Machtgewinn der EU: Das Gesetz über digitale Dienste

Die EU-Kommission ist ihrem Ziel, die Kontrolle über das Internet zu gewinnen, einen großen Schritt näher gekommen. Künftig gibt es eine Art NetzDG auf europäischer Ebene – wobei die Regeln der EU deutlich mehr umfassen als die deutschen.
Titelbild
Europäisches Parlament in Brüssel.Foto: ARIS OIKONOMOU/AFP via Getty Images
Von 30. April 2022

Nach eineinhalb Jahren Verhandlungen und einer abschließenden Mammutdebatte von 16 Stunden wurde in den frühen Morgenstunden des 23. April das Gesetz über digitale Dienste, (Digital Services Act) kurz DSA, beschlossen. Der Gesetzestext schreibt einheitliche Regeln für Online-Dienste vor.

Bereits am 25. März wurde der andere Teil des Gesetzespaketes, das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) beschlossen. 

Es sei eine Art „Digitales Grundgesetz“ für Europa, loben die Verhandler ihr Ergebnis. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nennt es: „Historisch, sowohl in der Geschwindigkeit [der Verhandlungen] als auch in seinem Inhalt.“

Was offline illegal ist, soll auch online illegal sein. „Unsere neuen Regeln werden die Online-Nutzer schützen, die freie Meinungsäußerung gewährleisten und den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnen“, so von der Leyen.

Kritiker sehen hingegen das Ende des Internets kommen. Denn: Wie wird entschieden, was illegal ist?

Digitalpolitische Vorhaben

Das Gesetz über digitale Dienste ist eine Mischung aus bisherigen Regeln der E-Commerce-Richtlinie und dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Zuständig ist der Binnenmarktausschuss des EU-Parlaments. Dieser erklärt: „Nach den neuen Vorschriften müssen Vermittlungsdienste – insbesondere Online-Plattformen wie soziale Medien und Marktplätze – Maßnahmen ergreifen, um ihre Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen.“

Grundsätzlich gelten die neuen Regeln für digitale Dienste, die als Vermittler agieren. Das sind unter anderem Marktplätze (wie Amazon), soziale Medien (wie Facebook), Plattformen zum Teilen von Inhalten (wie YouTube), Suchmaschinen (wie Google). 

Ein Kriterium ist die Größe des Internetunternehmens – je größer, desto mehr Regeln muss es beachten. Konzerne, die über 45 Millionen Nutzer pro Monat haben, gelten als „sehr große Plattformen“. In diese Kategorie fallen rund 30 Firmen. Falls sie systematisch gegen die Vorschriften verstoßen, drohen ihnen Strafen bis zu sechs Prozent des globalen Umsatzes und damit in Millionenhöhe.

Welche Inhalte hat der DSA?

– Big Tech-Plattformen sollen Hassrede, Desinformation, Kriegspropaganda, gefälschte Produkte etc. aktiv bekämpfen. Illegale Inhalte sollen schneller gelöscht werden, Upload-Filter wurden nicht explizit verboten.

– Plattformen müssen den Behörden melden, wenn Inhalte einen Verdacht auf kriminelle Aktivitäten wecken. Eine Überwachungspflicht ist nicht vorgesehen. 

– Auf Behördenanordnung müssen illegale Inhalte entfernt und Informationen dazu herausgegeben werden.

– Behörden können Verbraucherorganisationen und NGOs den Status eines „Trustee Flaggers“ verleihen, um illegale Inhalte systematisch aufzuspüren. „Trustee Flaggers“ können Inhalte von Dritten melden, die die Plattformen unverzüglich bearbeiten sollen.

– Automatisierte Tools zur Moderation von Inhalten müssen transparent gemacht werden.

