Mikrokredite: Die Entlassung eines Nobelpreisträgers

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Der Geschäftsführer der Grameen Bank und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus verlor Anfang Mai ein Berufungsverfahren und wurde gekündigt.Foto: Vittorio Zunino/Getty Images
Von 25. Mai 2011

Es ist endgültig. Nobelpreisträger Muhammad Yunus wurde entlassen. In der vergangenen Woche verlor Yunus seine letzte Berufung vor dem Obersten Gerichtshof von Bangladesch. Damit endet eine zweimonatige rechtliche Auseinandersetzung darüber, ob er Chef der Grameen Bank bleiben darf, die er vor etwa 30 Jahren als Wegbereiterin für die Vergabe von Kleinstkrediten gründete.

Durch diese Auseinandersetzung, in der seine Gegner, darunter Premierminister Sheikh Hasina, in die Offensive gingen, wurden einige der größten Mängel der Mikrokreditbewegung deutlich. Das Ergebnis führte zu einer merkwürdigen Situation. Die an den Mikrokrediten geäußerte Kritik ist weitgehend berechtigt und sollte auch an die Öffentlichkeit gebracht werden. Doch die Bestrebungen, Yunus aus dem Amt zu drängen, sind teilweise ungerechtfertigt und politisch motiviert. Außerdem zählt Yunus in Hinblick auf die gewinnorientierte Ausrichtung der Mikrokreditbewegung zu den guten Jungs.

Offiziell ist der jetzt 70-jährige Yunus zurückgetreten, weil er das obligatorische Renteneintrittsalter von 60 Jahren für Bankdirektoren schon überschritten hatte. Aber sein Alter wurde erst ab 2007 zu einem Thema, als er Politiker wie Sheikh Hasina wegen Korruption anklagte und eine kurze Zeit über die Gründung seiner eigenen politischen Partei nachdachte.

In einer im vergangenen Herbst ausgestrahlten norwegischen Dokumentation wurden ihm weitere Vergehen zur Last gelegt. Darin wird Yunus beschuldigt, Hilfsgelder von etwa 100 Millionen US-Dollar unrechtmäßig von der Grameen Bank an eine Schwesterorganisation weitergeleitet zu haben. Doch ein Regierungsausschuss sprach ihn im vergangenen Monat von dieser Anklage frei. Seitdem wurde ihm nie wieder vorgeworfen, er habe Geld veruntreut oder persönlich von einem Transfer profitiert.

Im Hinblick auf den aktuellen Streit wird meiner Meinung nach deutlich, dass Yunus verdient, verteidigt zu werden. Es gibt schon lange Kritik an seinem Führungsstil. Er täte zu wenig, um Führungskräfte auszubilden, die seine Nachfolge antreten könnten. Aber diese kaum überzeugende Kritik trifft nicht die Mikrokreditbewegung als Ganzes. Und die Begründung, Yunus wäre zu alt, ist eindeutig ein Vorwand.

Das heißt, während viele der Angriffe auf Yunus selbst ungerecht sind, erweisen sich andere Kritikpunkte an der Mikrokreditbewegung, die aufgrund seiner Entlassung Aufmerksamkeit erregten, als berechtigt.

Als ich im Herbst 2009 ein Profil von Yunus erstellte, beschrieb ich in einer Gegendarstellung die Zusammenhänge, die zu dieser Kritik führten:

Mit der zunehmenden Verbreitung von Mikrokrediten in aller Welt wuchs auch die Anzahl der Fachleute, die behaupten, dass das Verleihen von Mikrokrediten nicht auf Spenden beruhen sollte. Sie meinen, sie wären nur dann effektiv, wenn sie so rentabel sind, dass sie private Investitionen anziehen. Die Banker dieser Schule nennen ihre Bemühungen, die wichtigsten Kapitalmärkte für ihre Arbeit nutzen zu können, „Mikrofinanzierung“.

Für die Kernkredite der Grameen Bank wird laut Yunus ein relativ bescheidener Zinssatz von 20 Prozent verlangt. Die Kritiker argumentieren, dass auch Grameen und andere sozial betriebene Mikrokreditinstitute aufgrund von Steuern, Gebühren und Pflichteinsparungen für ihre Darlehen regelmäßig Zinssätze zwischen 30 und 50 Prozent nach US-Banken-Norm verlangen. Bei gewinnorientierten Mikrofinanzinstitutionen können die Zinsen wesentlich höher sein. In den vergangenen Jahren wiesen die Reporter von Business Week und The New Yorker darauf hin, dass Mikrokreditverleiher in Mexiko Zinsen zwischen 110 und 120 Prozent verlangen.

Verglichen mit den Zinsforderungen eines Kredithais von 200 oder 300 Prozent könnten diese Werte als eine Verbesserung gelten. Aber sie strapazieren die Glaubwürdigkeit, wenn sie als Instrumente zur Linderung der Armut präsentiert werden.

Kurz gesagt ist der Mikrokredit nicht unbedingt schädlich. Aber wenn man ihn als eine Erweiterung des neoliberalen Marktfundamentalismus ansieht, ist er es auf jeden Fall.

Damit die Aktionäre mit Kleinkrediten Gewinne erzielen, sind Mikrofinanzbanken notwendig, die die Zinssätze anheben, aggressive Vermarktung betreiben und Kredite vergeben. Die frühere Empathie nicht gewinnorientierter Kreditgeber gegenüber Kreditnehmern ist verschwunden. Die Mikrokredite, die den Menschen helfen sollten, schadeten ihnen.

Kommerzialisierung ist eine sehr nachteilige Veränderung im Bereich der Mikrofinanzierung und weist auf eine beunruhigende Motivationsverschiebung hin .

Es ist ungewiss, was als nächstes mit Grameen passieren wird und ob zukünftige Änderungen dazu führen werden, dass die Schuldner davon profitieren können.

Aber so viel ist klar: Die Bemühungen, Yunus zu diskreditieren, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er vor den beunruhigenden nachteiligen Veränderungen im Bereich der Mikrofinanzierung warnte.

Mark Engler ist ein führender Analyst bei Foreign Policy In Focus und Autor des Buchs „How to Rule the World: The Coming Battle Over the Global Economy,“

Artikel auf Englisch: Microcredit on Trial: The Sacking of a Nobel Laureate

 

 

 



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