Aufgetaucht aus dem Tigris: Archäologen entdecken 3.500 Jahre alten Palast des Mittani-Reichs

Der sinkende Wasserspiegel des Mosul-Stausees (Irak) legte unerwartet Überreste einer antiken Stadtanlage frei. Nach ersten archäologischen Untersuchungen ist klar, es handelt sich um einen etwa 3.500 Jahre alten Palast einer der geheimnisvollsten Kulturen des Orients.
Titelbild
Das Mittani-Reich ist eines der am wenigsten erforschten altorientalischen Reiche. Erstmals möglich Ausgrabungen im Überflutungsgebiet des Mosul-Stausees könnten nun einige Geheimnisse des antiken Reiches lüften.Foto: Universität Tübingen, eScience Center
Epoch Times6. Juli 2019

Deutsche und kurdische Archäologen haben am Ostufer des Tigris in der Region Kurdistan-Irak einen Palast aus der Bronzezeit entdeckt. Wie das internationale Forscherteam berichtete, lässt sich die Anlage am Fundort Kemune in die Zeit des Mittani-Reiches datieren, das vom 15. bis 14. Jahrhundert vor Christus weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens beherrschte.

Das Reich von Mittani ist einer der am wenigsten erforschten Staaten des Alten Orients. Die Wissenschaftler hoffen nun, durch die Auswertung von im Palast entdeckten Keilschrifttafeln neue Informationen über Politik, Wirtschaft und Geschichte dieses Reiches zu erhalten.

Einer der Palasträume während der Ausgrabung. Foto: Universität Tübingen

Sinkender Wasserspiegel gab antike Stadtanlage preis

Im vergangenen Herbst brachte der sinkende Wasserspiegel des Mosul-Stausees im Nordirak unerwartet Überreste einer antiken Stadtanlage zum Vorschein. An den vom Wasser freigespülten, offenliegenden Ruinen wurde spontan eine archäologische Rettungsgrabung unternommen.

Diese wurde im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts der Universität Tübingen, der Kurdistan Archaeology Organization (KAO) und in Zusammenarbeit mit der Antikendirektion Duhok durchgeführt und von Dr. Hasan Ahmed Qasim (Duhok) und Dr. Ivana Puljiz (Tübingen) geleitet.

Der kurdische Archäologe Hasan Ahmed Qasim erläutert: „Der Fund ist eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der letzten Jahrzehnte in der Region und veranschaulicht den Erfolg der kurdisch-deutschen wissenschaftlichen Zusammenarbeit“. Finanziert wurde das Projekt wurde größtenteils durch die KAO und dem kurdischen Geschäftsmann Hersh Isa Swar.

Blick von Süden auf den Palast von Kemune. Foto: Universität Tübingen.

Reste von leuchtenden Rot- und Blautönen

Wie Ivana Puljiz vom Tübinger Institut für die Kulturen des Alten Orients (IANES) berichtete, handelt es sich um ein planmäßig angelegtes Gebäude mit massiven, bis zu zwei Meter dicken Innenmauern aus Lehmziegeln. Einige Wände seien über zwei Meter hoch und die Innenräume teilweise verputzt.

„Wir haben zudem Reste von Wandmalereien in leuchtenden Rot- und Blautönen gefunden“, sagte Puljiz. „Wandmalereien dürften im 2. Jahrtausend vor Christus im Alten Orient ein typisches Ausstattungsmerkmal von Palästen gewesen sein, sie haben sich aber nur sehr selten erhalten. Deshalb stellt die Entdeckung von Wandmalereien in Kemune eine archäologische Sensation dar.“

Wie Puljiz berichtete, sind die Überreste des Palastes mindestens sieben Meter hoch erhalten. Klar erkennbar seien zwei Nutzungsphasen, die anzeigen, dass das Gebäude über einen sehr langen Zeitraum benutzt wurde. Im Inneren des Palastes konnte das Team mehrere Räume identifizieren, von denen acht teilweise ausgegraben wurden. In einzelnen Bereichen wurden große, gebrannte Ziegel gefunden, die als Bodenplatten verwendet wurden.

Fragment von Wandmalerei. Foto: Universität Tübingen.

Keilschrifttafeln aus dem Palast

In den Palasträumen wurden zehn mittanische Keilschrifttafeln aus Ton entdeckt, die momentan von der Philologin Dr. Betina Faist (Universität Heidelberg) übersetzt und ausgewertet werden.

Der Inhalt einer Schrifttafel deutet darauf hin, dass der Ort Kemune höchstwahrscheinlich die alte Stadt Zachiku war, die bereits in einer altorientalischen Quelle der Mittleren Bronzezeit (ca. 1800 v. Chr.) genannt ist. Dies würde bedeuten, dass die Stadt mindestens 400 Jahre bestanden hat. Zukünftige Textfunde werden zeigen, ob diese Identifikation zutreffend ist.

Der Palast stand während des Altertums auf einer Anhöhe am Rand des Flusstales, die vor der Flutung des Stausees nur 20 Meter vom Ostufer des Tigris entfernt gelegen war. Um das abschüssige Gelände zum Fluss hin abzustützen, wurde in der Mittanischen Zeit eine monumentale, aus Lehmziegeln erbaute Terrassenmauer vor der Westfront des Palastes angelegt. Der Palast thronte also über dem Tigristal.

Die Terrassierungsmauer westlich des Palastes von Kemune. Foto: Universität Tübingen

Eine große Stadt im Norden des Palastes

Geländebegehungen, die durch den Tübinger Survey des SFB 1070 unter der Leitung von Dr. Paola Sconzo (Tübingen) im Umfeld des Palastes durchgeführt wurden, deuten darauf hin, dass sich eine größere Stadt in nördlicher Richtung an den Palast anschloss.

Hasan Ahmed Qasim erläutert: „Wir hatten den Fundort Kemune bereits 2010 bei einem Niedrigwasserstand des Sees entdeckt. Bereits damals haben wir eine mittanische Keilschrifttafel gefunden und Überreste von Wandmalereien in Rot und Blau gesehen. Aber erst jetzt können wir hier ausgraben.“

Die Grabungen am Ufer des Mossul-Stausees – Raum mit Wandmalereien im Palast von Kemune. Foto: Universität Tübingen

Gelingt es nun, die Hauptstadt des Mittani-Reiches zu lokalisieren?

Eine Ausgrabung war bislang nicht möglich, da das Gelände seit Mitte der 1980er Jahre von den Wassern des Mosul-Stausees überflutet war. Aufgrund ausbleibender Niederschläge und Wasserknappheit im südlichen Irak war der Pegelstand des Sees im Sommer und Herbst des letzten Jahres jedoch so stark gesunken, dass erstmals mit einer Ausgrabung begonnen werden konnte.

„Das Mittani-Reich ist eines der am wenigsten erforschten altorientalischen Reiche“, erläutert Puljiz. „Informationen über Paläste der Mittani-Zeit liegen bisher nur aus Tell Brak in Syrien sowie aus den an der Peripherie des Reiches gelegenen Städten Nuzi und Alalach vor.“

Auch sei es bislang nicht gelungen, die Hauptstadt des Mittani-Reiches zweifelsfrei zu lokalisieren. Die Entdeckung eines mittanischen Palastes in Kemune ist deshalb von unschätzbarer wissenschaftlicher Bedeutung. (ts)

Terrassierungsmauer des Palastes von Kemune. Foto: Universität Tübingen



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