Frankreich: „Wir sind dabei, den Krieg gegen die Drogenhändler in Marseille zu verlieren“

Frankreich wird von „Narcoterrorismus“ überschwemmt. Auch in mittelgroßen Städten breiten sich organisierte, große Drogennetzwerke aus. Ganze Straßen und Siedlungen werden als Geiseln genommen. Rachefeldzüge mit Kriegswaffen nehmen zu. Es wird ein „Marshallplan“ zur Bekämpfung von Kriminellen gefordert.
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Emmanuel Macron versprach am 19. März eine „beispiellose Operation“ gegen den Drogenhandel in Marseille, als er die südliche Hafenstadt besuchte, die von Bandenmorden heimgesucht wird. Im Visier der Polizei steht unter anderem der Stadtteil La Castellane.Foto: Nicolas Tucat/AFP über Getty Images
Von 4. April 2024

„Wir sind dabei, den Krieg gegen die Drogenhändler in Marseille zu verlieren“, alarmierte Anfang März die Leiterin der Abteilung „Organisierte Kriminalität“ der Staatsanwaltschaft Marseille. Der Drogenhandel ist eine wachsende Geißel in „immer mehr Städten, auch in mittelgroßen Städten“, wie Staatspräsident Emmanuel Macron bei seinem Besuch Mitte März in der Cité de la Castellane in Marseille einräumte.

Drogenhandel, Waffenhandel, Racheakte – der illegale Drogenhandel breitet sich in den meisten großen und mittelgroßen französischen Städten aus und schafft eine Parallelwelt, die keinem Gesetz des Landes unterliegt.

Seine tentakelartige Organisation erstreckt sich von den sozialen Brennpunkten und Drogenumschlagplätzen, welche die Bevölkerung als Geiseln nehmen, bis zu dem, was man allmählich als „Narcoterrorismus“ zu bezeichnen pflegt.

Eine alltägliche Gewalt, die sich über ganz Frankreich ausbreitet und deren Bandenkrieg vor Kurzem in die Straßen von Rennes und Avignon eingedrungen ist.

Drogenkriminalität in Frankreich

Im Jahr 2023 wurden in Frankreich 450 Opfer des „Narcobanditentums“, also der Drogenkriminalität, registriert, 57 Prozent mehr als im Jahr 2022.  Ein „historisch noch nie erreichtes Niveau“, so der Staatsanwalt Nicolas Bessone. Er stellte im Dezember einen „sehr starken Anstieg der Drogenmorde“ im Zusammenhang mit dem Rauschgifthandel fest, da sich ihre Zahl innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt hatte.

Im Jahr 2022 beschlagnahmten die Behörden 157 Tonnen illegale Substanzen. Darunter sind 128,6 Tonnen Cannabis und 27,7 Tonnen Kokain – ein weiterer historischer Rekord, der das Ausmaß des tatsächlichen Drogenhandels zeigt.

Polizeibeamte kontrollieren am 21. März 2024 ein Auto in der Innenstadt von Marseille. Macron startete am 19. März 2024 eine große Operation gegen den Drogenhandel in Marseille und anderen französischen Städten. Foto: Nicolas Tucat/AFP über Getty Images

In Frankreich gibt es etwa 4.000 sogenannte Dealing Points (auch Deal Points genannt). Ein „immer florierender und gewalttätiger Drogenhandel“, der einen Parallelmarkt mit einem Jahresumsatz von fast 2,7 Milliarden Euro darstellt, wie Zahlen des Drogeninstituts INSEE für 2021 belegen.

Laut dem Bericht des Anti-Drogen-Büros (Office Anti-stupefiants; Ofast) mit dem Titel „The State of the Threat from Narcotic Trafficking“ leben 240.000 Menschen direkt oder indirekt von diesem Handel, 21.000 von ihnen arbeiten Vollzeit.

Internationaler „Narcoterrorismus“

Hinter dem Geschäft verbirgt sich eine üble Unterwelt: Waffenhandel, Rachefeldzüge, Korruption auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, Prostitution von Minderjährigen und eine Kleinkriminalität, die immer gewalttätiger wird, physisch und verbal, und sich um sie herum verbreitet. Eine Gewalt, die Familien zerbricht, eine Gesellschaftsordnung aufzwingt, die auf Geld und Drogen und der Angst vor Vergeltung beruht, auch „Narcoterrorismus“ genannt.

