag soll der Verkehr wieder planmäßig stattfinden. Für den Montag reservierte Fahrkarten sollen Kunden noch bis 4. April benutzen können.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) warnt wiederum vor einer drohenden Überforderung der Kommunen durch unverhältnismäßige Tarifabschlüsse. Gegenüber der „Bild“ (Montagsausgaben) kündigt Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg für diesen Fall Mehrbelastungen für die Bürger an.

Die Kommunen seien gezwungen „zum Beispiel die Müllgebühren, Eintrittspreise für Schwimmbäder oder die Grundsteuer anzuheben“. Außerdem könnten die bereits jetzt klammen Kommunen „künftig weniger Geld beispielsweise in die Renovierung von Schulgebäuden stecken“.

Seit 1993 mehr als 6.000 Streiks in Deutschland

Wie das Statistische Bundesamt erhoben hat, gab es in Deutschland von 1993 bis 2021 insgesamt etwa 6.000 Streiks. Als einer der längsten Ausstände in der Geschichte der Bundesrepublik galt der Streik beim Cateringunternehmen GateGourmet am Flughafen Düsseldorf. Vom Oktober 2005 bis April 2006 legten auf Betreiben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Beschäftigte damals ihre Arbeit nieder. Allerdings unterlief der Arbeitgeber die Kampfmaßnahmen mehrfach durch Streikbruch mittels Leiharbeit.

Ebenfalls 2006 streikten Beschäftigte der AEG Nürnberg vier Wochen lang für einen Sozialtarifvertrag mit höheren Abfindungen. In den Jahren 2007 und 2014 setzte sich vor allem die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit ausgedehnten Kampfmaßnahmen in Szene. Der Bahn entstand durch die Streiks ein hoher Schaden. Zugleich scheiterte sie mit Versuchen, die Arbeitsniederlegungen auf gerichtlichem Wege zu stoppen.

Die GDL erreichte 2007 vielmehr vor dem Landesarbeitsgericht Sachsen zu ihren Gunsten eine Wende in der Rechtsprechung: Dieses hob den lange Zeit geltenden Grundsatz auf, wonach es nur einen Tarifvertrag innerhalb eines Betriebes geben dürfe.

(Mit Material von AFP)



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