Autogipfel ist für Insider eine „typische Konsens-Veranstaltung der Ampel“

Olaf Scholz lädt erstmals Vertreter aus Industrie, Verbänden und Politik ins Kanzleramt ein. Akteure anderer Verkehrssektoren fühlen sich ausgebootet.
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Elektromobilität ist ein zentrales Thema beim Autogipfel.Foto: iStock/Marcus Millo
Von 10. Januar 2023

Zwei zentrale Fragen stehen am heutigen Dienstag, 10. Januar, im Mittelpunkt eines Autogipfels. Wie kann der Verkehr klimaneutral werden? Wie kann gleichzeitig die Beschäftigung in der deutschen Auto- und Mobilitätswirtschaft erhalten werden? Dazu hat Bundeskanzler Olaf Scholz offenbar eine illustre Runde aus Mitgliedern der Industrie, Verbänden, Wissenschaft und Politik in sein Kanzleramt eingeladen.

Zweistündiger Meinungsaustausch

Die endgültige Teilnehmerliste dieses Treffens unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist nicht bekannt. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verkündete in der vergangenen Woche auf Anfrage der „Wirtschaftswoche“: „Es liegt noch keine abschließende Teilnehmerliste vor. Insofern kann ich das erst zu Beginn der Veranstaltung mitteilen. Es geht letztlich um die Frage, wer das einrichten kann.“

Erwartet werden laut Medienberichten aber die Chefs der Autokonzerne Mercedes, VW und BMW, Ola Källenius, Oliver Blume und Oliver Zipse. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) soll dabei sein. Das Bundesland ist ein wichtiger VW-Anteilseigner.

Dazu sind Vertreter von Zulieferern und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann geladen. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sollen zur Runde gehören, berichtet das „Handelsblatt“. Sie haben zudem die Vorsitzenden ihrer Beraterkreise dabei.

Eine große Runde also, mit vielen Meinungen und Interessen, die nach dem offiziellen Zeitplan innerhalb von zwei Stunden (14 bis 16 Uhr) zu bearbeiten sind. Welches Ziel genau Scholz bei seiner Premiere als Gastgeber des Autogipfels verfolgt, ist nicht bekannt. Eines, so ist sich die „Wirtschaftswoche“ sicher, wird es geben: Streit.

Denn kaum war das Treffen bekannt geworden, kamen aus vielen Ecken Kritik und Forderungen.

Interessenverband spricht von „Etikettenschwindel“

Wer aus Sicht von Kritikern fehlt: Akteure des Verkehrssektors abseits der Autobranche. Von einem „Etikettenschwindel“ sprach beispielsweise Dirk Flege, Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands „Allianz pro Schiene“. So beziehe sich die Veranstaltung zwar auf die gesamte Mobilitätswirtschaft, doch fehlten die Akteure des Verkehrssektors abseits der Autobranche.

Anhänger der Kernenergie forderten längere Laufzeiten für Kernkraftwerke, um die CO2-arme Stromversorgung von E-Autos zu sichern. Doch das wiesen Kernkraftgegner als „durchschaubaren Autolobbyismus zurück“. Umweltgruppen, die Scholz gar nicht erst eingeladen hat, fühlen sich ausgebootet. Sie bemängelten die Präsenz zu vieler Organisationen aus dem Autobereich.

Dagegen forderten sie einen „Mobilitätsgipfel“, um das Auto nicht zu stark in den Vordergrund zu stellen. Diese Veranstaltung soll es aber laut einem Teilnehmer später geben. Dafür spreche der offizielle Name jenes Gipfels, der auf der Einladung stehe: Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft (STAM).

Ampelkoalition zieht E-Mobilität den Stecker

Aber auch die Autohändler sind derzeit skeptisch, fürchten sie doch angesichts beschlossener Kürzung der Kaufprämien für E-Autos weitere schwindende Verkaufszahlen. „Die Ampelkoalition zieht der E-Mobilität den Stecker“, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler und Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer bereits im Sommer 2022. Ursache dafür seien die langen Wartezeiten bei E-Autos und Hybriden. „Wer heute ein E-Auto oder einen Hybrid bestellt, kann ja überhaupt nicht absehen, wann der Kauf genau stattfinden wird“, erläutert er.

