Das Erbe von Angela Merkel – „irgendwo zwischen Krisen und verpassten Chancen“

Die internationale Presse blickt auf 16 Jahre unter Kanzlerin Merkel zurück. Die Urteile fallen gemischt aus. Doch eins ist klar: Die Nachfolgeregierung wird es nicht leicht haben.
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Angela Merkel.Foto: INA FASSBENDER/AFP via Getty Images
Epoch Times26. September 2021

Kurz vor der Bundestagswahl wurde in den internationalen Medien noch einmal über die 16 Jahre unter Bundeskanzlerin Angela Merkel resümiert.

Der niederländische „De Telegraaf“ hielt etwa fest, dass Kanzlerin Merkel normalerweise „lange und gründlich“ nachzudenken pflegte, bevor sie Entscheidungen getroffen hatte. Die Zeitung bemängelte in ihrer Rückschau jedoch, Merkel habe dieses „gründliche Nachdenken“ bei zwei wichtigen Ereignissen vermissen lassen: Einmal bei der Entscheidung, nach dem Reaktorunfall in Fukushima die Abschaffung der Kernenergie in Deutschland einzuleiten, und das zweite Mal bei ihrer Entscheidung, die Grenzen für Flüchtlinge und Migranten zu öffnen – ohne die Einbeziehung der europäischen Partner.

Die erste Entscheidung habe Deutschland von russischem Gas abhängig gemacht und die zweite Entscheidung habe der AfD Vorschub geleistet. „In 50 Jahren wird Merkel wohl kaum auf der Liste großer deutscher Führungspersönlichkeiten stehen“, ist sich die Zeitung sicher.

Der britische „The Guardian“ bezeichnete Merkel als „Vorkämpferin der Konsenspolitik“. Inmitten eines wieder auflebenden Nationalismus und einer starken politischen Polarisierung im Westen wäre Merkel die Rolle zugekommen, eine konsensorientierte, auf Regeln basierende Politik auf der Weltbühne zu machen.

Die strengen Sparmaßnahmen, die den südeuropäischen Staaten während der europäischen Schuldenkrise Anfang der 2010er-Jahre aufgezwungen wurden – auf denen Merkel und ihr damaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble bestanden hatten – „waren zutiefst fehlgeleitet und antidemokratisch“. Dabei wurde es versäumt, so das Blatt weiter, echte Mängel in der wirtschaftlichen Architektur der Eurozone zu beheben. Die Gegenreaktion führte nach Meinung des „Guardian“ dazu, dass der Nationalismus wieder in Mode kam.

„Die Welt wird Merkel vermissen“

Die spanische „La Vanguardia“ schreibt über Merkel, dass sie Deutschland als „führende Wirtschaftsmacht“ etabliert habe. Insgesamt werte das Blatt ihre Wirtschaftspolitik positiv. „La Vanguarida“ befürchtet nun, dass die CDU die Wahl verlieren könne, da Extremisten an Boden gewonnen hätten. Die Zeitung ist sich sicher, mit Merkels Abgang wird sich vieles ändern. Zudem müssten die Deutschen „erst wieder lernen“, ohne Merkel zu leben. Merkel wäre eben für viele nicht nur Bundeskanzlerin, sondern auch „Europakanzlerin“ gewesen.

Der schwedische „Dagens Nyheter“ sieht dies ähnlich: „Die Welt wird Merkel vermissen“, schreibt das Blatt. Merkel habe eine beachtliche Reise hingelegt, beginnend in der DDR bis zur mächtigsten Frau der Welt. Während ihrer Kanzlerschaft habe Deutschland „stabil“ gewirkt. Merkel habe aber auch Schwächen gehabt. Sie tendierte bei „schwierigen Entschlüssen zu zögern“ und eher „zu reagieren anstatt zu regieren“. Die Bilanz, so der „Dagens Nyheter“, habe viele Plus- aber auch Minuspunkte.

Die französische Zeitung „Libération“ bemerkte, der Stil von Angela Merkel sei „einzigartig“ gewesen, und dass dieser möglicherweise nicht noch einmal funktioniere.

„15 Jahre nachdem Merkel frisch gewählt wurde, gehört sie so sehr zur deutschen Landschaft, dass man Schwierigkeiten hat, sich das Land ohne sie vorzustellen, genauso wie das Autobahnnetz und das Wettersteingebirge nicht einfach plötzlich verschwinden können. Man kann vermuten, ihr Nachfolger wird versucht sein, ihre Art des Regierens zu übernehmen – Veränderungen zu vermeiden, auf Krisen zu reagieren, nachdem sie ausbrechen, bei jeder Herausforderung Solidarität zu beweisen, Großunternehmer schonen, egal ob sie die Umwelt verschmutzen oder nicht. Aber es ist nicht sicher, ob diese Vorgehensweise noch einmal funktionieren wird. Das Land hinkt bei allen wichtigen Themen der Zeit hinterher – die Digitalisierung, das Klima, öffentliche Verkehrsmittel, die Energiewende“, so die „Libération“.

Die portugiesische Zeitung „Público“ bezeichnet das Erbe der Merkel-Ära als „schwer“: Ihr Erbe sei widersprüchlich, „irgendwo zwischen Krisen und verpassten Chancen“. Das Blatt nennt als Beispiel die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, die Corona-Krise. Bei Letzterer sorgte Merkel anders als bei der Eurokrise dafür, dass sich in der EU Solidarität gegen das Sparprinzip durchgesetzt hatte. Das habe Europa stärker gemacht.

Auch auf internationaler Ebene sei Merkels Bilanz widersprüchlich. Es begann mit der Verteidigung der Ideale der Demokratie und der Menschenrechte und endete gegenüber Russland und China eher gedämpft durch die Interessen der deutschen Industrie. Unter Merkel wurde Deutschland zwar zur drittgrößten Handelsmacht, aber es fehle eindeutig die „geopolitische Komponente“. Die aber brauche Deutschland und Europa. „Eine schwere Aufgabe für die Erben nach der Ära Merkel“, schreibt „Público“.

Merkel kandidiert nach 16 Jahren im Kanzleramt nicht erneut und wird sich voraussichtlich aus der Politik zurückziehen. (dpa/oz/nw)



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