Herkules und die Liebe zur Tugend

Die Bestimmung des Menschen ist es, sich über seine Laster zu erheben.
Titelbild
„Die Apotheose des Herkules“ von François Lemoyne, im Salon des Herkules im Schloss von Versailles.Foto: Public Domain
Von 13. Mai 2022

Einer der größten Helden der Antike ist Herkules. Der Legende nach ehrten ihn die Götter für seine Leistungen, indem sie ihm die Apotheose, die Erhebung eines Menschen zum Gott, gewährten. Im 17. und 18. Jahrhundert gaben die mächtigen französischen Könige großartige Kunstwerke in Auftrag, darunter ein Deckengemälde, das die Errungenschaften des berühmten Helden feiert und seine charakterlichen Qualitäten würdigen sollte.

François Lemoyne benötigte vier Jahre, um die „Apotheose des Herkules“ an der Decke des Herkulessalons im Schloss von Versailles zu vollenden. Als der Künstler mit dem Wandgemälde begann, hatte er bereits eine Ausbildung in den besten Techniken der italienischen Malerei in Paris an der Königlichen Akademie für Malerei und Bildhauerei von Ludwig XIV. absolviert. Ziel der Akademie war es, die klassischen Künste zu bewahren und zu vervollkommnen.

Ursprünglich wollte Lemoyne den Ruhm der französischen Monarchie und der königlichen Ahnenreihe malen, Herrscher für Herrscher. „Durch die Leistungen der größten französischen Könige wie Chlodwig, Karl der Große, Ludwig der Heilige oder Heinrich der Große wollte der Maler ihre Unsterblichkeit bezeugen“, schrieb Donat Nonnotte, ein ehemaliger Schüler von François Lemoyne, in seiner Abhandlung über die Malerei an der Akademie von Lyon.

Doch Ludwig XV. wählte die Apotheose – ein Thema, das die Tugenden verherrlichte – als Deckengemälde für die ehemalige königliche Kapelle im Palast. Das Werk wurde 1736 vollendet. Ludwig XV. bestieg den Thron offiziell einige Jahre später im Jahr 1743. Das Volk nannte ihn „den Geliebten“.

Am Ende seiner Herrschaft zog Ludwig jedoch die Gemütlichkeit der Gemächer seiner zahlreichen Mätressen der kühlen, aber wichtigen Einsamkeit des Palastes eines großen Monarchen vor. Diese Dekadenz leitete den Niedergang des rationalen Denkens ein, der schließlich am Ende des 18. Jahrhunderts zur beispiellosen Zerstörung der französischen Kultur durch die Französische Revolution und die Schreckensherrschaft führte.

Drei Jahrhunderte später setzt sich das kolossale Werk „Die Apotheose des Herkules“ nach wie vor mit dem Schicksal der Menschheit und den ihr verliehenen Mitteln zur Überwindung ihrer menschlichen Schwächen auseinander.

„Die Apotheose des Herkules“

Das circa 18 Meter lange und circa zwölf Meter breite Kunstwerk ist die größte bemalte Decke Europas mit 142 Figuren, von denen 62 auf Anhieb zu erkennen sind. In der Nähe der Figur des Herkules befinden sich neun Figurengruppen: Apollo auf den Stufen des Tempels der Erinnerung, Bacchus und der Gott Pan, Mars, der den Sturz der Ungeheuer beobachtet, die Heiligen, die von der Erde aus die Apotheose des Herkules verkünden, der Gott der Winde, Aeolus, Pluto und der Gott des Meeres, die Muse der schönen Künste sowie weitere Musen und Engel.

In einem Gedicht, das im Oktober 1736 in der Zeitschrift „Mercury of France“ veröffentlicht wurde, fasste Antoine Joseph Dezallier d‘Argenville die Bedeutung der „Apotheose“ zusammen: „Die Liebe zur Tugend erhebt den Menschen über sich selbst und macht ihn überlegen in den schwierigsten und gefährlichsten Unternehmungen; Hindernisse verschwinden, wenn er die Interessen seines Königs und seines Vaterlandes im Auge hat. Gestützt auf die Ehre und geleitet von der Treue erreicht er durch seine Taten die Unsterblichkeit.“

Liebe zur Tugend

In „Die Apotheose“ reitet der Held in einem Wagen in den Himmel, geführt von einem Engel namens Liebe zur Tugend. Dieser Engel, begleitet von Putten, die den Wagen des Halbgottes ziehen, stellt Herkules seinem Vater Jupiter vor. Man sieht, wie Jupiter dem Herkules die Göttin der Jugend, Hebe, anbietet. Sie wird von der Göttin Hymen zu ihm geführt.