Die Netzwerke der Drogen beginnen für Cannabis meist in Marokko und führen über Spanien ins Land. Für Kokain gehen sie vor allem von Kartellen in Kolumbien und Peru aus, wobei der Großteil über den Hafen von Le Havre kommt.

Einfuhr und Großhandel sind auf europäischer Ebene organisiert, unter anderem von der italienischen Mafia, belgisch-niederländischen Gruppen und Kartellen vom Balkan,. Die kriminellen Organisationen in Frankreich sind für den Weiterverkauf an den Einzelhandel zuständig.

Diese Situation beginnt sich mit der Ankunft von in Frankreich operierenden Drogenhändlern wie der „DZ Mafia“ oder „Yoda“ zu ändern, die eine neue Art von Gewalt mit sich bringen.

5 Millionen Franzosen konsumieren Cannabis

Laut „Le Monde“ ist Frankreich gleichzeitig ein Transit- und Konsumland mit „intensivem Verkehr“. Gleichzeitig ist es aber auch Hauptschauplatz organisierter krimineller Gruppen, gesteuert von den führenden Köpfen der Netzwerke aus dem Ausland, insbesondere aus Dubai oder Algerien.

Es ist ein Netzwerk, das auf dem Drogenkonsum der Franzosen basiert – der zu den höchsten in Europa zählt.

Am 19. März 2024 im Bezirk La Castellane in Marseille, Südfrankreich. Die südliche Hafenstadt wird von Bandenmorden heimgesucht. Foto: Nicolas Tucat/AFP über Getty Images

Frankreich hat mit fünf Millionen Konsumenten von Cannabis pro Jahr am meisten Verbraucher in Europa, so der Bericht 2022 der französischen Drogenbeobachtungsstelle (bei 67 Millionen Einwohnern). Der Kokainmarkt wächst ebenfalls stark und steht mit über 600.000 Konsumenten an zweiter Stelle der am häufigsten konsumierten illegalen Drogen in Frankreich.

Der Drogenhandel geht mit einem wachsenden Waffenmarkt einher. Im Jahr 2022 beschlagnahmten die Behörden 8.000 Waffen, ein Anstieg um zehn Prozent im Vergleich zu 2021.

Es besteht die Befürchtung, dass die Drogenhändler auch einige Beamte bestechen könnten. Der Ofast-Bericht für 2023 zeigt, dass der Drogenhandel als sehr effektiver Geheimdienst agieren kann, der in der Lage ist, ein Korruptionsnetzwerk unter französischen Beamten zu verbreiten.

2023, das tödlichste Jahr in Marseille

Laut dem Staatsanwalt von Marseille erreichte die Zahl der Opfer im Zusammenhang mit dem Drogenhandel in der Stadt an der französischen Mittelmeerküste im Jahr 2023 ein „nie da gewesenes Niveau“. 49 Menschen starben, darunter gab es vier Kollateralopfer. Es gab 123 Verletzte.

Staatsanwalt Nicolas Bessone sieht vier Kategorien von Opfern des Drogenhandels: „Die einer kriminellen Gruppe angeschlossenen Drogenhändler; die jungen Wachposten und Verkäufer, die am Deal Point mit Maschinengewehren erschossen wurden; die unmittelbar anvisierten Bewohner von Siedlungen, die man sich nach der Logik des Narcoterrorismus für das bestehende Netzwerk aneignen will und schließlich die sogenannten Kollateralopfer.“

„Marshallplan“ zur Bekämpfung von Kriminellen gefordert

Die Drogenkriminalität wirkt in Marseille wie ein Krebsgeschwür, das das soziale Gefüge beschädigt, kommentierte der Präsident des Gerichtshofs von Marseille, Olivier Leurent, und fügte hinzu:

Der Staat scheint einen asymmetrischen Krieg gegen den illegalen Drogenhandel zu führen, ist aber angesichts der hochgerüsteten organisierten Banden geschwächt.“

Vor dem Besuch von Emmanuel Macron in Marseille am 19. März forderte der Präsident des Gerichtshofs von Marseille „die Einführung eines Marshallplans“ zur Bekämpfung von Kriminellen, die über eine immer größere Schlagkraft verfügen.

