Piero San Giorgio: „Überlebenskunst bedeutet, ein verantwortungsbewusster Erwachsener zu sein“

Wir sollten wieder lernen, unabhängig von einem wirtschaftlichen, sozialen und politischen System leben zu können. Ein Schweizer Schriftsteller und sein Buch „Überleben des wirtschaftlichen Zusammenbruchs“.
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Können wir verantwortungsvoll für uns sorgen?Foto: iStock
Von 13. März 2023

Die erste Reaktion auf das, was man von Piero San Giorgio liest, ist ein regelrechter Schock. Allein die Möglichkeit eines Zusammenbruchs und die Rückkehr zu einer primitiven und barbarischen Gesellschaft besitzt etwas Beängstigendes.

Wenn wir dann weiter in seinen Werken blättern, entdecken wir regelrechte Überlebenshandbücher, um auf verschiedene Eventualitäten, die die Zukunft für uns bereithält, vorbereitet zu sein.

Nach dem anfänglichen Erschrecken wechseln wir schließlich zu Erleichterung, weil wir für detaillierte Situationen präzise Lösungen bekommen. Und weiter zu Neugierde, das Buch wie einen guten Zukunftsroman zu lesen, der schon heute seine Wirkung zeigt. Piero San Giorgio im Gespräch mit der französischen Epoch Times. San Giorgios Werke finden Sie auf seiner Website Piero.com.

Können Sie sich mit ein paar Worten vorstellen?

Ich bin ein Schweizer Schriftsteller. Von 1992 bis 2011 war ich leitender Angestellter, verantwortlich für Marketing und Geschäftsentwicklung für amerikanische Softwareunternehmen. Insbesondere für die Firma Oracle, für die ich die Märkte in Afrika und später im Nahen Osten und Osteuropa erschloss. Anschließend gründete ich mein eigenes Dienstleistungsunternehmen, welches nordamerikanische Softwareunternehmen bei der Geschäftsentwicklung in Europa unterstützte. Zuvor hatte ich noch in einigen Start-up-Unternehmen gearbeitet.

2005 verkaufte ich meine Firma und wechselte zu Salesforce.com, einem der Pionierunternehmen im Bereich Cloud, wo ich die nächsten fünf Jahre arbeitete. Danach arbeitete ich für SuccessFactors von SAP, ebenfalls um die Märkte im Nahen Osten, in Afrika, aber vor allem in Osteuropa, in den sogenannten Schwellenmärkten, zu entwickeln.

Ich mag den Staat nicht, schon gar nicht, wenn er groß, zentralistisch und bürokratisch ist, weshalb ich mich als Anarchist mit libertären Tendenzen bezeichne. Ich bin Agnostiker, ehemaliger Umweltaktivist und Vater von vier Kindern. Seit der Veröffentlichung meines Bestsellers „Survivre à l’effondrement économique“ („Überleben des wirtschaftlichen Zusammenbruchs“) widme ich mich der Förderung der individuellen Vorbereitung und Abwehrstärke sowie des Strebens nach Freiheit, kurzum dem, was man als Überlebenstraining bezeichnet.

Wenn man Ihr 2011 erschienenes Buch „Überleben des wirtschaftlichen Zusammenbruchs“ durchblättert, wird eigentlich die heutige Situation beschrieben: Ölkrise, Wirtschaftskrise, Nuklearkrise, soziale Krise et cetera. Woher kam die Inspiration für dieses Buch?

In Wirklichkeit kam mir die Idee ab 2003 durch den Irakkrieg. Damals konnte ich diese unglaubliche amerikanische Kriegspropaganda sehen, die auf dieser falschen Vorstellung von Massenvernichtungswaffen und Saddam Husseins Verwicklung in die Ereignisse vom 11. September basierte. Heute weiß man natürlich, dass sie falsch ist. Mir wurde damals klar, dass die meisten Medien schamlos Lügen gegenüber der Bevölkerung reproduzierten.

