
Die elektronische Patientenakte geht bundesweit an den Start – doch viele Bedenken bleiben
Die bundesweite Einführung der elektronischen Patientenakte ist am Dienstag, 29. April. Der scheidende Bundesgesundheitsminister Lauterbach sieht alle vom Chaos Computer Club aufgedeckten Mängel als behoben an.

Die datenschutztechnischen Probleme, die der Chaos Computer Club aufgedeckt hat, sind nach Aussage des scheidenden Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) behoben.
Foto: Michael Kappeler/dpa
Die Geschichte der ePA ist lang und holprig. Laut dem scheidenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind mehr als 20 Jahre bis zum Start ins Land gegangen. Ab Dienstag, 29. April 2025, wird das wohl wichtigste Projekt Lauterbachs bundesweit verfügbar sein. Sicherheitsbedenken seien ausgeräumt.
Anfang Dezember 2015 verabschiedete der Bundestag das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“, kurz E-Health-Gesetz. Es trat Anfang 2016 in Kraft. Mit dem Gesetz werde der „Fortschritt im Gesundheitswesen“ vorangetrieben, sagte Hermann Gröhe (CDU), im Kabinett Merkel III von 2013 bis 2018 Bundesgesundheitsminister.
Dabei betonte er damals, dass Patientennutzen und Datenschutz im Mittelpunkt stünden. „Eine sichere digitale Infrastruktur verbessert die Gesundheitsversorgung und stärkt die Selbstbestimmung der Patienten.“ Das bringe „echten Nutzen“ für die Versicherten. Ärzte, Kassen und Industrie müssten diese Vorgaben nun „im Sinne der Patienten“ zügig umsetzen.
ePA für Ex-Gesundheitsminister Gröhe die „Königsdisziplin“
2017 bezeichnete Gröhe die ePA als „Königsdisziplin“. Er sagte damals, dass sie das „notwendige Instrument“ sei, „damit alle Behandler in Hinblick auf Mehrfacherkrankungen und chronisch Erkrankte alles Wissen zur Verfügung haben“. So sollten Patienten nicht mehr als „Datenträger“ fungieren müssen, indem sie „Befunde in braunen Umschlägen von Arzt zu Arzt tragen“.
Zum bundesweiten Start der „ePA für alle“, wie die elektronische Datensammlung nun offiziell heißt, am Dienstag, 29. April, führt das Gesundheitsministerium acht nennenswerte Vorteile an. So könnten Patienten jederzeit auf die Inhalte zugreifen, Befunde in Ruhe durchgehen, um beim nächsten Arztbesuch gezielt Fragen stellen zu können. Das Ministerium sieht darin eine Stärkung der Rechte für die Patienten.
Durch eine Verknüpfung mit dem E-Rezept erstelle die ePA zudem eine digitale Übersicht aller Medikamente, die ein Patient erhalte. Weil Ärzte oder auch Apotheker so einen kompletten Überblick haben, könnten etwa ungewollte Wechselwirkungen zwischen Präparaten verhindert werden. Lästiges Suchen in der Krankengeschichte gehöre demnach der Vergangenheit an. Auch etwaige Doppeluntersuchungen könnten dank der digitalen Übersicht vermieden werden. Arztbriefe, Krankengeschichte und Medikationsliste fließen automatisch in die ePA, der Patient muss nichts mehr tun.
Laut Gesundheitsministerium sind die Daten sicher
Das Gesundheitsministerium hebt auch hervor, dass die Patienten stets Herr über ihre Daten seien. So könnten sie entscheiden, ob sie einem Arzt Einblicke in die ePA gewähren wollen oder nicht. Auch stehe es ihnen frei zu entscheiden, ob etwa Familienmitglieder oder andere Personen Zugang zu den Inhalten bekommen.
Das Ministerium garantiert die Sicherheit der Daten. Diese seien auf in Deutschland stehenden Servern gespeichert – „nach höchsten Standards und den europäischen Datenschutzbestimmungen“. Auch dürften Informationen „immer nur für klar ausgewiesene, legitimierte Zwecke genutzt werden“.
Dabei war und ist Sicherheit ein großes Thema, Bedenken sind offenbar nach wie vor nicht ausgeräumt. Erst im Dezember 2024 – kurz vor dem Start der ePA-Testphase – demonstrierte der Chaos Computer Club, wie einfach es sei, die Sicherheitshürden zu überwinden (Epoch Times berichtete). Ohne viel Aufwand gelang es zwei IT-Sicherheitsexperten beim Hacker-Kongress 38C3 auf einen Schlag auf 70 Millionen Patientenakten zuzugreifen.
Ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts für Sichere Informationstechnologie, von dem das ePA-Sicherheitskonzept – abgesehen von geringen Mängeln – positiv bewertet wurde, bezeichneten die CCC-Sicherheitsforscher als „halluzinierte Fehldiagnose“.
Laut der Website des Gesundheitsministeriums werde das „theoretische Problem, das der CCC beschreibt, […] vor der Einführung der ePA für alle technisch gelöst sein“.
