Arbeitszeiterfassung ab sofort Pflicht in jedem Unternehmen

Das Bundesarbeitsgericht begründet sein Urteil vom September. Die Erfurter Richter orientieren sich am Europäischen Gerichtshof. Arbeitgeber müssen einige Änderungen beachten.
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Arbeitszeiten müssen ab sofort exakt erfasst werden.Foto: istock/Ralf Geithe
Von 9. Dezember 2022

Einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zufolge müssen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit erfassen. Laut „Münchner Merkur“ gilt die Regelung ab sofort. Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, begründete die Pflicht zur systematischen Zeiterfassung mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Art der Erfassung spielt keine Rolle

„Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des  Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung“, sagte Gallner in der Verhandlung. Das deutsche Arbeitszeitgesetz sah bislang nur eine Dokumentation von Überstunden und Sonntagsarbeit vor, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das Bundesarbeitsgericht zog aber nicht das Arbeitszeit-, sondern das Arbeitsschutzgesetz heran. Arbeitgeber können die Erfassungspflicht auf ihre Mitarbeiter übertragen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Zeiterfassung digital oder in Papierform erfolgt, zitiert der „Merkur“ den Arbeitsrechtler Gerhard Kronisch.

Anwalt vermisst „vollständige Klarheit“

Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits Mitte September in einem Grundsatzurteil entschieden, dass Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten erfassen müssen. Für Arbeitgeber blieben viele Fragen offen.

Daher wollten sie die Begründung des Urteils abwarten, die das Gericht nun abgegeben hat, schreibt das „Handelsblatt“. Aus Sicht des Hamburger Fachanwalts Christoph Seidler gibt es allerdings auch nach der Begründung „keine vollständige Klarheit“. Alle warteten nun „sehnsüchtig“ auf eine Gesetzgebung.

Betriebsrat hat nur eingeschränktes Mitspracherecht

Zwei Punkte hat das Gericht laut Seidler’s Ansicht nun allerdings klargestellt. Nur die Arbeitsdauer zu erfassen, reicht nicht aus. Arbeitnehmer müssen Beginn und Ende ihres Arbeitstages festhalten.

Auch gelte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht für die Frage, ob die Arbeitszeit erfasst werde. Laut Seidler erfolgt das bereits aus dem Gesetz.

Der Betriebsrat dürfte aber mitreden, wenn es die Art der Arbeitszeiterfassung geht. „Das haben die Richter in ihrer Begründung noch einmal bekräftigt“, sagt Seidler. Ein neues Gesetz könnte das Mitbestimmungsrecht jedoch weiter eingrenzen. Denn dieses greife nur dort, wo ein Gesetz noch Spielräume zur Gestaltung lasse.

Alle Unternehmen sind zudem verpflichtet, Arbeitszeiten zu erfassen. Wer dies unterlasse oder Zeiten nicht ausreichend dokumentiere, verhalte sich rechtswidrig.

Bei Detailfragen Gesetz abwarten

Dennoch empfehle es sich, in Detailfragen die Reaktion des Gesetzgebers abzuwarten, meint Seidler: „Sonst hat man unter Umständen jetzt eine Praxis etabliert, die man in ein paar Monaten wieder anpassen muss.“ Das Gericht hat nicht definiert, wie Arbeitszeiten zu erfassen sind. Dazu sagt Seidler, dass es nur wichtig sei, „dass ein System jetzt etabliert und eingerichtet wird“.

In diesen Prozess sei der Betriebsrat einzubinden. Auch wer viel arbeitet und auf reichlich Überstunden kommt, muss seine Zeiten erfassen. Selbst Manager – unterhalb der Geschäftsleitungsebene – müssten sie nun dokumentieren, so Seidler weiter. Vertrauensarbeitszeit solle dennoch künftig möglich sein.

Die Politik habe dies „mantraartig“ wiederholt, sagt Seidler. „Zum Beispiel, indem Arbeitgeber die Pflicht zur Zeiterfassung an Mitarbeiter delegieren und diese nur stichprobenartig kontrollieren.“ Wie das alles genau aussehen könne, hänge auch hier vom Gesetzgeber ab.

Gewerbeaufsicht kontrolliert Einhaltung

Ausnahmen – etwa für kleine Betriebe – soll es laut Arbeitsministerium nicht geben. Eventuell könnten abweichende Regelungen in Tarifverträgen vereinbart werden. Davon hätten laut Seidler kleine Firmen allerdings nicht, „weil sie eigentlich nie tarifgebunden sind“.

Die Gewerbeaufsichtsämter kontrollieren die Einhaltung der neuen Regelung. Stellen sie Unregelmäßigkeiten fest, müssen die betroffenen Unternehmen innerhalb einer bestimmten Frist nachbessern. Geschieht das nicht, droht ein Bußgeld. Die Höhe ist im Einzelfall von dem Verstoß und dem jeweiligen Unternehmen abhängig.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales plane für das erste Quartal 2023 „einen praxistauglichen Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz zu machen“, zitiert das „Handelsblatt“ einen Sprecher der Behörde.



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