Ich war damals noch etwas naiv und diese Erkenntnis hat mich dazu gebracht, nach alternativen Informationen zu suchen und in Geschichtsbüchern nachzuschlagen, was wirklich passiert ist. Dadurch wurde mir die Verknappung der natürlichen Ressourcen, die Probleme mit der Umweltverschmutzung, der Überbevölkerung und der Geopolitik im Zusammenhang mit der Kontrolle der immer knapper werdenden Ressourcen bewusst, die für unsere Welt von grundlegender Bedeutung sind.

Piero San Giorgio. Foto: privat

In meinen Büchern gebe ich Lösungen für diese Krisen, aber auch für den Fall, dass die Krisen länger werden und eine Welt des Mangels zur Normalität wird. Dann werden diejenigen, die ein wenig Autonomie entwickelt haben, es leichter haben, sich anzupassen und Neues aufzubauen.

Das ist im Grunde eine Form der Versicherung. Sich auf das Schlimmste vorbereiten und gleichzeitig auf das Beste hoffen. Aber egal, was passiert, ein Leben mit mehr Freiheit, mehr gesundem Essen und sauberem Wasser, mit einem physisch trainierten Körper und weniger Stress ist besser – Krise hin oder her!

Bei den Themen, die Sie ansprechen, kann man Ihnen vorwerfen, dass Sie den Lesern Angst machen. Welche konkreten Lösungen bieten Sie an?

Der größte Angstmacher ist der Staat. Das haben wir in den letzten drei Jahren mit seinen Aufforderungen gesehen, sich einzuschließen, Masken zu tragen, sich mit experimentellen und gefährlichen Produkten spritzen zu lassen und so weiter. Die Angst ist zum Kernstück der staatlichen Kommunikation geworden. Dennoch fordern uns die Staaten auch auf, uns vorzubereiten.

Der französische Staat zum Beispiel veröffentlicht über die Website seines Innenministeriums Dokumente, die uns lehren, im Krisenfall widerstandsfähiger zu sein, wenn es zu Bränden, Überschwemmungen oder anderen Klimakatastrophen kommt.

Ein Bürger, der auf eine 24-, 48- oder 72-stündige Krise vorbereitet ist, wird der Gemeinschaft nicht zur Last fallen, sondern im Gegenteil sogar anderen Menschen helfen können. Und zwar weil er eine Taschenlampe, eine Ersatzbatterie, Decken, etwas zu essen oder Wasser dabei hat, um sich, seine Familie und möglicherweise andere Menschen mit den dringendsten Bedürfnissen zu versorgen.

Wer die Idee von Überlebenskunst für „verschwörerisch“ oder „erleuchtet“ hält, sollte sich in ein Flugzeug setzen, um den tatsächlichen Zustand der Welt zu sehen. Auch wenn man nicht so weit reisen will, können diejenigen, die außerhalb von Paris leben, leicht beobachten, dass es Orte gibt, an denen ein Survival-Ansatz notwendig ist, denn die Welt ist brutal, gewalttätig und die Menschen kämpfen um die Ressourcen Nahrung, Strom, Energie und einfach nur darum, genug zum Leben zu haben.

Der andere Grund, warum die meisten Menschen nicht darüber nachdenken, ist, dass sie seit nunmehr 70 Jahren daran gewöhnt sind, einen Nanny-Staat zu haben, einen Wohlfahrtsstaat, der zahlt, schützt und im Großen und Ganzen noch funktioniert. Das soll keine Angst machen, sondern die Realität so darstellen, wie sie ist.

Aber es gibt eine positive Botschaft: durch Arbeit und Vorbereitung seine Unabhängigkeit und Freiheit wiederzuerlangen. Wir dürfen nicht vergessen, dass in schwierigen Zeiten diejenigen, die es verstehen, „zusammenzuhalten“ und sich gegenseitig zu helfen, starke Bindungen schaffen, die es ihnen nicht nur ermöglichen, besser über die Runden zu kommen, sondern auch die Welt von morgen wieder aufzubauen – geeinter und stärker.