Erst wenn der Kauf über die Bühne gegangen ist, kann der neue Besitzer die Prämie beantragen. Hybridverkäufe seien schon damals drastisch zurückgegangen, da deren Förderung zum Jahresende 2020 auslief. Dudenhöffer war überzeugt: Viele Kunden würden ihre Pläne überdenken, sich ein E-Auto anzuschaffen.

Damit sei „eine unheilvolle Spirale“ in Gang gesetzt: „Weil die beteiligten Konzerne sich nicht mehr auf das Marktwachstum verlassen können, wird auch die Zahl der Ladesäulen langsamer steigen als in den letzten Monaten.“ Damit aber würde wiederum ein Argument für den Kauf eines E-Autos entfallen.

Tesla offenbar nicht eingeladen

Und welchen Stellenwert hat das E-Auto beim heutigen Gipfel? Tesla als einer der wichtigsten E-Auto-Anbieter mit großem Werk in Brandenburg steht offenbar nicht auf der Gästeliste. Das verwundert einen Teilnehmer der Runde, den die „Wirtschaftswoche“ zitiert: „Warum eigentlich nicht. Hätte nicht gerade Tesla eine wertvolle Perspektive beim Thema Transformation?“

Weitere Fragen, die auf der Tagesordnung stehen:

  1. Datenstrategie im Auto: Wie kann die deutsche Autoindustrie bei Auto-Software und IT mit USA und China Schritt halten?
  2. Resilienz der Lieferketten: Wie kann die Versorgung der Autoindustrie mit Teilen und Rohstoffen gesichert werden?
  3. Klimaschutz im Straßenverkehr: Wie kann es gelingen, 2030 rund 15 Millionen E-Autos in Deutschland zu haben, welche CO2-Grenzen sind für Pkw und Lkw sinnvoll und wie wirkt sich die neue Abgasnorm Euro 7 aus?

Die Welt fährt künftig elektrisch

Die Erwartungshaltung an die Veranstaltung hält sich bei den Teilnehmern offenbar in Grenzen. Sie sehen sie als Versuch, ein altes Format wiederzubeleben. Schon die Vorgängerregierung unter Angela Merkel hatte einige Male zu Autogipfeln eingeladen. Einen perspektivischen Blick wagen Volkswagen, Mercedes und BMW und gehen davon aus, dass Autos künftig elektrisch fahren. Allenfalls BMW sieht in bestimmten Regionen der Welt und für bestimmte Anwendungszwecke auch noch den längeren Einsatz von Verbrennern.

Thema E-Fuels bleibt außen vor

Der neue VW-Chef Oliver Blume kümmert sich mit der Volkswagen-Tochter Porsche auch um die Produktion von synthetischen, klimafreundlichen Kraftstoffen. Sie werden mit Wasserstoff und Ökostrom hergestellt und deshalb auch E-Fuels genannt.

Dass sich Blume daher von der entschlossenen Elektro-Strategie seines Vorgängers Herbert Diess abwende, ist laut VW „Unfug“. Das Elektrifizierungstempo werde bei Volkswagen eher erhöht anstatt gebremst, heißt es in Wolfsburg. E-Fuels seien nur eine Ergänzung.

Das Thema E-Fuels dürfte keine Rolle spielen, weil es politisch zu heikel ist: FDP-Chef Christian Lindner gehört zu den E-Fuels-Fans, die Grünen lehnen den Öko-Sprit ab. Die Umstellung auf energiesparendere E-Autos könne dadurch verzögert werden.

„Es wird kaum darum gehen, den Streit E-Fuels gegen E-Autos beizulegen, weil die Positionen hier zu verhärtet sind“, so ein Insider. Das Kanzleramt wolle zunächst offenbar versuchen, alle beteiligten Stakeholder an einen Tisch zu holen.

