Bundesverfassungsgericht
Urteil: Kinderreiche Familien müssen bei Pflegeversicherung entlastet werden
Das Bundesverfassungsgericht kommt Eltern mit mehreren Kindern bei der gesetzlichen Pflegeversicherung entgegen: Sie sollen künftig weniger einzahlen müssen.

Die Justitia (Symbolbild).
Foto: iStock
Das Bundesverfassungsgericht sorgt dafür, dass Eltern mit mehreren Kindern bei der gesetzlichen Pflegeversicherung besser gestellt werden als Kinderlose und kleinere Familien.
Die Beitragssätze müssten entsprechend der konkreten Zahl der Kinder bis Ende Juli 2023 angepasst werden, entschied das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe (1 BvL 3/18 u.a., Beschluss vom 7. April). Dass bei der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung überhaupt nicht zwischen Eltern und Kinderlosen unterschieden wird, sei hingegen okay.
Das Gericht hatte im Fall der Pflegeversicherung 2001 geurteilt, es sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Eltern einen genauso hohen Beitragssatz zahlen wie Kinderlose – denn sie leisteten einen „generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems“. Die Beitragssätze wurden daraufhin angepasst. Seit Anfang dieses Jahres liegt jener für Eltern bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, der für Kinderlose bei 3,4 Prozent.
Mehr Kinder, mehr Kosten
Aus Sicht des Gerichts greift das aber zu kurz: Je mehr Kinder eine Familie habe, desto größer seien der Aufwand und die damit verbundenen Kosten. „Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein“, heißt es in der Mitteilung. „Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer Kinder ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.“ Der Gesetzgeber müsse diese Benachteiligung beheben.
In der gesetzlichen Rentenversicherung werde der Wert der Kindererziehung insbesondere durch die Anerkennung sogenannter Kindererziehungszeiten honoriert, entschied der Erste Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Stephan Harbarth. Mit Blick auf die gesetzliche Krankenversicherung betonte das Gericht, dass die Versicherten hier schon in Kindheit und Jugend „in erheblichem Umfang“ von den Leistungen profitierten.
Dass in diesen beiden Fällen keine Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Kindern gemacht werden, hatte schon das Bundessozialgericht in mehreren Urteilen für rechtens erklärt.
16 Jahre Bemühungen vor Gericht
Markus Essig und seine Frau haben sich mit anderen Familien durch die Instanzen geklagt, um Beitragssenkungen für Eltern in den Sozialversicherungen zu erstreiten. „Man kann das eine nicht mit dem anderen verrechnen“, sagt Essig. Entlastet werden müsse im selben System, in das eingezahlt werde. Seit 16 Jahren ist Essig in der Sache unterwegs, wie er sagt. Unterstützt wurde er vom Familienbund der Katholiken in der Erzdiözese Freiburg.
Für den Freiburger die Entscheidung des Gerichts keine unmittelbaren Folgen. Das jüngste seiner drei Kinder ist mittlerweile 27 Jahre alt. Nicht zuletzt beschäftigt das Thema inzwischen auch seine Kinder: Die ersten Enkel hat der Diakon schon, zwei weitere sollen in Kürze das Licht der Welt erblicken. „Die kriegen das jetzt hautnah mit“, sagt Essig. Und ergänzt mit einem Schmunzeln: „Offensichtlich hat die Situation sie aber nicht so sehr abgeschreckt.“
Anwalt Ernst Jürgen Borchert argumentiert unter anderem mit doppeltem Konsumverzicht, den die Menschen zugunsten des Unterhalts der eigenen Elterngeneration als auch der nachwachsenden Generation leisteten. Staatsrechtler Prof. Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg, ebenfalls Prozessbevollmächtigter, verweist beispielsweise auf die deutlich niedrigeren Altersrenten für Frauen. „Am Schluss kriegt man die Bilanz, was man geleistet haben soll, wenn man Kinder erzieht.“
Der katholische Familienbund rechnet vor, dass es eine Mär sei, dass Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert sind. Denn der Beitrag geht vom Gesamteinkommen des versicherten Elternteils ab. Einen Unterschied würde es erst machen, wenn zunächst Geld für die Familienmitglieder vom Einkommen abgezogen würde. Um sein Bestreben zu verdeutlichen, hat der Familienbund die Kampagne „Elternklagen“ ins Leben gerufen. Den Forderungen haben sich den Angaben nach mehr als 2000 weitere Eltern angeschlossen. (dpa/red/sua)
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