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Meinung

Peter Schallenberg

Schallenbergs Perspektiven: # 8 Wie politisch ist das Christentum?

Die christlichen Kirchen sind gut beraten, in Detailfragen auf andere als auf biblische oder theologische Kompetenz zu vertrauen und um so mehr in Grundsatzfragen, etwa der Frage des unbedingten Lebensschutzes, hörbar ihre Stimme zu erheben.

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Prof. Dr. Peter Schallenberg.

Foto: Privat/Epoch Times

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Lesedauer: 7 Min.

Seit einigen Wochen wird wieder heftig diskutiert über die politische Kompetenz des Christentums, auch über das Recht der Kirchen, katholisch wie evangelisch, sich zu politischen Fragen zu äußern. Nicht zuletzt waren es Bemerkungen der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), selbst bekennende und aktive Katholikin, zur Entbehrlichkeit tagesaktueller politischer Einmischungen der beiden großen Kirchen in Deutschland, die für Diskussion, ja sogar für Empörung sorgten.

Dabei hatte Klöckner lediglich im Sinn, auf die eigentliche Kernkompetenz der christlichen Kirchen und damit des Christentums selbst hinzuweisen. Und diese Kernkompetenz liegt unbezweifelbar und ausweislich des berühmten Wortes Jesu vor Pontius Pilatus „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ (Joh 18,36) eindeutig nicht zuerst in einer detailverliebten Regelung der politischen Geschäfte und Geschäftigkeiten.

Gesinnungsethik versus Verantwortungsethik

Will heißen: Das Für und Wider von Wärmepumpen und Mülltrennung wird am besten mit gesundem und kompetentem Menschenverstand diskutiert, nicht aber und wenig hilfreich mit der Bibel in der Hand. Und schon oft ist von klugen Zeitgenossen darauf hingewiesen worden, man könne mit der Bergpredigt keine Politik gestalten.

Noch klügere und geradezu gebildete Zeitgenossen haben dann auch gern auf die klassische Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik bei dem deutschen Soziologen Max Weber (1864–1920) hingewiesen: Eine gute Gesinnung und Intention zu haben, sei dies eine Sache, die das Christentum und den Glauben an Gott unmittelbar berührt; aber in guter Verantwortung gegenüber den herausfordernden Fragen der Realpolitik zu handeln, sei eine oft ganz andere Sache und nicht einfach mit guter Gesinnung zu handhaben.

Dass dies oft stimmt, zeigt ein Blick auf ethische Dilemmasituationen etwa so: Man hat die gute Gesinnung, niemals einen Menschen töten zu wollen, aber man tötet einen ungerechten Angreifer auf die eigene Familie oder man unterstützt ein Land, das ungerechterweise angegriffen wird.

Mit anderen Worten: Oft scheitert eine noch so gut gemeinte Gesinnung an widrigen Umständen der Realität: „Die Verhältnisse, sie sind nicht so“ (Bertolt Brecht).

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“

Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno notierte daher einmal resigniert: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ („Minima Moralia“ Nr. 18; ursprünglich: „Es lässt sich privat nicht mehr richtig leben“) und meinte damit: Der Mensch lebt jenseits von Eden und außerhalb des Paradieses und muss mit dieser eigentlich unliebsamen Lebensweise dennoch seinen Frieden machen, gute Miene zum oft bösen Spiel machen, sich manches Mal die Hände schmutzig machen.

Kompromiss nennen wir das zuweilen verharmlosend und sehen uns die Hände gebunden, das reine große Gute zu erreichen und oft nur das Schlimmste verhindern zu können. Politik besteht eben oft nur in der einigermaßen glimpflich verlaufenden Bewältigung von Konflikten, in der Kanalisierung von Aggressionen, in der Güterabwägung zwischen widerstreitenden Interessen, in der mühsamen Vermittlung von entgegengesetzten Positionen. Politik ist keine Mathematik und keine Physik, in der es nur richtig oder falsch gibt. Politik ist – wie Ethik auch – der ständige Versuch zur Maximierung des Besseren im nüchternen Verzicht auf das Beste, was es auf dieser Welt und in diesem Leben nicht und niemals geben wird.

