Der „Spiegel” in der Krise.Foto: Morris MacMatzen/Getty Images

Relotius-Affäre: Interner Unmut über vorschnelle Entlastung von Ressortleitern im „Spiegel“

Von 14. Mai 2019
Als Steffen Klusmann Anfang des Jahres das Amt des Chefredakteurs im „Spiegel“ übernahm, war die Affäre um den enttarnten Fake-News-Journalisten Claas Relotius erst wenige Tage alt. In zwei Wochen soll der interne Untersuchungsbericht erscheinen. Die „Welt“ hat sich in der Redaktion umgehört.

Die Affäre Relotius ist für den „Spiegel“ noch lange nicht ausgestanden. So lautet das Fazit zum Ergebnis einer Recherche, im Zuge derer „Welt am Sonntag“-Chefreporter Per Hinrichs mit Quellen aus verschiedenen Hierarchiestufen der Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins gesprochen hatte – die allesamt anonym bleiben wollten.

In etwa zwei Wochen soll der interne Untersuchungsbericht zu dem Fall erscheinen, den Hinrichs im Einklang mit zahlreichen Beobachtern als einen der „größten Fälschungsskandale im deutschen Journalismus“ bezeichnet. Um diesen zu erstellen, war zuvor eine dreiköpfige Kommission gebildet worden.

Im Dezember des Vorjahres hatte der „Spiegel“ die Flucht nach vorne angetreten und hatte die Vorwürfe gegen den mehrfach preisgekrönten Nachwuchsjournalisten Claas Relotius publik gemacht, die zuvor dessen Kollege, der freie Mitarbeiter Juan Moreno, zusammengetragen und mit umfangreichen Beweismitteln untermauert hatte.

Primat der „Haltung“

Moreno hatte – erst gegen den Widerstand von Ressortleitern – nachgewiesen, dass Relotius eine Vielzahl von Orten, aus denen er Reportagen abgeliefert hatte, gar nicht besucht hat. Zudem hatte er dem bisherigen Erkenntnisstand zufolge unter anderem Protagonisten erfunden, die er interviewt haben will, und realen Personen Äußerungen in den Mund gelegt, die diese wahrscheinlich nie gemacht hatten.

Der „Spiegel“ hatte die Enttarnung des Fälschungsskandals zu Beginn als Zeichen intakter Selbstreinigungskräfte und von Transparenz im deutschen Qualitätsjournalismus dargestellt. Kritiker hingegen meinten, das Magazin habe erst die Reißleine gezogen und sei an die Öffentlichkeit getreten, als es unmittelbar befürchten musste, dass die Affäre auf einem anderen Wege öffentlich wird.

Relotius sei zudem kein Betriebsunfall des deutschen Journalismus gewesen, sondern die Konsequenz des Primats der „Haltung“, der die meisten Redaktionen kennzeichne. Die pathetischen Schilderungen über syrische Flüchtlingskinder, denen Angela Merkel im Traum erscheint, oder die mit antiamerikanischen Klischees gespickte Fake-Reportage aus der Stadt Fergus Falls hätten vielmehr deshalb redaktionsinternen Qualitätssicherungsmechanismen standgehalten, weil sie den inneren Überzeugungen der Verantwortlichen in besonderem Maße geschmeichelt hätten.

Nur ein Faktenprüfer trat in den Vorruhestand

Alexander Will von der „Nordwest-Zeitung“ erklärte diesen Umstand so:

Relotius kam damit durch, weil er die beim Spiegel herrschenden Narrative und politischen Vorurteile besonders geschickt (und infam) bediente. Wenn einem seine Überzeugungen so bedient werden, dann fragt man natürlich nicht mehr nach.“

Die beiden Ressortleiter, die für Relotius und dessen Texte zuständig waren, Ullrich Fichtner und Matthias Geyer, wurden mittlerweile zu „Reportern mit besonderen Aufgaben“, teils mit Anbindung an die Chefredaktion, weggelobt und so von „hierarchischen Posten“ ferngehalten. Weitergehende Konsequenzen gab es jedoch nicht.

Der seit Anfang des Jahres amtierende Chefredakteur Steffen Klusmann muss sich intern, so heißt es in der „Welt“, nach wie vor Vorwürfe gefallen lassen, die Verantwortlichen in der Causa Relotius seien zu schnell entlastet worden. Bereits am 20. März habe Klusmann über den Ressortleiter, der Relotius eingestellt und gefördert hatte, geäußert, der Zwischenbericht der Kommission sei „für Ullrich ein umfassender Freispruch“.

Noch unvorteilhafter schildern die Quellen der „Welt“ die Rolle Geyers, dessen Vertrauen in Relotius so unerschütterlich gewesen sei, dass er sogar noch zu einem Zeitpunkt eine Titelgeschichte, an der dieser beteiligt war, gedruckt habe, als die ersten Vorwürfe bereits konkret im Raum standen.

„Wenigstens nicht irgendein Honk…“

Lediglich ein interner Faktenprüfer aus dem Ressort „Gesellschaft“ habe sich in den Vorruhestand verabschiedet. Mittlerweile sei Klusmann teilweise zurückgerudert und relativierte – wie schon ursprünglich mittels Intranet-Mitteilung – den Ausspruch. Nun gesteht er ein, dass „die Aufarbeitung des Falls aus Sicht der Kommission hätte schneller und offener laufen können und hier Versäumnisse festgestellt worden seien“.

Im Herbst will Juan Moreno den Verlauf der Affäre Relotius in Buchform nachzeichnen. Sogar eine mögliche Verfilmung steht im Raum. Ufa Fiction hat sich bereits jetzt die Verfilmungsrechte an Morenos Buch gesichert. Klusmann trägt es, wie die „Welt“ zu berichten weiß, im redaktionsinternen Netzwerk mit Fassung: „Ein Buch wird es so oder so geben. Und da ist es mir lieber, es schreibt einer, der wirklich nah dran war und nicht irgendein Honk.“

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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