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Verschärfungen der Sanktionen

„Neue Grundsicherung“: So will die Koalition das Bürgergeld reformieren

Union und SPD kündigen strengere Auflagen für die 5,5 Millionen Bezieher von Bürgergeld an. Opposition und Sozialverband üben heftige Kritik an den Plänen.

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Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD).

Foto: via dts Nachrichtenagentur

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Lesedauer: 10 Min.

Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich die Spitzen von Union und SPD auf Verschärfungen beim Bürgergeld geeinigt. Die „neue Grundsicherung“ werde kommen, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. „Wir werden die Mitwirkungspflichten deutlich verstärken, wir werden auch die Sanktionsmöglichkeiten deutlich erhöhen.“

Bas: Nur wenig Einsparpotenzial

Die rund 5,5 Millionen Bürgergeldbezieher müssen sich bei einer Umsetzung der Pläne daher auf strengere Auflagen einstellen. Dem Durchbruch im Koalitionsausschuss waren intensive Gespräche von Merz und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas vorausgegangen. Die SPD-Politikerin warnt allerdings auch vor zu hohen Erwartungen an die Einsparungen durch die geplanten Sanktionen beim bisherigen Bürgergeld. „Der Betrag wird sehr klein sein“, sagte Bas am Donnerstag zu den finanziellen Folgen der Einigung der Koalitionsspitzen auf die neue Grundsicherung. Alleine über Sanktionen und Mitwirkungspflichten der Bezieher der Leistung sei nicht viel zu erreichen.
Union und SPD seien sich einig, dass der Staat Geld nur dann spare, wenn die bisherigen Bürgergeldempfänger eine Arbeit aufnehmen, sagte Bas weiter. Hier gelte als Faustformel: Bei 100.000 arbeitenden bisherigen Bürgergeldempfängern würden 1 Milliarde Euro eingespart. „Das ist unser gemeinsames Ziel, die Menschen in Arbeit zu bringen“, sagte Bas.
Mit den Änderungen sollen Teile der Anfang 2023 unter der Ampelregierung in Kraft getretenen Bürgergeldreform rückabgewickelt werden. Die Leistung soll künftig einfach nur noch Grundsicherung für Arbeitssuchende heißen. Im Zentrum stehen Verschärfungen, die die Pflichten der Bezieher von Leistungen stärker hervorheben. Fördern und Fordern sollen besser in Balance gebracht, Missbrauch stärker unter Kontrolle gebracht werden.

30 Prozent weniger Geld bei einem versäumten Termin

Härtere Sanktionen drohten, wenn jemand gegen die Regeln der Arbeitsämter verstößt und etwa einen Termin nicht wahrnimmt oder eine Arbeitsaufnahme verweigert. Wer als Empfänger von Grundsicherung einen Termin beim Arbeitsamt schwänzt, riskiert sofort eine Kürzung der monatlichen Überweisung um 30 Prozent. Erscheint er beim zweiten Termin wieder nicht, fallen weitere 30 Prozent weg. Wer dreimal einen Termin versäumt, bekommt kein Geld mehr.
Alle Leistungen inklusive der Unterstützung zur Unterkunft sollen gestrichen werden, wer auch im Monat darauf nicht erscheint. „Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben“, sagte Bas. „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“ Härtefälle würden aber berücksichtigt. Die Ministerin glaubt, dass das vorgesehene Streichen aller Leistungen bei Totalverweigerern verfassungsgemäß ist.
Sie begründete dies mit der geplanten gesetzlichen Umsetzung. Im Sozialgesetzbuch (SGB) 1 sei geregelt, dass jeder, der eine staatliche Leistung wolle, mitwirken müsse. „Wir glauben“, damit sei die geplante Reform verfassungsmäßig sicher. Im SGB 2 werde nach den Regierungsplänen die Kaskade an konkret geplanten Sanktionen verankert. Hier gebe es bereits ein Verfassungsurteil, dessen Rahmen nun ausgeschöpft werden solle. „Da bleiben wir im verfassungsrechtlichen Rahmen, das schöpfen wir aus“, sagte Bas. „Deshalb sind wir sicher, dass das hält.“

Bas rechnet mit Zustimmung

Die SPD-Chefin zeigte sich zuversichtlich, auch in ihrer Partei Unterstützung für die Pläne zu bekommen. Es gelte weiterhin das Prinzip, diejenigen zu unterstützen, die Hilfe benötigen. Deshalb werde auch an dem Kooperationsplan festgehalten, den es beim Bürgergeld gebe. Dieser werde auf Augenhöhe mit den Leistungsempfängern verhandelt. Erst wenn gegen den Vertrag verstoßen werde, habe das Folgen. Das könne sie auch in der SPD vertreten.
Auch das Vermögen der Betroffenen soll weniger geschont werden. Zuvor galt beim Bürgergeld eine Karenzzeit von zwölf Monaten, in der das Schonvermögen bis zu 40.000 Euro für die erste Person und 15.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft unangetastet blieb. Diese Karenzzeit soll künftig entfallen. Das Schonvermögen soll stattdessen an die Lebensleistung geknüpft werden.
18 Jahre nach dem Start des damals umgangssprachlich Hartz IV genannten Systems hatte das Bürgergeld die Regeln für Langzeitarbeitslose und Bedürftige vor zwei Jahren teils entschärft. Arbeitslose sollten weniger gegängelt, ihnen sollte mehr geholfen werden. Die Bürgergeldreform galt als wichtigste Sozialreform der Ampelkoalition.