Grundsatzfragen statt Tagespolitik

Und was Julia Klöckner natürlich auch meinte und zu Recht anprangerte: Wenn die christlichen Kirchen sich allzu schneidig und detailverliebt in tagespolitische Diskussionen einmischen, geraten sie erstens in das graue Feld der Inkompetenz – gepaart mit naivem Gutmenschentum und unrealistischer Blauäugigkeit – und zweitens in den Dunstkreis einer Partei oder gar einer Ideologie.

Klimapolitik kann man eben nicht nur grün, sondern auch christlich-sozial oder liberal oder sozialdemokratisch betreiben, mit je unterschiedlichen Akzentsetzungen. Daher sind die christlichen Kirchen gut beraten, in Detailfragen auf andere als auf biblische oder theologische Kompetenz zu vertrauen und umso mehr in Grundsatzfragen, etwa der Frage des unbedingten Lebensschutzes, aber auch in Fragen der globalen Entwicklung oder der menschenwürdigen Migrationspolitik, hörbar ihre Stimme zu erheben.

Menschenwürde wahren

Denn eins ist ganz sicher die Aufgabe der christlichen Kirchen in der Nachfolge dieses Jesus Christus, der wahrer Gott und wahrer Mensch war und der seine Kirche gestiftet hat, um alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen: Jedem Menschen zur Entfaltung seiner unveräußerlichen Würde zu verhelfen, den Schwächeren und Ärmeren zur Entwicklung zu verhelfen, den Ausgeschlossenen und Ausgestoßenen zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen.

Der christliche Gott ist nicht Buch geworden, sondern Mensch! Das heißt: Kernkompetenz der christlichen Kirchen ist es, jedem Menschen seelisch wie körperlich seine von Gott geliebte Würde vor Augen zu stellen. Das ist letztlich natürlich die Aufgabe der Politik in einem demokratischen Rechtsstaat: die unantastbare Würde des Menschen zu wahren, zu schützen, zu entfalten.

Seelsorge als Kernkompetenz

Natürlich hat es das Christentum und haben es die Kirchen primär immer mit Seelsorge zu tun, ganz wörtlich: mit der Sorge um jede einzelne unsterbliche Seele eines Menschen, also mit seinem Selbstempfinden, seinem Blick auf sich selbst, seiner von Gott geschenkten Selbstachtung.

Aber da wir keine Engel sind, sondern im Leib sich äußernde Seelen, ist die Leibsorge genauso wichtig wie die Seelsorge. Und daher hat das Christentum im Feld der politischen Leibsorge ein wichtiges Wort mitzureden. Freilich immer mit nur geborgter und menschenverständiger Kompetenz, ohne irgendeine unmittelbare göttliche Autorität.

Denn Christus hat zwar die sieben Sakramente eingesetzt zum Heil der Seelen, aber über seine persönliche Meinung zu Fragen der Energie oder der Krankenversicherung oder der Handelspolitik wissen wir wenig bis nichts … , was wiederum dem gesunden Menschenverstand in öffentlichen Debatten sehr zugutekommt und nachhaltig vor theologischer Hybris bewahrt!

Die Kolumne „Glaube & Gewinn“ von Prof. Dr. Peter Schallenberg erscheint einmal im Monat mit dem Fokus auf ökonomische und sozialpolitische Probleme aus christlicher Sicht. 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.

Msgr. Prof. Dr. theol. Peter Schallenberg ist katholischer Priester, Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie und Ethik an der theologischen Fakultät Paderborn sowie Gastprofessor der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom und der theologischen Hochschule Alba Julia in Siebenbürgen. Von 2010 bis 2024 war er Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach. Auf Berufung von Papst Franziskus ist er Konsultor im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan.

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