Neue Studie von Denkfabrik der SPD und Grünen: Durch Abwertung kann man zum AfD-Wähler werden

Menschen in strukturschwachen Gebieten fühlten sich von der Politik verlassen. Dies treibe sie in die Hände der AfD, heißt es in einer neuen Studie des Grünen- und SPD-nahen "Progressiven Zentrums“.
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Reste von Industrieanlagen in Duisburg, Ruhrgebiet.Foto: iStock
Von 23. März 2018

Was macht die AfD stark? Laut einer neuen Studie des „Progressiven Zentrums“ – einer Grünen- und SPD-nahen Denkfabrik – sei es nicht Rassismus, sondern eine „gefühlte Benachteiligung“, die die Wähler zu der AfD treibt.

„Rückkehr zu den politisch Verlassenen“ heißt die 24-seitige Studie von Johannes Hillje, die vom Auswärtigen Amt gefördert wurden. Sie basiert auf 500 halbstündigen Haustürgesprächen, die in 12 strukturschwachen Gebieten in Deutschland und Frankreich geführt wurden. Diese seien Hochburgen der AfD und der „Front National“, heißt es in der Studie.

Insgesamt versuchten die Forscher 5.000 Mal, die Bewohner jener Regionen bei Hausbesuchen anzusprechen. 4.500 von ihnen schlugen die Tür wieder zu.

Die Menschen in Deutschland wurden zwischen dem 5. und 14 September 2017 in sechs Gebiet befragt. Diese waren:

  • Berlin Marzahn-Hellersdorf,
  • Eisenhüttenstadt, Brandenburg,
  • Fürstenwalde-Molkenberg, Brandenburg,
  • Duisburg-Neumühl, NRW,
  • Gelsenkirchen-Ost, NRW,
  • Datteln-Meckinghoven, NRW.

Die Wahl sei auf diese Gegenden gefallen, „weil sie auf Basis eines mehrdimensionalen Index ein hohes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung aufweisen“, heißt es in der Studie.

Im Durchschnitt waren die Befragten 48,8 Jahre alt. Dabei beantworteten sie elf offene Fragen zu ihrer individuellen Lage sowie zur Sicht auf ihr Lebensumfeld und das Land.

Das Ziel der Studie war es, „Meinungen, Einstellungen, Sorgen und Hoffnungen von Menschen, die in sozial und ökonomisch schwächer gestellten Regionen von Frankreich und Deutschland mit einem überdurchschnittlich hohem Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien leben, anhand ihrer eigenen Schilderungen besser zu verstehen“, so Hillje in seiner Untersuchung.

Hierzu wurden systematisch jene Menschen befragt, über die in der öffentlichen Debatte viel gesprochen wird, die aber selbst nur selten zu Wort kommen“, heißt es auf der Seite des „Progressiven Zentrums“.

Wahlpräferenzen der Befragten waren unwichtig

Interessanterweise wurden die Teilnehmer der Studie nicht nach ihren Wahlpräferenzen befragt. So sei es unwichtig gewesen, ob die Befragten „selbst AfD- bzw. FN-Wähler sind, sondern dass sie in einer Hochburg dieser Parteien leben“, heißt es auf Seite 6 der Studie.

Die AfD sei aber nicht nur in strukturschwachen Regionen erfolgreich gewesen, schreibt Hillje. Auch in strukturstarken Regionen Baden-Würrtembergs und Bayerns schnitt die AfD überdurchschnittlich gut ab. Dies sei nicht mit regionaler Wirtschaftsschwäche oder Arbeitslosenquoten zu erklären, so der Autor der Studie weiter.

Hier lautet eine populäre These, dass vor allem ‚kulturelle‘ Gründe, etwa die Angst vor Überfremdung durch Migration, aber auch endogene gesellschaftliche Veränderungen wie die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Wahlentscheidung zugunsten der AfD beeinflusst hat“, heißt es auf Seite 4 der Untersuchung.

So sei das Projekt „nicht als Wählerstudie, sondern vielmehr als Wählermilieustudie zu verstehen“.

