
Mehr als nur Spielerei: Wie exzessive Mediennutzung bei Heranwachsenden auf seelische Not hinweist
Viele Kinder nutzen digitale Medien nicht nur zur Unterhaltung, sondern als Flucht vor Ängsten und Stress. Eine internationale Studie mit über 300.000 Kindern zeigt: Bildschirmzeit ist oft ein Ventil für ungelöste seelische Konflikte – und verschärft diese zugleich. Ein Teufelskreislauf.

Medienkonsum bei Kindern: Trost, Teilhabe – oder tickende Zeitbombe?
Foto: iStock Andrea Zorii
Zu viel Zeit vor Bildschirmen zu verbringen, kann sowohl eine Ursache für Schäden als auch ein Symptom für ein zugrunde liegendes Problem sein. Eine neue weltweite Studie mit mehr als 300.000 Kindern hat ergeben, dass die übermäßige Nutzung von Bildschirmen oft ein Versuch von Kindern ist, mit Ängsten, Depressionen und sozialen Schwierigkeiten fertigzuwerden, die sie noch nicht artikulieren können.
„Es ist wie Trostessen, nur mit Geräten“, sagte Michael Noetel, außerordentlicher Professor für Psychologie an der Universität von Queensland und Mitautor der Studie, gegenüber der US-Ausgabe der Epoch Times. Der Kreislauf verschlimmere sich mit der Zeit.
Ein Teufelskreis
Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen, die nur Momentaufnahmen lieferten, wurden in der neuen Studie 117 Längsschnittstudien analysiert. Die Studie beobachtete Kinder im Alter von zehn Jahren und jünger über einen längeren Zeitraum mit dem Ergebnis, dass die Bildschirmzeit zu sozio-emotionalen Problemen führten und sozio-emotionale Probleme wiederum zu einer erhöhten Bildschirmzeit führten. Kurz: Dem Problem wird mit dem Verursacher des Problems begegnet, was zu einer Art sich selbst verstärkenden Endlosschleife führt.
Zu den sozio-emotionalen Verhaltensweisen zählen äußere Anzeichen von Aggression und Hyperaktivität oder auch innere Kämpfe, die sich in Angst und Depression ausdrücken.
Das Grundprinzip des Basisproblems: Ein hoher Bildschirmkonsum verdrängt wichtige schützende Verhaltensweisen wie Schlaf, Bewegung und persönliche Interaktionen mit anderen Menschen – Aktivitäten, die Kindern helfen, Emotionen zu regulieren, soziale Fähigkeiten aufzubauen und das Risiko psychischer Probleme zu verringern, so Roberta Pires Vasconcellos, Mitautorin der Studie und Dozentin an der Universität von New South Wales, im Gespräch mit Epoch Times.
Für Kinder, die bereits Probleme haben, besteht die Gefahr, dass sie sich vor den Bildschirm flüchten, was das Problem noch verschlimmert und zu Problemen wie Depressionen und Angstzuständen führen kann.
Auch in Deutschland: Spiele, Streaming, Daddeln
Auch in Deutschland zeigt mehr als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen einen riskanten oder pathologischen Medienkonsum. Das legen aktuelle Ergebnisse einer DAK-Längsschnittstudie zur Mediennutzung des Nachwuchses nahe, die seit 2019 am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf läuft. Den Ergebnissen von 2024 nach sind Suchtprobleme bei Videospielen und Social Media 2024 zwar leicht zurückgegangen, liegen aber weiterhin über dem Niveau von 2019, also der Vor-Corona-Zeit.
Laut der Untersuchung haben 1,3 Millionen, also über 25 Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen, einen problematischen Medienkonsum. 4,7 Prozent sind süchtig. Dabei sind Jungen mit 6,0 Prozent übrigens doppelt so häufig betroffen wie Mädchen mit 3,2 Prozent.
Jetzt neu: Phubbing als gegenseitiges Problem
Erstmalig wurde auch das Phänomen „Phubbing“ untersucht, also die Nutzung des Smartphones in unangemessenen Situationen wie einem Gespräch oder am Esstisch. Das Wort setzt sich aus den englischen Wörtern „phone“ (Telefon) und „snubbing“ (brüskieren, ignorieren) zusammen.