Worin besteht Ihrer Meinung nach Überlebenskunst? 

Für mich bedeutet Überlebenskunst, ein verantwortungsbewusster Erwachsener zu sein. Das heißt, eine Person zu sein, die frei ist, die sich selbst verteidigen kann, die ihren Lebensunterhalt selbstständig verdienen kann oder die, wenn sie angestellt ist, über genügend Fähigkeiten verfügt, um ihre Familie zu versorgen.

Es bedeutet auch, vorausschauend zu sein und sich auch bei kleinen Dingen angemessen darauf vorzubereiten: Sie gehen auf eine Reise in den Urlaub, was nehmen Sie im Auto mit, damit Sie im Falle eines Unfalls die Rettungskräfte alarmieren oder nach Hause kommen können? Im anderen Extrem, bei sehr schweren Katastrophen: Wenn eine Wirtschaft oder eine Zivilisation zusammenbricht, was ermöglicht es Ihnen, Ihrer Familie und Ihren Freunden, sich zu versorgen und die mittel- und langfristigen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten?

Von einer simplen Idee kann man also eine Vielzahl von Möglichkeiten ableiten, die von relativ harmlos bis hin zur kompletten Änderung des Lebensstils reichen können.

Die nachhaltige autonome Basis, von der ich in meinen Büchern spreche, ist ein Ort der Resilienz, ein Ort, an dem wir an unserer Autonomie arbeiten. Es ist ein Konzept der Verwurzelung, der Autonomie auf Dauer. Es kann idealerweise auf dem Land sein, aber auch in einem Haus tief im Wald. Es kann ganz einfach die Wohnung, das Einfamilienhaus oder ein Ferienhaus sein, oder sogar ein Boot, ein Hausboot.

Ich habe in meinen Büchern sieben Kriterien für physiologische Bedürfnisse definiert, an denen sich die Idee der nachhaltigen autonomen Basis orientieren soll: Wasser, Nahrung, Gesundheit, Energie, Wissen, Verteidigung und soziale Bindung. Diese Elemente sind miteinander verzahnt und unverzichtbar. Wird eines davon vernachlässigt, führt dies zu einem Ungleichgewicht und gefährdet somit unsere Fähigkeit zur Selbsthilfe.

In der gegenwärtigen Gesellschaft zeigt sich das Beste und das Schlechteste. Haben Sie Vertrauen in die menschliche Natur, ihren Altruismus und ihre Brüderlichkeit, um im Falle eines Zusammenbruchs alles wieder aufzubauen? 

Wenn ich nicht optimistisch und voller Vertrauen in die menschliche Natur wäre, würde ich mich heimlich vorbereiten, ohne das Risiko einzugehen, dass im Falle eines Zusammenbruchs jemand versuchen würde, zu mir zu kommen. Ich bin jedoch Realist. Die menschliche Natur ist zum Schlimmsten und zum Besten fähig, manchmal sogar zu beidem gleichzeitig.

Als ein Tsunami den Norden Japans verwüstete, machte sich die Bevölkerung in den verwüsteten Gebieten an die Arbeit, um Verletzte zu retten, Tote zu begraben, Trümmer zu beseitigen, Hilfsmaßnahmen zu organisieren … Zweifellos sind die Kultur Japans und ihre Homogenität wichtige Faktoren, die beispielsweise beim Hurrikan Katrina nicht wiedergefunden wurden.

Steckt hinter dem Überlebenskampf nicht zugleich das Bedürfnis, sich von der modernen Welt abzukoppeln?

Ja, und es ist zweifellos ein Grundbedürfnis des Menschen, der noch nicht an den hektischen Rhythmus des modernen Lebens angepasst ist, eine Ruhe, eine Nähe zur Natur und ihren Zyklen zu finden und in einer Gruppe von Menschen mit gesunden Werten zu leben.