Lauterbach, der in der neuen Regierung keine Rolle mehr spielen wird, sieht die ePA-Technik nach bisheriger „intensiver Testung“ in den Modellregionen als einsatzbereit an. Es sei „an der Zeit, in die entscheidende Phase einzutreten“, sagte der Minister wenige Tage vor dem bundesweiten Start.
vzbv: Krankenkassen informieren lückenhaft
Verbraucherschützer und Gesundheitsverbände sind hingegen weniger optimistisch als der scheidende Gesundheitsminister. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv) kritisiert zudem die Krankenkassen, weil viele nicht umfänglich über die Risiken und die Einschränkungen, die mit der ePA einhergehen, informiert hätten. So werde vielfach die Verbindung mit dem elektronischen Impfpass genannt. Doch gebe es für diesen noch gar kein Einführungsdatum.
Wenn die HKK Krankenkasse die ePA als „Ihr persönlicher, lebenslanger, digitaler Aktenordner für medizinische Dokumente, hochsicher und geschützt“ beschreibe, suggeriere sie falsche Voraussetzungen. So sei jeder Versicherte für die Sicherheit von Daten auf Smartphones und Computern selbst verantwortlich.
„Die Bewertung des Datenschutzes und der Datensicherheit kann aus Versichertensicht ein entscheidendes Argument für oder gegen die Nutzung der ePA sein“, heißt es in dem vzbv-Schreiben vom Dezember.
Irreführend sei es auch, wenn die AOK Bayern zum Thema Datenschutz mitteile: „Nur Sie und Personen, die Sie festlegen, haben Zugang – beispielsweise ärztliches Personal oder Familienangehörige. Ihre AOK hat keinen Zugriff.“ Dies suggeriere, dass die Besitzer der ePA den Personenkreis, der darauf Zugriff haben soll, selbst festlegen können. Grundsätzlich sei es jedoch so, dass alle „behandelnden und berechtigten Leistungserbringer“ auf die Daten zugreifen können, wenn der Versicherte dem Zugriff nicht widerspreche.
Psychologen raten psychisch Erkrankten zum Widerspruch
Vor dem Hintergrund der vom CCC publik gemachten Sicherheitsbedenken warnte Susanne Berwanger, Vizepräsidentin des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen, vor der ePA. Menschen mit psychischer Erkrankung sollten ihr widersprechen oder eine bereits angelegte Akte löschen lassen.
In einem Interview mit der „Apotheken-Umschau“ vom Januar begründete sie das mit den „hochsensiblen Daten, wie sie bei psychologischen Erkrankungen entstehen“. Gerieten solche Daten an die Öffentlichkeit, könnten Betroffene damit erpresst werden.
„Oder Arbeitgeber stellen Personen wegen psychischer Erkrankungen nicht ein“, sagte sie. Es bestehe die Gefahr von Stigmatisierung.
Auch könnten Ärzte den Patienten anders behandeln und Symptome auf eine psychische Erkrankung schieben.
Nach den vom CCC offenbarten Sicherheitslücken forderte die AfD-Bundestagsfraktion zum Start der Testphase Mitte Januar 2025 einen sofortigen Stopp. Martin Sichert, gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partei, kritisierte unter anderem, dass der Mensch infolge von Widerspruchslösungen immer mehr zum „Allgemeingut“ werde. Dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erst durch einen Einspruch wieder hergestellt werde, sei inakzeptabel.
Die Linke im Bundestag monierte neben den Sicherheitsmängeln, dass die ePA für Ärzte „Mehrarbeit ohne zusätzlichen Nutzen“ bedeute. Auch seien gerade ältere und eingeschränkte Menschen benachteiligt, weil für sie das auf Smartphones ausgerichtete System häufig nicht nutzbar sei.
Die ePA ein „Game-Changer“?
Dr. Traugott Gruppe, Medical Director Deutschland beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, sieht hingegen ein großes Potenzial der ePA für die Forschung durch den Zugriff auf Daten. „Neben Vorteilen im klinischen Alltag für die Patientinnen und Patienten – wie die schnellere Diagnosefindung und optimale Therapiefindung im fachdisziplinären Austausch – sind die Daten der ePA auch für Forschungsprojekte sehr hilfreich. Denn sie liefern uns sogenannte ‚Real-World‘-Daten. Das sind umfangreiche und detaillierte Datensätze […], die über einen längeren Zeitraum erhoben werden und die tatsächliche Realität im Behandlungsalltag abbilden“, wird er auf der Website des Konzerns zitiert.
In der „Pharmazeutischen Zeitung“ sprach der Bundestagsabgeordnete und Digitalexperte der SPD, Matthias Mieves, von „echten Erfolgserlebnissen“ als Folge der Einführung der ePA. Dass die ePA ein „Game-Changer“ werde, wüssten alle. „Die Fragen der Patientinnen werden gesammelt und Feedback der Leistungserbringenden aufgenommen. Hersteller kriegen direkt aus den Modellpraxen Aufträge.“
Nach einem zweijährigen Volontariat arbeitet Oliver Signus seit mehr als 30 Jahren als Redakteur. Seit 2022 schreibt er für Epoch Times. Dabei ist die vielschichtige, abwechslungsreiche Arbeit das tägliche Salz in der Suppe. Als Schwerpunkte haben sich die brisanten Themen unserer Zeit wie das World Economic Forum (WEF) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) herauskristallisiert.
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