Wogegen will sich die EU eigentlich verteidigen? – „Verteidigungsunion ist verdummende PR“

23 EU-Staaten unterzeichneten heute das Gründungsdokument für eine Verteidigungsunion. 2015 erklärte Kanzlerin Merkel noch: Um eine EU-Armee gründen zu können, müsste nicht nur das deutsche Grundgesetz geändert werden. Dies würde "sehr viele weitergehende Schritte erforderlich machen".
Titelbild
Schottland: Der zweijährige Scott Boyle und Soldaten vom The Royal Highland Fusiliers, 2nd Battalion The Royal Regiment of Scotland in Ayr, 2013.Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images
Epoch Times13. November 2017

Deutschland und 22 weitere EU-Staaten haben den Grundstein für eine europäische „Verteidigungsunion“ gelegt. Bei einer Zeremonie in Brüssel unterschrieben die Außen- und Verteidigungsminister das Gründungsdokument für eine ständige militärische Zusammenarbeit (Pesco).

Die Verteidigungsunion soll die EU unabhängiger von den USA machen und zu gemeinsamen Rüstungsprojekten führen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bezeichnete die geplante Zusammenarbeit als einen „Meilenstein der europäischen Entwicklung“.

Der EU-Vertrag sieht in den Artikeln 42 und 46 die Möglichkeit vor, auch in kleineren Staatengruppen die EU-Verteidigung auszubauen – eine Art „Koalition der Willigen“.

Während der französischen Militärparade an den Champs-Elysees, 14. Juli 2017. Foto: SAUL LOEB/AFP/Getty Images

Wogegen will sich Europa eigentlich künftig verteidigen?

Die „Frankfurter Rundschau“ schreibt zum Pesco-Militärprojekt der Europäischen Union:

„Hoffentlich bleibt die Europäische Union bei diesem Projekt nicht stehen, sondern entwickelt endlich die Steuer-, Finanz- und Sozialunion weiter, so wie es der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat.“

Und: „Bedauerlich wäre, wenn die Bundesregierung unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel Pesco nur zugestimmt hätte, um die strittigeren Vorschläge Macrons nicht mehr diskutieren zu müssen. Das wäre ein fauler Kompromiss. Die EU muss auch nach Pesco weitere Schritte unternehmen, um das Fernziel einer Verteidigungsunion erreichen zu können.“

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auf dem die Verantwortlichen in den EU-Hauptstädten mit den Bürgerinnen und Bürgern die Frage beantworten müssen, wogegen sich Europa künftig eigentlich verteidigen will oder muss.“

Pesco ist nur eins von drei EU-Projekten im militärischen Bereich

Pesco ist neben dem Europäischen Verteidigungsfonds für gemeinsame Rüstungsprojekte und einer systematischen Abstimmung nationaler Ausgabenpläne einer von drei neuen Ansätzen der EU in diesem Bereich.

Paris: Französische Gendarmerie, die 1.200 bis 1.400 Migranten, hauptsächlich von Eritrea, Somalia und Afghanistan, an der Metro-Stationen Jaures und Colonel Fabien gegenüber steht (22. Juli 2016). Foto: JACQUES DEMARTHON/AFP/Getty Images

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sah die Pesco-Notifizierung am Montag als Gründungsdatum für „die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion“ und als weiteren Schritt „in Richtung der Armee der Europäer“.

Einige Experten halten das für übertrieben. Von einer echten Verteidigungsunion oder gar einer autonom agierenden „EU-Armee“ sei Europa noch „Lichtjahre entfernt“, sagt der französische Verteidigungsexperte Frédéric Mauro, der in der Frage regelmäßig das EU-Parlament berät. Pesco ist für ihn „eine Täuschung“. Denn viele der nun groß angekündigten Vorhaben hätten für Mauro auch ohne sie auf den Weg gebracht werden können.

Kanzlerin Merkel sprach sich 2015 gegen eine gemeinsame EU-Armee aus

Angela Merkel erklärte 2015, dass es in Deutschland Verfassungsgerichts-Urteile gebe, die definierten, was Kernbestandteile eines Nationalstaates seien und dazu gehörten auch die Verteidigungsfähigkeit und die Sozialstaatlichkeit.

Um eine EU-Armee gründen zu können, müsste nicht nur das deutsche Grundgesetz geändert werden. Dies würde „sehr viele weitergehende Schritte erforderlich machen“, so die Kanzlerin.

Siehe: Gegen europäische Armee: Angela Merkel erteilt der EU eine Absage

Die Verpflichtung, die Rüstungsausgaben stetig zu steigern

Mit der am Montag unterzeichneten Notifizierungsurkunde verpflichten sich die teilnehmenden Länder, 20 Bedingungen einzuhalten. Dazu gehört die Verpflichtung, die Verteidigungsausgaben regelmäßig zu steigern – ein konkretes Ziel gibt es aber nicht.

Zudem sagen die Pesco-Mitglieder zu, „wesentliche Unterstützung“ in Form von Truppen und Material für EU-Auslandseinsätze bereitzustellen. Der offizielle Beschluss, die ständige strukturierte Zusammenarbeit zu starten, soll am 11. Dezember fallen.

Murnau/Bayern: Bayerische Polizei und Bundeswehr bei einer Straßenkontrolle am 9. März 2017. Foto: Philipp Guelland/Getty Images

Verdummende PR, denn wer Verteidigung sagt, meint Krieg

Die „Junge Welt“ schreibt zum Pesco-Militärprojekt der Europäischen Union:

„Am Montag haben sie 23 der 28 EU-Staaten unterzeichnet: Die Notifizierungsurkunde für ‚Pesco‘, die ‚Ständige Strukturierte Zusammenarbeit‘ (‚Permanent Structured Cooperation‘) der EU. ‚Pesco‘ – das klingt neutral, ganz so, wie wenn es um Alltägliches ginge, um Dinge wie IBAN, Gema oder BAföG.“

Und: „Tatsächlich aber geht es, wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gestern betonte, um die faktische Gründung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion.“

Auch das ist bekanntlich nur verdummende PR, denn wer Verteidigung sagt, meint Krieg, und der Krieg steigert erfahrungsgemäß nicht die Sicherheit, sondern die Unsicherheit. Und die Zahl der Leichen.“

Großbritannien hat nicht unterschrieben

Neben Großbritannien unterzeichneten auch Dänemark, Irland und Portugal am Montag nicht. Diplomaten schließen aber nicht aus, dass es Nachzügler geben könnte, die sich noch bis zum 10. Dezember melden können. Selbst danach können weitere Mitglieder aufgenommen und auch Drittstaaten von Fall zu Fall in Projekte eingebunden werden.

Bisher haben 15 Mitgliedstaaten 47 Projekte vorgeschlagen. Deutschland plädiert insbesondere für ein medizinisches Einsatzkommando, ein Netz von Logistikdrehkreuzen und eine gemeinsame Offiziersausbildung. Zum Pesco-Start im Dezember sollen erste Projekte ausgewählt werden.

Ziel ist auch eine verstärkte Rüstungszusammenarbeit. Die Zahl von derzeit fast 180 verschiedenen Waffensystemen in der EU soll verringert werden, was Einsparungen und eine vereinfachte Zusammenarbeit nationaler Truppenteile bringen könnte. (afp/dpa/ks)

Britische Soldaten, die aus einem Einsatz aus Afghanistan zurückgekehrt sind, bei einer Parade 2013. Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images

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