Die Kluft zwischen arm und reich birgt nach Überzeugung der Bundesregierung Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in sich. Zu große Unterschiede könnten "die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern", heißt es in dem Armuts- und Reichtumsbericht, auf den sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit dem Kanzleramt verständigt hat. Erkenntnisse über den Zusammenhang von Reichtum und politischem Einfluss flossen nicht in den Bericht ein, was die Opposition kritisierte. Nach der Verständigung mit dem Kanzleramt ist der lange strittige Armuts- und Reichtumsbericht in die Ressortabstimmung gegangen, wie Nahles am Donnerstag sagte. Er soll demnächst vom Kabinett beschlossen werden, ein Termin steht aber noch nicht fest. In der AFP vorliegenden Expertise heißt es: "Gerade weniger privilegierte Bürger empfinden ihre Anstrengungen vielfach als nicht ausreichend respektiert." Für die Menschen sei es aber sehr wichtig, dass sie und ihre Kinder den erreichten Status verbessern oder wenigstens erhalten könnten. "Wenn hier Zweifel bestehen, kann dies in allen Gesellschaftsschichten zu Verunsicherung führen". Nahles verwies auf die starke Spreizung bei Vermögen und Einkommen: Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens, die untere Hälfte verfüge nur über ein Prozent. Gesellschaftspolitisch problematisch sei nicht nur der Umfang des Reichtums, sondern dass dieser häufig nicht auf eigener Leistung beruhe. Bei zwei Dritteln basiere er vielmehr auf Erbschaften oder Schenkungen. Während sich die höheren Einkommen relativ gut entwickelten, zeige sich bei den unteren 40 Prozent, dass sie 2015 real weniger verdienten als Mitte der 90er Jahre. Nicht in den Bericht Eingang gefunden hat eine Studie, derzufolge Menschen mit größerem Geldbeutel mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache. Die Studie zeige, dass sich ärmere Menschen aus der demokratischen Gemeinschaft zurückziehen und nicht mehr wählen gehen, sagte Nahles. Je mehr Menschen mit hohem Einkommen eine politische Meinung vertreten, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung in ihrem Sinne, sagte sie. Bei den unteren Einkommensgruppen verhalte es sich anders. Deren Meinung werde seltener umgesetzt. "Das ist ein alarmierender Befund." Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping sagte zu AFP, die große Koalition weigere sich "bis heute beharrlich, Auskunft darüber zu erteilen, welche Fakten zum Einfluss der Reichen auf die Politik sie bewusst aus dem Bericht gestrichen hat". Wer seit Jahrzehnten "die Axt an den Sozialstaat legt, ist verantwortlich für die sozialpolitische Verelendung im Land". Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der "Saarbrücker Zeitung" (Freitagsausgabe): "Es ist einfach lächerlich, welche Verrenkungen die Bundesregierung bei der Erstellung des Armuts- und Reichtumsberichts vollzieht." Zunächst seien Passagen gestrichen worden, dann warne die Regierung vor der Spaltung der Gesellschaft, "als hätte sie in den letzten Jahren nicht alle Möglichkeiten gehabt, soziale Probleme und die Schieflage zwischen Arm und Reich zu verringern". (afp)