Migration – das größte Problem auf politischer Ebene

Die Migration sei für die deutschen Befragten das größte Problem auf politischer Ebene. Denn sie koste sehr viel und habe die finanzpolitische Benachteiligung deutscher Staatsbürger als Folge, war die Antwort vieler Befragten.

Außerdem steige mit den Zuzug der Migranten die Kriminalität im Land, so die Befragten. Vor allem wurde der „IS-Terrorismus“, „Einbruch“ oder „sexueller Missbrauch“ genannt.

In solchen Aussagen steckt nicht selten eine in der Realität nicht haltbare Pauschalität, die alle Migranten zu Terroristen oder Kriminellen macht“, heißt es in der Studie.

Doch die meisten Gesprächspartner würden nicht „intrinsisch rassistisch“ denken, schreibt Hillje. Vielmehr ginge es um „Ressentiments“, die einer Abwertungslogik folgten:

Weil sich gefühlt um die Fremden mehr gekümmert wird, fühlt man sich selbst abgewertet und wertet in der Folge die Fremden ab“, heißt es auf Seite 9 der Untersuchung.

Wie der Autor der Studie zu dieser Einschätzung kommt, erklärte er nicht.

„Sozialpolitische Defizite“ – das größte Problem auf persönlicher Ebene

Auf der persönlichen Ebene seien es aber vor allem „sozialpolitische Defizite“ wie niedrige Löhne und eine schlechte Infrastruktur, die den Menschen Sorgen bereiteten.

Diese Probleme „und nicht etwa Fremdenfeindlichkeit“ sorgten bei den Befragten für Unmut und Zukunftsängste, heißt es in der Pressemitteilung zur Untersuchung.

Drei zentrale Deutungsmuster

Die Antworten der deutschen Studienteilnehmer zeigten laut Hillje drei zentrale Deutungsmuster:

  1. Eine vergleichende Abwertungslogik”: Die Menschen fühlten sich persönlich benachteiligt und werteten deshalb die Migranten ab.
  2. Eine „Verweigerung und falsche Priorisierung von Problemen durch die Politik“: Dies wurde dadurch ausgelöst, dass die Außen- oder Migrationspolitik wichtiger sei, als die Lösung der Probleme im Land.
  3. Das „Wegbrechen von Sozial- und Verkehrsinfrastruktur“, was die Menschen am eigenen Leib erfahren würden.

„Es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins, von fehlender politischer, aber auch medialer Repräsentation der eigenen Probleme. Die Abwertung von Migranten folgt einer eigenen Abwertungserfahrung, die auf mangelnder Problemlösung durch die Politik basiert“, so Hillje.

Hinzu kommt, dass viele Befragten ihren Alltag als schwierig empfinden würden und gleichzeitig das Gefühl hätten, dass das Leben der Migranten einfacher sei. Dadurch verschiebe sich die Verantwortungszuschreibung.

Statt die meist sozialpolitischen Ursachen für die Alltagsprobleme zu benennen, werden jene gesellschaftlichen Gruppen zum Problem erklärt, deren Probleme vermeintlich bevorzugt gelöst werden“, heißt es auf Seite 15 der Studie.

Tief gespaltene Gesellschaft – keine Solidarität mit Fremden

Die deutsche Gesellschaft sei sozial „tief gespalten“, schreibt Hillje. Dadurch fehlten ihr „womöglich die Vorraussetzungen für das Maß an Humanität, das ihr im Herbst 2015 ‚von oben‘ auferlegt wurde“.

Denn diejenigen, die die Solidarität mit Fremden eingeforderten, seien auch diejenigen gewesen, die die deutsche Gesellschaft gespalten hätten, so die Studie.

Daraus folge: „Eine nach außen offene und solidarische Gesellschaft, muss nach innen gefestigt und mindestens genauso solidarisch sein“.

EU nicht das Problem, sondern Teil der Lösung

Was in Gesprächen kaum thematisiert wurde, seien die Kritik an der EU und den Medien gewesen. Die EU werde von vielen nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung gesehen, schreibt Hillje auf Seite 23.