Abgesehen davon plädiere ich nicht dafür, alles gedankenlos hinter sich zu lassen und wie ein Einsiedler zu leben. Jeder muss seinen eigenen Weg gehen, je nach seinen Mitteln, seiner familiären Situation, seinem Alter, seiner Gesundheit, seiner Arbeit und seinen Fähigkeiten und so weiter, und dabei die grundlegenden Prinzipien des Überlebens berücksichtigen, die auf unserer tiefsten Anthropologie beruhen.

Viele Menschen haben nicht erst auf meine Bücher gewartet, um sich vorzubereiten, um Überlebenskünstler zu sein oder um „Prepping“ zu betreiben. Sie legen einfach ihren Gemüsegarten an, lernen, sich zu verteidigen oder erlernen neue Berufe.

Es gibt auch Menschen unterschiedlichster Herkunft. Ich habe Menschen getroffen, die in ihre Heimat im Maghreb oder in Afrika zurückgekehrt sind, um Genossenschaften für die lokale Entwicklung der Produktion von Biogemüse und der landwirtschaftlichen Produktion zu gründen. Andere leben in Asien. Es gibt also enorm viele verschiedene Profile und Ansätze.

Wenn es, was ich hoffe, keinen wirtschaftlichen Zusammenbruch gibt, werden wir gelernt haben, ein unabhängigeres Leben zu führen, das weniger abhängig von einem wirtschaftlichen, sozialen und politischen System ist, das immer schwerfälliger und bürokratischer wird, immer weniger frei ist und uns wenig Freiraum lässt.

Wir werden zumindest für eine gewisse Zeit diesen Freiraum zurückgewonnen haben, die Fähigkeit, im Wald zu leben, unsere eigenen Lebensmittel zu produzieren oder einfach die Gewissheit erlangt haben, dass man im Falle eines Falles in der Lage ist, sich selbst ohne die Hilfe Dritter oder des Staates aus der Situation zu befreien.

Wäre es nicht notwendig, sich nicht nur materiell vorzubereiten, sondern sich auch geistig und spirituell auf die Zukunft vorzubereiten? An sich selbst zu arbeiten?

Auf jeden Fall. Im Überlebenskampf spricht man zuerst vom Mentalen, ohne das die Fertigkeiten nicht angewendet werden können und ohne das Material und Werkzeuge nichts sind. Und der menschliche Verstand ist, ob wir es wollen oder nicht, von der Spiritualität durchdrungen. Für manche ist es eine Spiritualität, die sich in religiösen Überzeugungen niederschlägt, für andere ist es der Glaube an Wissenschaft, Fortschritt oder Dogmen.

Was mich betrifft, habe ich nicht viel darüber gesprochen, denn wer bin ich schon, um über meinen Glauben zu sprechen? Ich habe jedoch eine Ethik, die ich mit der Zeit zu perfektionieren versuche und die auf universellen Prinzipien wie der Vermeidung von Gewalt, dem Respekt vor Eigentum, Arbeit … und der Erforschung des menschlichen Geistes beruht.

Dies gibt mir Zuversicht und erklärt wohl auch, warum ich nicht in Angst lebe. In meinem nächsten Buch, das noch in diesem Jahr erscheinen soll, geht es darum, wie wir die Auswirkungen, die Angst auf uns haben kann, verringern oder bewältigen können. Und die Arbeit an sich selbst und an der eigenen Spiritualität wird ein wichtiges Kapitel in diesem Buch sein.

Dieser Artikel erschien im Original auf www.epochtimes.fr unter dem Titel: „Entretien avec Piero San Giorgio : Retrouver son indépendance et sa liberté par le travail et la préparation“ (redaktionelle Bearbeitung il, deutsche Version gekürzt)



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