Analog schlägt digital: Warum Kinder mit Stift und Papier besser lesen lernen
Wenn Vorschulkinder lesen lernen, zählen die Basics: Buchstaben schreiben, Wörter entdecken – mehr braucht es oft nicht für das Lesenlernen. Die Ergebnisse einer neuen Studie zeigen, wie Familien ein häusliches Umfeld schaffen können, das die frühen Lese- und Schreibfähigkeiten von Kindern fördert. Verzicht auf digitale Hilfsmittel ist ratsam.

Kinderleicht das ABC lernen.
Foto: iStock/Cheangchai4575
In Kürze
- Analoge Erfahrungen sind entscheidend: Kinder lernen Lesen am besten durch direkten Umgang mit Stift, Papier und Büchern.
- Apps oder digitale Spiele sind weniger hilfreich.
- Elterntipps: Buchstaben entdecken, Schreiben und Vorlesen spielerisch einbinden
Stellen Sie sich vor: Ein kleines Mädchen sitzt am Küchentisch. Vor ihm liegt ein Blatt Papier, daneben ein Buntstift. Mit der Zunge zwischen den Lippen malt es konzentriert einen krummen, aber stolzen Buchstaben A. Kaum ist der erste Strich geschafft, ruft es: „Das ist mein Anfangsbuchstabe!“ In diesem Moment passiert mehr als eine spielerische Fingerübung. Das Kind verknüpft Klang und Symbol, Laut und Schrift, Gedanke und Ausdruck. Es spürt, wie die Linien aus der eigenen Hand entstehen, und erkennt, dass sie etwas bedeuten. Lesenlernen beginnt genau hier – nicht auf einem Bildschirm, sondern mitten im echten Leben, mit all seinen Formen, Oberflächen und haptischen Erfahrungen.
Digitale Medien versus analoge Methoden
In unserer Gegenwart, in der Tablets und Smartphones längst auch in Kinder- und Schulzimmern angekommen sind, scheint es naheliegend, dass Lern-Apps, digitale Spiele und bunte Animationen den klassischen Weg in die Welt der Buchstaben ersetzen könnten. Eltern greifen zu solchen Angeboten in der Hoffnung, ihren Kindern den Start zu erleichtern oder ihn spielerisch attraktiver zu gestalten. Doch eine aktuelle Untersuchung der Michigan State University zeigt, dass es gerade nicht die digitalen Hilfsmittel sind, die Vorschulkinder beim Lesenlernen am besten unterstützen. Vielmehr sind es die scheinbar altmodischen Methoden, die den entscheidenden Unterschied machen.
Das häusliche Umfeld im Umgang mit Sprache und Schrift bildet eine wichtige, wenn auch kurze Phase, in der Kinder im Vorschulalter außerhalb des Klassenzimmers erste Lese- und Schreibfähigkeiten entwickeln. Das Forscherteam untersuchte über 1.000 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren und analysierte, wie verschiedene häusliche Lernaktivitäten ihre frühen Lese- und Schreibfähigkeiten beeinflussten.
Sie unterschieden drei Bereiche: den direkten Umgang mit gedrucktem Material wie das Schreiben von Namen oder das Erkennen von Buchstaben im Alltag, das gemeinsame Lesen von Büchern sowie Lernspiele, darunter digitale Apps oder klassische Alphabetspiele. Die Ergebnisse waren eindeutig. Kinder, die regelmäßig mit Printmedien arbeiteten, zeigten die größten Fortschritte, ganz gleich ob sie eine unauffällige Entwicklung durchliefen oder Sprach- und Sprechstörungen hatten.
Was Eltern über Lernspiele wissen sollten
Besonders überraschend war der Befund, dass Kinder, die viel Zeit mit Lernspielen verbrachten, schlechtere Ergebnisse in Lesetests erzielten. Das gilt sowohl für digitale Varianten mit Animationen und Musik als auch für klassische Spiele, wenn sie zu sehr den spielerischen Charakter in den Vordergrund stellen. Spiele, die vorrangig unterhalten und dabei bunte Reize liefern, lenken offenbar vom eigentlichen Kern ab: dem geduldigen, bewussten Verknüpfen von Laut und Schriftzeichen. Zwar war das gemeinsame Lesen von Büchern bei Kindern ohne Sprachschwierigkeiten ein förderlicher Faktor, doch die stärkste Wirkung ging eindeutig von den analogen schriftlichen Aktivitäten aus.