Auch hätten sich die Menschen nicht zu dem Thema der „drohenden Islamisierung“ und auch nicht zur „politischen Korrektheit“ geäußert.

Schlussfolgerung: „Mehr Selbstbewusstsein gegenüber rechtspopulistischen Parolen“

Insgesamt herrsche der Eindruck bei den Menschen vor, dass die Politik die Prioritäten falsch setze. „Es wird schlecht vermittelt, dass außen- und europapolitische Initiativen auch der Verwirklichung innenpolitischer Interessen dienen“, so Hillje.

Die Befragten hätten eher das Gefühl, dass sich die Regierung um die Probleme der ganzen Welt kümmere und dabei die Bedürfnisse der eigenen Bürger vergesse.

Dies führe zu einem „‚neuen Nationalismus’ à la ‚Deutschland zuerst!‘“, durch den andere Menschen abgewertet werden, heißt es auf Seite 24 des Papiers.

Die Menschen fühlten sich ‚politisch verlassen‘, dies würden die ‚populistischen Kräfte‘ ausnutzen.

Deshalb empfiehlt Hillje, dass die andere Parteien dies nicht zulassen sollten. Sie sollten „sich das Vertrauen der Menschen neu erkämpfen mit lokaler Präsenz sowie Anerkennung und Bearbeitung der vorliegenden Probleme“.

„Ich erwarte auch mehr Selbstbewusstsein gegenüber rechtspopulistischen Parolen, die oftmals zwar auf mediale Resonanz stoßen, aber von vielen Bürgern nicht übernommen werden”, so Hillje in der Pressemitteilung zur Studie.

Was ist das „Progressive Zentrum“?

Das „Progressive Zentrum“ wurde 2007 in Berlin gegründet. Sein Ziel sei es, „fortschritts- und innovationsorientierte Politikideen in die öffentliche Debatte und auf die politische Agenda zu bringen“, heißt es auf der Seite der Denkfabrik. Dies soll nach dem Motto „Vordenken – Vernetzen – Streiten“ erreicht werden.

Denn innerhalb der europäischen Gesellschaften herrsche eine „zunehmende Orientie­rungsunsicherheit“ und eine wachsende Entfremdung von der Politik und vom politischen System. Dies habe zur Folge, dass „immer mehr Menschen Zuflucht in den – vermeintli­chen – Gewissheiten der Vergangenheit“ suchten, heißt es im „Mission Statement“ des Zentrums.

Diese bieten jedoch keine Lösungen für die Herausfor­derungen des 21. Jahrhunderts. Sondern das Festhalten an überkommenen Vorstellungen für Gesellschaft, Staat und Wirtschaft verhindert, dass Europa seine Erneuerungspotenziale umfas­send nutzen kann“.

Die Denkfabrik wolle deshalb „fortschritts­orientierte und erneuerungsfreudige Politik“ in Deutschland und Europa stärken. Dazu entwickle das „Progressive Zentrum“ in verschiedenen Projekten progressive Ideen und erarbeite praxisorientierte Handlungsempfehlungen. Dies mache das Zentrum nicht alleine, sondern gemeinsam mit Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und NGOs.

Partner und Unterstützer des Zentrums

Zu den Partnern gehören neben dem Auswärtigen Amt, den Bundesministerien der Finanzen und des Inneren und anderer Ministerien, auch die „Bertelsmann Stiftung“, der „German Marshall Fund of the United States“, US-Lobbygruppen wie change.org, die „Open Society Foundations“ von Soros und viele mehr.

Außerdem unterstützen viele namhafte Politiker, Publizisten und Fachleute die Denkfabrik als Mitglieder im „Circle of Friends“ und im Wissenschaftlichen Beirat. Dazu gehören unter anderem die Grünen-Politiker Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und Omid Nouripour, SPD-Politiker Hubertus Heil, Thomas Oppermann und Brigitte Zypries, und viele andere.

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