In Marseille begann die Operation „place nette“ XXL („Saubere Plätze“). 750 Polizisten und Gendarmen besetzten die heiklen Viertel der Stadt und insbesondere die Stadt Castellane, die für ihre vielen Deal Points bekannt ist.

Dealer und Drogenhändler sollen an ihren Geschäften gehindert werden. Es wurde eine Liste der 50 meistgesuchten Drogenhändler erstellt und bisher bei der Aktion über 80 Menschen festgenommen. Langfristig wird die Aktion XXL auf andere Städte ausgedehnt.

Polizisten bei einer Kontrolle von jungen Menschen in Marseille, 21. März 2024. Foto: Nicolas Tucat/AFP via Getty Images

Mehrere nordeuropäische Länder werden bereits von der Drogenmafia heimgesucht. Sie schreckt nicht davor zurück, Richter, Politiker und deren Familien mit Mord zu bedrohen, was den gesamten politischen und juristischen Apparat, der darauf abzielt, sie zu stoppen, schwächt.

Bandenkriege mit Kriegswaffen in französischen Städten

Es gebe eine „Radikalisierung des Verhaltens krimineller Organisationen, die sich von der zunehmenden Bedeutung der durch diese Aktivität erzeugten finanziellen Interessen leiten lassen“, analysieren die darauf spezialisierten Ermittlungsbehörden.

Dieser illegale Drogenhandel breitet sich nun auch in Frankreich auf den Straßen mittelgroßer Städte aus. Vor Kurzem gab es Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Banden in den Straßen von Rennes oder Avignon. Es wurden Kriegswaffen eingesetzt – und die Ordnungskräfte waren angesichts einer solchen Gewalt ratlos.

Am 8. Februar 2024 wurden in Nîmes Schüsse auf einen Deal Point in der Cité du Portal in der Nähe von Bildungseinrichtungen abgefeuert.

In der Nacht vom 9. auf den 10. März dauerte in Rennes eine Schießerei mit Kriegswaffen zwischen Drogenhändlern über eine Stunde, bevor die RAID sie beendete, indem sie in das Viertel Blosne ausrückte. „Diese Schießerei zwischen Drogenhändlern ist ein Novum“, kommentierte Jean-Christophe Couvy, nationaler Sekretär der Gewerkschaft Unité SGP Police FO, für die Zeitung „Marianne“.

In Nantes war die Stadt im Oktober 2022 Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen, die stets mit dem Wettbewerb zwischen Drogenhändlern um Dealer Stellen in Verbindung standen. In Angers, Alençon, Libourne, Besançon, Soissons und so weiter nährt der Drogenhandel Kriminalität und Unsicherheit, heißt es in „Les Échos“.

Avignon, Nîmes, Béziers, Belfort, Montbéliard, Troyes, Cavaillon oder Le Creusot – die Liste der mittelgroßen französischen Städte, die von illegalen Drogenbanden betroffen sind, wird immer länger.

„Es geht um unseren Rechtsstaat und unsere republikanische Stabilität“

Laut Olivier Leurent, dem Präsident des Gerichtshofs von Marseille, verfügen die Drogenhändler mittlerweile über beträchtliche finanzielle, menschliche und technologische Mittel: „Es geht um unseren Rechtsstaat und unsere republikanische Stabilität“, hob er hervor.

Die Drogenbanden gingen einher mit der Verbreitung von Kriegswaffen, der Kleinkriminalität neben der Großkriminalität, einem Klima der Unsicherheit und einer Kultur der Gewalt, die sich immer weiter über das Land ausbreitet.

Ginge dieser Krieg gegen den Drogenhandel verloren, dann werde es sehr schwierig, die Dinge ohne außergewöhnliche Maßnahmen zur Bekämpfung dieser großen kriminellen Netzwerke wieder in den Griff zu bekommen.

Der Artikel erschien zuerst in der französischen Epoch Times unter dem Titel Quand le narcobanditisme fait sa loi en France“. (Deutsche Übersetzung ck/ks)



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