Auf seinem Weg in den Himmel begegnet Herkules Ungeheuern und Lastern, die versuchen, ihn zurückzuhalten, jedoch leicht zu besiegen sind. Da sich der Held von der Gunst der guten Tugenden leiten lässt, können die Dämonen seinen glorreichen Vormarsch nicht ertragen und ziehen Grimassen, während er sie zu Boden wirft.

Vier allegorische Figuren, die die Kardinaltugenden darstellen, sitzen an den Ecken der bemalten Decke. Sie symbolisieren die Werte des Helden: Stärke, Gerechtigkeit, Mäßigung und Klugheit. Sie veranschaulichen den Charakter des neuen Herkules, der sich in den Himmel erhebt.

Zu der Zeit, als das Gemälde entstand, hatten diese Worte eine andere Bedeutung als heute. Sie gehörten zu einer Kultur, die mit dem Göttlichen verbunden war, und enthielten Botschaften über das Schicksal des Menschen. Stärke bedeutete zum Beispiel nicht körperliche Stärke, sondern die geistige Stärke von Mut und Tapferkeit.

Gerechtigkeit bedeutete Standhaftigkeit und die Entschlossenheit, jedem das zu geben, was ihm zusteht. Mäßigung bedeutete die Kontrolle des eigenen Willens über die Instinkte und die Beherrschung der Wünsche innerhalb der Grenzen des gesunden Menschenverstands. Die Klugheit verkörperte die praktische Weisheit und die Vernunft, die es ermöglichte, das wahre Gute vom wahren Bösen zu unterscheiden.

Die auf diesem Deckengemälde dargestellten Tugenden stehen in direktem Gegensatz zu den Lastern, die den Menschen bedrängen. Das erste dieser Laster ist der Neid (Eifersucht). Es folgen die anderen, die auf dem Gemälde durch abscheuliche und gequälte Figuren dargestellt werden. Zu ihnen gehören Zorn, Hass und Zwietracht, die der neu eingesetzte Gott schließlich durch die Liebe zur Tugend besiegt.

Der Neid (Eifersucht) befindet sich dem Helden am nächsten. Im 18. Jahrhundert galt dieses Ungeheuer als „das gefährlichste und unerbittlichste aller Laster und das einzige, dessen Wut über den Tod hinausgeht“, wie es in der Zeitschrift „Mercury of France“ von 1736 heißt. Es ist nicht Herkules‘ Stärke, sondern die Liebe zur Tugend, die es ihm in Verbindung mit den vier Kardinaltugenden ermöglicht, sich diesen unerbittlichen Lastern, die ihn zu vernichten versuchen, zu stellen, und sie zu besiegen.

Universelle Botschaft

Der Geniestreich der Franzosen am Ende des „Grand Siècle“ (Großes Jahrhundert) bestand darin, die klassischen Künste zu vereinen, indem sie das Heilige mit der Vernunft verschmolzen. Die französischen Kunstakademien vermittelten dies der Gesellschaft als französische klassische Kunst, die ihrerseits die tiefe Bedeutung eines Kunstwerks mit der ihm innewohnenden Schönheit verband.

Drei Jahrhunderte später, in denen unsere Welt noch nie so entwurzelt und von der glorreichen Kultur unserer Vergangenheit abgeschnitten war, verdoppeln Ungeheuer und Laster ihre Bemühungen, die Menschheit ihre göttliche Bestimmung vergessen zu lassen. Doch Werke wie „Die Apotheose“ mit ihren uralten und universellen Tugenden ermöglichen es uns, einen aufrechten Menschen zu sehen, der alle Schwierigkeiten überwindet, in allen Bestrebungen das Gute verfolgt, zerstörerischen Versuchungen widersteht und schließlich zum Himmel aufsteigt.



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