35,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Smartphone-Nutzung anderer Personen ignoriert, so die Forscher. Aber nicht nur die Kids, auch Eltern sind betroffen: 29,2 Prozent fühlten sich ignoriert, 28,2 Prozent erlebten entsprechende Konflikte. Jugendliche mit Phubbing-Erfahrungen sind demnach einsamer, depressiver, ängstlicher und gestresster als solche ohne.
Auch wenn der Gebrauch digitaler Spiele laut der Studie in Deutschland rückgängig ist, nutzen aktuell 12 Prozent der Kids digitale Spiele problematisch, 3,4 Prozent sogar pathologisch.
Auf die Art der Nutzung kommt es an
Dabei gehen die größten Risiken von Spielen aus, insbesondere von Online-Multiplayer-Spielen, wie die US-amerikanische Studie herausgefunden hat. „Kinder, die spielen, haben ein viel höheres Risiko, Probleme zu entwickeln, als Kinder, die den Bildschirm für andere Dinge nutzen“, fasst Studienmacher Noetel zusammen. „Und Kinder, die emotionale Probleme haben, greifen auch eher zu Spielen.“
Jüngere Kinder sind noch dabei, ihre Emotionen zu regulieren, und sind in ihrem Zeitmanagement noch nicht gefestigt. Damit sind sie dem Suchtpotenzial von Computerspielen und deren Dopaminkicks ohne Widerstand ausgeliefert. Videospiele können ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit oder Kompetenz vermitteln, das sie anderswo nicht finden, und damit direkt die psychologischen Bedürfnisse emotional verletzlicher Kinder ansprechen, so der Hinweis von Studienmitautorin Roberta Pires Vasconcellos.
Kontext der Bildschirmnutzung
Dass Mediennutzung einen wichtigen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe darstellt und nicht einfach verwehrt werden kann, hat sich bis in die Kinderzimmer verbreitet. Als Richtwerte für die tägliche Mediennutzung empfiehlt in Deutschland die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bei Heranwachsenden maximal 45 Minuten für bis Neunjährige und höchstens täglich 1 Stunde Nutzung von Bildschirmmedien für bis Zwölfjährige.
Allerdings: Ebenso wichtig wie die Nutzungszeiten ist es, wie Bildschirme genutzt werden. Statt allein gemeinsam zu spielen oder zu schauen, macht einen großen Unterschied. Es sei wie der Unterschied zwischen einem Abendessen allein oder mit der Familie, so Studienmacher Noetel: „Gleiches Essen, anderes Erlebnis.“
Hinzu kommt: Wenn die Eltern anwesend sind, können sie den Kindern helfen, das Gesehene zu verarbeiten, und gesunde Verhaltensweisen vorleben oder diese gemeinsamen Momente auch zu pädagogischen Gelegenheiten werden lassen, um emotionale Regulierung, kritisches Denken und den Umgang mit Onlinedynamiken zu unterstützen und zu lehren.
Eltern sollten ihre Kinder an hochwertige Inhalte heranführen, die eine gesunde Entwicklung fördern, etwa Inhalte, die die Entwicklung fördern, die Kindern zeigen, wie sie ihre Gefühle regulieren können, Apps, die Teamarbeit und Strategie belohnen, oder kreative Apps, mit denen man zeichnen oder Musik machen kann.
Einfach nur die Bildschirmzeit zu begrenzen, reicht nicht aus, so die Studienautoren. „Die derzeitigen Richtlinien sind so, als würde man den Eltern sagen, sie sollen das Essen einschränken, ohne ihnen zu erklären, dass Chips etwas anderes sind als Karotten“, so Noetel.
Lydia Roeber hat sich schon ihr Studium an der FU Berlin mit Texten verdient und lange als Fernsehjournalistin gearbeitet. Früher als Reisejournalistin tätig, nimmt sie sich heute bevorzugt die drängenden gesellschaftlichen Themen bei der Epoch Times vor – von Transhumanismus über digitale Kontrolle bis zum Bildungsnotstand.
Aktuelle Artikel der Autorin
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.