„Realitätsverweigernde Traumtänzerei“: Bund plant Neuregelung für die Putenhaltung

Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), will erstmals die Putenhaltung in Deutschland reglementieren. Das stößt auf scharfe Kritik von Unternehmen und Zentralverband.
„Traumtänzerei“? Bund plant Neuregelung für die Putenhaltung
Einblick in einen Putenzuchtbetrieb. Die Bundesregierung plant eine Neuregelung der Haltungsbedingungen.Foto: iStock
Von 31. Dezember 2022

Die Bundesregierung will erstmals die Putenhaltung in Deutschland reglementieren. Wie die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (Mittwochausgabe) unter Berufung auf ein Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministeriums von Cem Özdemir (Grüne) berichtete, wollen die Entscheidungsträger Puten in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufnehmen. Die Pläne des Ministeriums würden demnach dazu führen, dass Mastbetriebe künftig deutlich weniger Tiere pro Stall halten könnten.

Laut „NOZ“ sehen die Eckpunkte vor, dass jeder Quadratmeter an Stallfläche nur noch etwa 40 Kilogramm Lebendgewicht beherbergen soll. Das entspricht etwa 1,9 männlichen Tieren. Eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft erlaubt derzeit maximal 58 Kilogramm Lebendgewicht beziehungsweise knapp drei Tiere pro Quadratmeter.

Heidemark: Neuregelung lässt Landwirtschaft „ausbluten“

Die Unternehmensgruppe Heidemark, einer der größten deutschen Produzenten und Vermarkter von Geflügelprodukten, sieht in der Neuregelung eine Gefahr für die deutsche Landwirtschaft. Auf Anfrage teilte ein Pressesprecher des Unternehmens der Epoch Times mit, dass dadurch der „ländliche Bereich förmlich ausbluten würde“. Nach Umsetzung der geplanten Eckpunkte gebe es in Deutschland die weltweit schärfsten Haltungsanforderungen für Mastputen.

Das hätte gravierende Auswirkungen auf die Wertschöpfung und würde die Selbstversorgung in Deutschland massiv gefährden“, warnte der Sprecher.

Dabei habe sich die deutsche Putenwirtschaft bereits vor rund zehn Jahren auf eine bundeseinheitliche Selbstverpflichtung zur Haltung von Mastputen verständigt. In Zusammenarbeit mit der Tierärztlichen Hochschule in Hannover werde die Haltung stetig weiterentwickelt, teilte der Sprecher mit. So sei bereits heute in Deutschland ein deutlich höherer Standard in der Putenhaltung vorhanden, als in der EU gefordert.

Folge: Minderwertigeres Fleisch und geringere Selbstversorgung

Das neue Eckpunktepapier der Bundesregierung dränge die deutsche Landwirtschaft in die Nische. Die Folge seien laut dem Konzern die deutliche Erhöhung von EU- beziehungsweise Drittlandimporten, das heißt, die Händler beziehen dann das Fleisch günstiger aus dem Ausland. Die Standards dort befänden sich bereits heute deutlich unter den deutschen Erzeugungsstandards der Putenerzeugung.

Am Beispiel Österreich sei der Verlauf der letzten Jahre zu sehen, wie sich eine autarke Wirtschaft selbst geschadet habe, verglich der Sprecher. „Dieser Weg kann von der deutschen Putenerzeugung nicht befürwortet werden.“ Heidemark fordere einen fairen Wettbewerb mit Regeln, die in der gesamten EU Gültigkeit erlangen.

Im vergangenen Jahr wurden hierzulande laut Destatis 33,2 Millionen Puten gewerblich geschlachtet, fünf Prozent weniger als im Vorjahr, wie „Agrarheute“ berichtet. Der aktuelle Selbstversorgungsgrad mit Putenfleisch wird vom Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft (ZDG) auf 70 bis 80 Prozent geschätzt.

Der Verband fürchtet, dass sich die Erzeugung nach Polen oder Ungarn verlagert, sofern das Ministerium die maximal erlaubte Besatzdichte in den Ställen so stark reduziert. Auch er verweist auf die Situation in Österreich: Dort gelten für Putenhähne und -hennen einheitlich 40 kg Lebendgewicht je Quadratmeter als Obergrenze. Der Selbstversorgungsgrad betrage dort heute noch 30 Prozent, mit weiter sinkender Tendenz.

Der Geschäftsführer des ZDG, Wolfgang Schleicher, hält die Pläne für eine „realitätsverweigernde Traumtänzerei“. Würden die Eckpunkte nicht angepasst, werde sich der Verband juristisch dagegen wehren. In anderen EU-Ländern sei eine sogenannte Besatzdichte von bis zu 70 Kilogramm Lebendgewicht erlaubt. Die Özdemir-Pläne läuteten das Ende der deutschen Putenhaltung ein.

Tierschutzbund: Tierschutzwidriges Haltungssystem verbieten

Für den Tierschutzbund geht die Neuregelung jedoch nicht weit genug. Er fordert nicht nur die Verbesserung der Bedingungen in der Putenhaltung, auch müssten die Betriebe das routinemäßige Schnabelkürzen bei Putenküken beenden. „Wer Puten nur mit schmerzhaftem Schnabelkürzen halten kann, der darf keine Erlaubnis mehr erhalten“, sagte Verbandspräsident Thomas Schröder der „NOZ“. „Das tierschutzwidrige Haltungssystem gehört verboten und auch nicht in einem Übergang weiter erlaubt“.

Für Tierschützer dürfte diese Neuregelung ein Fortschritt darstellen, auch um Krankheiten besser eindämmen zu können. Wie „Agrarheute“ berichtet, kommt es in Putenzuchten unter den Tieren immer wieder zu Ausbrüchen des H5N1-Geflügelpestvirus (Vogelgrippe). Dabei sind nicht selten Betriebe mit zehntausenden Tieren betroffen.

Für den Menschen stellt dieses Virus aber keine ernste Gefahr dar. Denn es überträgt sich nur sehr selten auf Menschen. Lediglich bei Personen, die etwa in einem solchen Zuchtbetrieb direkt mit den Tieren arbeiten, kann es zur Übertragung kommen. Von 2003 bis 2022 verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit lediglich 456 menschliche Todesfälle. Die Statistik führt dabei keinen einzigen in Deutschland auf.

Derzeit sieht es so aus, als ob Deutschland national vorausgeht. Die Verbände müssen schon bis zum 13. Januar zu Özdemirs Eckpunkten Stellung nehmen. Die Fachleute erwarten, dass die Bundesregierung im kommenden Jahr einen Entwurf zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorlegen wird.

Hingegen lässt sich die Europäische Kommission bei diesem Thema viel Zeit. Sie will laut ihrer „Roadmap“ für das Tierwohl die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) erst Mitte 2024 um eine wissenschaftliche Einschätzung bitten, die bis Ende 2025 vorliegen soll. Dann werden die Halter in Deutschland voraussichtlich längst strenge nationale Auflagen erfüllen müssen.

(Mit Material von AFP)



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