Damit stellt die Studie eine weitverbreitete Annahme infrage: Viele Eltern glauben, je mehr Lernmaterialien und digitale Hilfsmittel ein Kind nutzt, desto besser seien die Ergebnisse. Doch die Untersuchung zeigt, dass gerade der direkte Kontakt mit Schrift, das Schreiben mit der eigenen Hand und das Erkennen von Buchstaben in der unmittelbaren Umgebung die Grundlage bilden.
Es geht nicht darum, digitale Medien zu verteufeln. Vielmehr sollten sie als Ergänzung betrachtet werden, als Abwechslung und Anreiz, niemals jedoch als Ersatz für die analogen Erfahrungen.
Am Ende der Studie steht eine klare Botschaft: Je mehr sich Kinder mit gedrucktem Material beschäftigen, desto sicherer entwickeln sie ihre Lese- und Schreibfähigkeiten. Der Bildschirm kann ein Bonbon sein, ein kleines Extra. Aber das Fundament bilden Stift, Papier, Bücher und die Menschen, die ein Kind liebevoll durch diese Welt begleiten.
Einfach lesen lernen
Kinder können beim Einkaufen Buchstaben auf Verpackungen entdecken, beim Spazierengehen Straßenschilder entziffern oder beim Malen ihre Bilder mit eigenen Wörtern beschriften. Es geht darum, Buchstaben nicht nur zu sehen, sondern sie auch zu spüren, zu zeichnen, sie zu hören und mit Bedeutung zu füllen.
Das Lesenlernen wird unterstützt, wenn es mit emotionalen und sozialen Erfahrungen verknüpft ist. Gemeinsames Vorlesen zu Hause, bei dem Erwachsene den Text begleiten und Kinder aktiv mitsprechen, schafft eine Lernumgebung, die über die reine Informationsvermittlung hinausgeht. Solche Aktivitäten fördern die Sprachentwicklung, regen zum Nachfragen und zu Gesprächen an und fördern gleichzeitig soziale Bindungen und die langfristige Erinnerung an Gelesenes.
Auch spielerische Ansätze im analogen Raum sind kraftvoll. Kinder können Buchstaben aus Knete formen, Wörter mit Magnetbuchstaben auf dem Kühlschrank zusammensetzen oder in einer selbst gebastelten „Schreibwerkstatt“ kleine Bücher gestalten. Diese Erfahrungen fördern nicht nur die phonologische Bewusstheit, sondern auch Kreativität und Selbstvertrauen. Ein Kind, das stolz ein eigenes Bilderbuch präsentiert, hat nicht nur Buchstaben geübt, sondern auch gelernt, dass Schreiben Ausdruck bedeutet.
Drei Praxistipps für das ABC
Suchen Sie gemeinsam mit den Kleinen Buchstaben auf Straßenschildern, Lebensmittelverpackungen oder Speisekarten. Lassen Sie das Kind Buchstaben finden oder raten, wenn Sie sie ihm zeigen.
Ermutigen Sie Ihr Kind zum Schreiben und lassen Sie es seinen Namen schreiben, Buchstaben zeichnen oder Bilder beschriften, zum Beispiel beim Kuchenbacken den Namen aus Teig formen oder ins Mehl schreiben. Oder animieren Sie zum Sortieren der Buchstaben einer Buchstabensuppe und zum Schreiben der Geschwisternamen auf den Tellerrand.
Gestalten Sie das Lesen interaktiv, indem Sie auf Wörter zeigen, über Buchstabenlaute sprechen und beim Vorlesen Fragen stellen. Beispiel: Zeigen Sie ein Bilderbuch und fragen Sie zwischendurch: „Wo ist das Wort ‚Baum‘?“, „Mit welchem Buchstaben beginnt das?“ So wird Lesen interaktiv.
Lydia Roeber hat sich schon ihr Studium an der FU Berlin mit Texten verdient und lange als Fernsehjournalistin gearbeitet. Früher als Reisejournalistin tätig, nimmt sie sich heute bevorzugt die drängenden gesellschaftlichen Themen bei Epoch Times vor – von Transhumanismus über digitale Kontrolle bis zum Bildungsnotstand.
Aktuelle Artikel der Autorin
16. Oktober 2025
Was passiert, wenn China Seltene Erden nicht mehr liefert?
12. Oktober 2025
Mit Natur besser lernen: Die Schule als Garten des Denkens
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.
0
Kommentare
Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.