Keine spektakulären Ergebnisse zu erwarten

Spektakuläre Ergebnisse des ersten Gipfels unter Scholz sind kaum zu erwarten. Das Treffen ist laut Insidern eine „typische Konsens-Veranstaltung der Ampel“. Jeder Koalitionär werde versuchen, seine Schwerpunkte zu setzen. „Das Format ist ja keine schlechte Idee, valide Ergebnisse wird man so aber erst einmal kaum produzieren“, sagt ein Teilnehmer.

Grund für die Zurückhaltung sind vor allem die tiefen verkehrspolitischen Gräben zwischen den Koalitionären FDP und Grünen. Die Grünen sind empört über den jüngsten Vorstoß von Verkehrsminister Volker Wissing für längere Kernkraftwerkslaufzeiten. „Hier hat Wissing den Grünen und insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck den Fehdehandschuh hingeworfen“, kommentiert ein Beobachter.

„Nun rächt sich Habeck dadurch, dass er Wissings Versagen beim Klimaschutz öffentlich anprangert.“ Vor einigen Tagen sagte Habeck, er wolle 2023 deutliche Fortschritte beim Klimaschutz im Verkehr sehen, denn es müsse noch eine große Lücke beim CO2 geschlossen werden.

Verkehrsministerium verstößt gegen Vorgaben

Tatsächlich komme unter anderen die Vermeidung von CO2 im Verkehrsbereich am schlechtesten voran. Ein Gutachten des Expertenrats für Klimafragen, einem Beratergremium der Regierung, gelangt zu dem Schluss, dass im Verkehr eine 14-fache Erhöhung der CO2-Reduktionsgeschwindigkeit notwendig sei, um das für 2030 gesetzlich vorgeschriebene Klimaschutzziel zu erreichen.

Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags verstößt Wissing mit seiner bisherigen Politik gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes. Die FDP kritisiert wiederum die Grünen für ihre einseitige Festlegung auf den Elektroantrieb.

Außerdem monieren die Liberalen, dass ausgerechnet die Denkfabrik „Agora Energiewende“ zum Gipfel eingeladen wurde. Agora gilt als Vorfeldorganisation der Grünen, auch weil Habecks Staatssekretär Patrick Graichen die Organisation früher leitete. „Hätte man Vertrauen schaffen wollen, hätte man auch eine andere Organisation auswählen können“, meint eine Ampel-Vertreterin.

„Agora“ bescheinigt Regierung ernüchternde Bilanz

Den Unmut dürfte Agora auch angesichts eines vernichtenden Rundumschlags zur Verkehrspolitik auf sich gezogen haben. Dabei sind auch die Grünen nicht ausgenommen. So falle die verkehrspolitische Zwischenbilanz der Ampelkoalition nach dem ersten Jahr „ernüchternd aus“, konstatierte Agora in einem Positionspapier.

Die Koalition habe in der Verkehrspolitik „kaum etwas erreicht“, so das Fazit. Eher das Gegenteil sei der Fall: „Die negativen Auswirkungen der Verkehrspolitik vergangener Jahre und Jahrzehnte türmen sich weiter auf“, heißt es weiter. Die zwölf Monate seit Regierungsantritt seien „ein verlorenes Jahr für die Klimapolitik im Verkehr“.

Spitzengespräch zwei Mal im Jahr

Laut „Handelsblatt“ soll es künftig zwei Mal im Jahr ein Spitzengespräch mit dem Bundeskanzler geben. So soll etwa der Expertenkreis „Transformation der Automobilwirtschaft“ (Eta) im Wirtschaftsministerium die Handlungsempfehlungen für die künftige Beschäftigung in der Branche vorlegen. Aufgabe des Gremiums ist es dann, zu evaluieren, wie erfolgreich die mit dem Zukunftsfonds finanzierten 25 sogenannten Transformationsnetzwerke sind. Mit diesen Netzwerken versuchen Kommunen, Landkreise sowie Industrie- und Handelskammern gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit Beschäftigte umzuschulen und weiter zu qualifizieren, damit in diesem Wandel möglichst wenig Menschen arbeitslos werden.



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