– Den Plattformen werden Berichtspflichten auferlegt. Einmal jährlich sollen die Zahlen ungerechtfertigt gelöschter oder gesperrter Inhalte und Konten offengelegt werden. Von wem eine bestimmte Werbung stammt, die Nutzern angezeigt wird, muss veröffentlicht werden, ebenso wie Angaben, was Nutzer sich als Nächstes ansehen. Diese Berichte werden von der EU-Kommission und Außenstehenden – beispielsweise Forschern mit Datenzugang – geprüft.

– „Sehr große Plattformen“ müssen mindestens einmal jährlich Risikoeinschätzungen veröffentlichen. Whistleblower enthüllten bereits Risiken; dazu gehören Dinge wie Instagram begünstigt Essstörungen und Facebook könnte eine Wahl beeinflussen. Solche Fragen sollen künftig selbst von den Unternehmen geklärt, veröffentlicht und zudem von externen Fachleuten überprüft werden. 

– In Krisenfällen – Krieg, Terror oder einer Pandemie – kann die EU-Kommission eine zusätzliche Prüfung der Inhalte der Plattformen und anschließende Maßnahmen vornehmen. 

– Minderjährige sollen grundsätzlich keine personalisierte Werbung mehr erhalten.

– Religiöse Überzeugungen, politische Absichten und andere sensible Daten dürfen nicht mehr für gezielte Werbung genutzt werden.

Macht für die EU und ein „Wahrheitsministerium“

Verantwortlich für die Durchsetzung der neuen Regeln sind die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten.

Die Rolle des „Wahrheitsministeriums“ übernimmt ein neu zu schaffendes europäisches Gremium, das European Digital Services Board. Es erhält exklusiv die Aufsicht über die großen Plattformen. Für kleine Anbieter übernehmen sogenannte Digital Services Coordinators, die in allen EU-Staaten installiert werden, die Durchsetzung der Regeln.

Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen das Gesetz noch bestätigen, was als Formsache gilt. Eine Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2024 ist vorgesehen. Für Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern pro Monat sollen die Regeln vier Monate nach Unterschrift in Kraft treten. Der genaue Wortlaut der Einigung liegt aus technischen sowie Übersetzungsgründen noch nicht vor.

Die DSA ist eine Verordnung und wird daher auch in Deutschland unmittelbar gelten, eine Umsetzung in nationales Recht erfolgt nicht.

EU-SPD: Der „digitale Wilde Westen“ wurde beendet

Europa schaffe Ordnung im Internet, twitterte Andreas Schwab (EU-Abgeordneter der CDU). Das „Grundgesetz für eine neue Ära der Digitalbranche“ sei geschaffen worden. Andere, wie Timo Wölken, deutscher EU-Abgeordneter der SPD, zeigt sich auf Twitter bildlich gesehen wie ein Cowboy, der sich über das Ende des digitalen Wilden Westens freut.

Das DSA könne „aus der EU heraus die Big-Tech-Revolution“ auslösen, so die EU-Grünen-Abgeordnete Alexandrea Geese. Sie sieht den „digitalen Frühling“ kommen. Geese nahm an den Verhandlungen teil und erklärt: „Europa geht damit auch in die Offensive gegen die Übermacht der Big Tech-Unternehmen.“ 

Ganz anders sieht es der EU-Abgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Berichterstatter des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten), der ebenfalls mit am Verhandlungstisch saß. „Die Bezeichnung ‚Digitales Grundgesetz‘ verdient das neue Regelwerk insgesamt nicht, denn der enttäuschende Deal versagt vielfach beim Schutz unserer Grundrechte im Netz.“ 

Breyer erklärt: „Die freie Meinungsäußerung im Netz wird nicht vor fehleranfälligen Zensurmaschinen (Uploadfilter), willkürlicher Plattformzensur sowie grenzüberschreitenden Löschanordnungen aus illiberalen Mitgliedstaaten ohne Richterbeschluss geschützt, so dass völlig legale Berichte und Informationen gelöscht werden können.“

Sein Fazit: „Industrie- und Regierungsinteressen haben sich leider gegen digitale Bürgerrechte durchgesetzt.“

Deutsche Regierung ist erfreut

Die deutsche Bundesregierung begrüßt die Einigung der EU. Das deutsche NetzDG dürfte mit dem DSA hinfällig werden, obwohl das EU-Gesetz bei einigem hinter dem deutschen Gesetz zurückbleibt. 

