Bundesverfassungsgericht: Ist die Europäische Bankenunion und die zentrale Rolle der EZB rechtens?

Der Anti-Krisen-Kurs von Eurostaaten und EZB beschäftigt Karlsruhe immer wieder. Ist diese Bank wirklich berechtigt, Risiken in Billionenhöhe aufzunehmen? Ohne die Staaten und ihre Parlamente zu fragen? Die Richter haben Draghi im Verdacht, mit dem Kaufprogramm PSPP Wirtschaftspolitik und Staatsfinanzierung zu betreiben. Beides ist der EZB verboten.
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EZB-Gebäude in Frankfurt am Main.Foto: iStock
Epoch Times30. Juli 2019

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verkündet am Dienstag sein Urteil zu der als Konsequenz aus der Finanzkrise in Europa eingeführten Europäischen Bankenunion (10.00 Uhr). Die mündliche Verhandlung über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Neuregelungen zur gemeinsamen Bankenaufsicht sowie zur möglichen Abwicklung von maroden Geldhäusern hatte bereits im November stattgefunden.

Aus Sicht der Kläger um den Berliner Juristen und Wirtschaftswissenschaftler Markus Kerber gibt es für die von ihnen angegriffenen Beschlüsse zur Bankenunion keine Rechtsgrundlage in den Europäischen Verträgen. Die Neuregelungen zur Bankenaufsicht schreiben der Europäischen Zentralbank (EZB) eine zentrale Rolle zu.

Gewinnen die Kläger, dann müsste die Deutsche Bundesbank ihre Mitwirkung bei den Anleiheankäufen der EZB sofort einstellen: „Das wäre im Ergebnis nicht weniger als der Ausstieg Deutschlands aus dem Euro-System“, wie Heribert Prantl, selbst früherer Richter, sagte.

Es geht nicht um Peanuts

Gabor Steingart fragt dazu in seinem Morning Briefing, wie genau eigentlich das Mandat der EZB aussieht? Ist diese Bank wirklich berechtigt, Risiken in Billionenhöhe aufzunehmen? Welche Rolle spielen die eigentlichen Eigentümer der EZB, also die Notenbanken der Staaten? Sind die Notenbanken von Deutschland, Frankreich und Italien „Zuschauer oder Akteure mit einem Verweigerungsrecht eigener Art“?

Anders gesagt: Kann der Präsident der EZB einfach einen Scheck in Höhe von 2,5 Billionen Euro ausstellen, ohne dass die 19 Euro-Staaten etwas mitzureden haben? Diese sind alles Demokratien mit eigener Haushaltsverantwortung. SZ-Kolumnist Peter Gauweiler hält es für einen Skandal, dass sich der Bundestag zwar über Kleinstbeträge streitet, jedoch sich nicht mit diesem zentralen Risiko befasst – und noch nicht einmal darüber abgestimmt hat.

Was ist das Wahlrecht des Einzelnen noch Wert, wenn die wichtigste Kompetenz des Parlaments an ganz andere Gremien, wie den EZB-Rat, die eben nicht mehr demokratisch und im günstigsten Fall expertokratisch besetzt sind, abgegeben wird? Dann haben wir zwar Wahlkämpfe mit schönen Plakaten und wechselseitigen Polemiken. Aber wir wählen ein Parlament, das nichts mehr zu entscheiden hat.“

Und weiter: „Muss die Bundesbank des Jens Weidmann, bevor sie den Anleiheaufkäufen zustimmt oder sie ablehnt, nicht vorher den Deutschen Bundestag fragen? Denn das vornehmste Recht eines Parlamentariers ist seit Bismarcks Zeiten das Budgetrecht, also die Befugnis und die Verpflichtung, in letzter Instanz die Ausgaben und die Einnahmen des Staates freizuzeichnen.“

Die Bilanzsumme der Notenbanken Europas umfasst mittlerweile fast das 13-fache des deutschen Bundeshaushaltes, um die 4,5 Billionen Euro. „Allein die Summe der von 2015 bis 2019 getätigten Aktien- und Anleiheaufkäufe ist in den Bilanzen der EZB mit 2,5 Billionen Euro beziffert, dem 58-fachen des Bundeswehr-Etats. Man könnte für dieses Geld 170 Mal die Deutsche Bank kaufen.“

Haben zentrale Bankenaufseher zu Recht so viel Einfluss?