Kritik gab es schon unter der Ampel

Doch noch während der Regierungszeit der Ampel geriet das Bürgergeld immer mehr in die Kritik. Hauptkritikpunkte: Es gehe dabei nicht immer gerecht zu, Mehrarbeit würde sich oft nicht lohnen, Regelverstöße würden zu lasch behandelt. „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet“, hatte etwa CSU-Chef Markus Söder im Einklang mit vielen Unionspolitikern gefordert. Im Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD dann auf Reformansätze, die Rechte und Pflichten verbindlich regeln sollen.
Das Bürgergeld soll das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum auch beispielsweise bei Langzeitarbeitslosen gewähren. Alleinstehende erhalten 563 Euro im Monat. Kinder erhalten je nach Alter 357 bis 471 Euro. Im kommenden Jahr soll es die zweite Nullrunde in Folge geben, nachdem die Regelsätze 2023 und 2024 inflationsbedingt deutlich erhöht worden waren.
Die geplante Verschärfung des Bürgergelds durch SPD und Union stößt auf breite Kritik – insbesondere von Sozialverbänden, Arbeitsmarktforschern und der Opposition. Sie warnen vor sozialer Ausgrenzung, verfassungsrechtlichen Problemen und Symbolpolitik.

Opposition und Verbände üben heftige Kritik

Das Portal „Gegen-Hartz.de“ kritisiert die Reform als „populistisches Signal“, das sich nicht an realen Problemen orientiere, da die Anzahl sogenannter „Totalverweigerer“ verschwindend gering sei. Arbeitsmarktdaten zeigten, dass sich die Anzahl solcher Fälle bundesweit in einem niedrigen zweistelligen Bereich bewege.
Auch die geplante Reduzierung des Schonvermögens von bislang 40.000 Euro auf künftig 15.000 Euro stößt auf Kritik. In der praktischen Umsetzung bedeute dies, dass Antragsteller deutlich früher auf ihr angespartes Vermögen zurückgreifen müssten, bevor staatliche Leistungen in vollem Umfang greifen. Besonders betroffen wären Haushalte, die Rücklagen für die Altersvorsorge außerhalb staatlich privilegierter Produkte, für unvorhergesehene Notfälle oder für die Ausbildung ihrer Kinder gebildet haben. Für sie steigt der Druck, diese Reserven aufzulösen. So warnt der Sozialrechtsexperte Utz Anhalt laut dem Portal vor „einer Erosion der Selbstvorsorge und möglichen Hürden beim späteren Wiederaufbau und Stabilität“.
Aus Reihen der Oppositionsfraktionen im Bundestag gibt es auch Kritik. AfD-Chefin Alice Weidel nennt die Reform „Etikettenschwindel“, die Sanktionen „kosmetische Korrekturen“. Auf X fordert sie, dass das Bürgergeld nur für deutsche Staatsbürger zugänglich sein soll, denn: „Jeder zweite Empfänger ist Ausländer, das ist der Elefant im Raum.“
Teile der Bundestagsopposition warnten vor Armutsrisiken. „Was hier vorgelegt wurde, ist wirklich harter Tobak“, sagte Grünen-Chef Felix Banaszak den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Die Einigung sei „ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die ohnehin schon jeden Tag kämpfen“.

AWO: Nicht mal 1 Prozent Totalverweigerer

Linken-Chefin Ines Schwerdtner kritisierte eine Politik auf Kosten der Schwächsten. „Bevor man bei den Ärmsten spart, sollte die Regierung besser nach oben gucken und schauen, welche starken Schultern mehr tragen können“, sagte Schwerdtner der „Rheinischen Post“. Die Vorgabe der Koalition, 10 Prozent beim Bürgergeld einzusparen, „ist ja eine Art Planwirtschaft für Sozialabbau“.
Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), kritisiert die geplante Bürgergeldreform scharf und bezeichnet sie als einen „Angriff auf den Sozialstaat“. Besonders die vorgesehenen Sanktionen, die bis zum vollständigen Leistungsentzug reichen können, hält er für gefährlich. Sie könnten seiner Einschätzung nach Menschen in die Obdachlosigkeit treiben und würden die soziale Sicherheit untergraben.
Groß bemängelt, dass unter dem Vorwand der sogenannten „Totalverweigerer“ Millionen Familien pauschal bestraft würden, obwohl laut Angaben der AWO weniger als 1 Prozent der Bürgergeldempfänger tatsächlich jede Form der Arbeitsaufnahme verweigert. Es sei absurd, Menschen allein wegen verpasster Termine die Existenzgrundlage zu entziehen. „Es kann nicht wahr sein, dass der Bundesregierung angesichts all der Krisen, die wir erleben, nichts Besseres einfällt, als schon wieder am Sozialstaat zu sägen.“
Der Jungen Union hingegen gingen die Pläne nicht weit genug. Bas müsse „Rechte und Pflichten beim Bürgergeld wieder definieren“, forderte JU-Chef Johannes Winkel im „Spiegel“. Ohne dieses Mindestmaß könne kaum verhindert werden, „dass Leute sich im System einrichten“.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
Nach einem zweijährigen Volontariat arbeitet Oliver Signus seit mehr als 30 Jahren als Redakteur. Seit 2022 schreibt er für Epoch Times. Dabei ist die vielschichtige, abwechslungsreiche Arbeit das tägliche Salz in der Suppe. Als Schwerpunkte haben sich die brisanten Themen unserer Zeit wie das World Economic Forum (WEF) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) herauskristallisiert.

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