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erscheint zufrieden. „Nun ist der Weg frei für einheitliche Vorgaben für soziale Netzwerke und andere Online-Plattformen in Europa.“ Man brauche einheitliche Standards, weil das Internet nicht an Landesgrenzen ende. 

Meinungsfreiheit auch im digitalen Raum werde bewahrt. Buschmann sagt: „So dürfen Plattformen Beiträge nicht willkürlich löschen und müssen ihre Löschentscheidungen auf Antrag überprüfen.“

Sich abzeichnende Probleme und Stolperfallen

Wie die Umsetzung erfolgt, wird sich zeigen; einige Problemfelder zeichnen sich bereits ab.

Wenn für Werbezwecke nur Daten von über 18-Jährigen ausgewertet werden sollen, stellt sich die Frage, wie das von Unternehmen organisiert werden soll. 

Bedeutet das, dass sich künftig jeder Bürger identifizieren muss, bevor er ins in der EU-zugelassene und kontrollierte Internet geht? In China gilt das bereits: Seit dem 1. Dezember 2019 kann man nur nach einer Identitätsfeststellung per Gesichtserkennung ins Internet – und nicht auf ausländische Websites, die hinter der Great Firewall verborgen werden.

Als grundsätzliches Problem bleibt ebenfalls offen: Wie wird entschieden, was „illegale Inhalte“ sind? Zunächst entscheiden die Plattformbetreiber, letztlich werden viele Widersprüche vor Gericht landen. 

Bürgerrechtler bemängeln auch die vorgeschriebene Risikoprüfung und die offengehaltene Möglichkeit der EU, zusätzliche Prüfungen zu verlangen und Maßnahmen anzuordnen. Dieser Mechanismus sei eine „zu weitgehende Ermächtigung der Europäischen Kommission, einseitig einen EU-weiten Notstand auszurufen“.

Ein Rückzug der Internetkonzerne vom europäischen Markt, um sich diesen Regeln nicht unterwerfen zu müssen, erscheint unwahrscheinlich. Sie werden sich an die Maßgaben anpassen, um in der EU Geschäfte machen zu können; dieser Mechanismus wird auch als Brüssel-Effekt bezeichnet.

Nach Vorstellung Brüssels sollten beide Gesetze zum neuen „weltweiten Goldstandard für die digitale Regulierung“ werden. Das ist zumindest die Hoffnung der sozialdemokratischen Verhandlungsführerin des Europäischen Parlaments, Christel Schaldemose. Sie leitete die Einigung zum künftigen Digital Services Act.

bisheriges NetzDG künftiger Digital Services Act
Gilt für Soziale Netzwerke ab 2 Mill. deutsche Nutzer ohne Schwellenwert, gilt für alle Online-Plattformen zum Teilen nutzergenerierter Inhalte
Löschpflicht nach Meldung einzelner Straftaten jeglicher illegaler Inhalte
Löschfrist 24 Stunden in offensichtlichen Fällen, normal 7 Tage unverzüglich
Prüfungsumfang Löschpflicht, wenn Inhalte rechtswidrig sind (Vollprüfung) Löschpflicht, wenn eine Rechtswidrigkeit ohne detaillierte rechtliche Prüfung erkennbar ist
Beschwerden gegen Löschung und Schlichtung möglich möglich
Pflicht zur Strafanzeige bei bestimmten Straftaten beim Verdacht einer gegenwärtigen oder vergangenen Bedrohung des Lebens oder der Sicherheit einer Person

 



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