Die Beschwerden richten sich auch gegen einen gemeinsamen Notfall-Fonds zur Abwicklung von Banken in Schieflage, die zweite Säule der europäischen Bankenunion. (Az. 2 BvR 1685/14 u.a.) Gleich im Anschluss (ab 15.00 Uhr) verhandelt der Senat eineinhalb Tage über die Staatsanleihen-Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB). (Az. 2 BvR 859/15 u.a.)

Die Bankenaufseher haben 2014 in Frankfurt unter dem Dach der EZB ihre Arbeit aufgenommen. Ihrer Kontrolle unterstehen derzeit 114 „bedeutende“ Institute, davon 19 in Deutschland. Für rund 1400 „weniger bedeutende“ deutsche Geldhäuser bleiben Bafin und Bundesbank zuständig. Der Abwicklungsfonds in Brüssel soll bis 2024 über Bankenabgaben mit geschätzt 55 Milliarden Euro ausgestattet werden.

Die Kläger um den Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber („Europolis“-Gruppe) sind der Ansicht, dass Deutschland damit große finanzielle Risiken eingeht und gleichzeitig viel zu viel Macht aus der Hand gibt. Für die Übertragung derart weitreichender Kompetenzen auf europäische Ebene fehle die rechtliche Grundlage.

Bundesregierung hält Bankenunion für verfassungskonform

Die Bundesregierung hält die Bankenunion für verfassungskonform und notwendig. Ein lokales Bankenproblem könne sich leicht zu einem Stabilitätsproblem für die gesamte Eurozone auswachsen, hatte das Finanzministerium in der Verhandlung im November vorgetragen.

Die Aufseher prüfen regelmäßig den Geschäftsbetrieb der Geldhäuser. Fallen besondere Risiken auf, können sie Banken vorschreiben, sich dickere Kapitalpuffer zuzulegen. Sie sind auch befugt, Manager abzulehnen oder einem Institut die Zulassung zu entziehen.

Unter die Aufsicht fallen Großbanken, deren Bilanzsumme mehr als 30 Milliarden Euro oder 20 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung beträgt, und unabhängig davon auf jeden Fall die drei größten Institute jedes Eurolandes. In Deutschland gehören dazu zum Beispiel die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Bayerische Landesbank.

Mündliche Verhandlung zur Finanzierung hoch verschuldeter Staaten

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe setzt sich am Dienstagnachmittag in einer mündlichen Verhandlung erneut mit der Frage auseinander, ob das Billionen-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Kauf von Staatsanleihen mit der Verfassung vereinbar ist.

Kritiker sehen in den Anleihenkäufen eine indirekte Haushaltsfinanzierung hoch verschuldeter Staaten und klagten vor dem Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe legte die Klage 2017 dem Europäischen Gerichtshof vor – der EuGH entschied, die EZB sei zu den Käufen befugt.

Verhandelt wird vor dem Zweiten Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Die EZB unter ihrem Präsidenten Mario Draghi kaufte zwischen März 2015 und Ende 2018 Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Volumen von rund 2,6 Billionen Euro auf. Das soll die Zinsen drücken und die Kreditvergabe anheizen, damit Verbrauchern und Unternehmen das Geld lockerer sitzt.

Grundlegende Bedenken schon seit 2017: Verbotene Wirtschaftspolitik und Staatsfinanzierung

Die Richter hatten dazu schon im Sommer 2017 grundlegende Bedenken angemeldet. Sie haben Draghi im Verdacht, mit dem Kaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) Wirtschaftspolitik und Staatsfinanzierung zu betreiben. Beides ist der EZB verboten.

Weil es um EU-Recht geht, schalteten sie damals den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ein – der die Anleihenkäufe im Dezember 2018 für rechtens erklärte. Die spannende Frage ist, wie Karlsruhe damit nun umgeht. Im äußersten Fall könnten die deutschen Richter den Konflikt suchen und der Bundesbank die Beteiligung untersagen. Das Urteil wird möglicherweise noch 2019 verkündet.

Seit Jahresanfang steckt die EZB zwar kein frisches Geld mehr in Anleihen. Die Mittel aus auslaufenden Staats- und Unternehmenspapieren werden aber bis auf Weiteres wieder angelegt. Und angesichts düsterer Wirtschaftsaussichten und schwacher Inflation lässt Draghi Optionen für neue Anleihenkäufe gerade prüfen.

Das Bundesverfassungsgericht muss nun also erneut darüber verhandeln, ob diese Einschätzung mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist, oder ob Verfassungsrechte der Bürger verletzt werden. Überprüft wird dabei vor allem die demokratische Legitimierung der Europäischen Zentralbank. Eine Entscheidung wird erst in einigen Monaten erwartet. (afp/dpa/ks)



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