Pflegereform im Fokus
Streit um Pflegegrad 1: SPD stellt sich gegen Sparpläne der Union
In der Debatte über die Zukunft der Pflegeversicherung sorgt die mögliche Abschaffung von Pflegegrad 1 für heftige Kontroversen. Während SPD und Sozialverbände eindringlich vor Kürzungen warnen, verweisen Unternehmerverbände und Union auf die Kostenexplosion im System.

Der Streit um Pflegegrad 1 spaltet Politik und Verbände. (Symbolbild)
Foto: PIKSEL/iStock
In Kürze:
- SPD lehnt Kürzungen beim Pflegegrad 1 entschieden ab und warnt vor Verunsicherung.
- Sozialverbände betonen die Bedeutung für Angehörige und fordern eine solidarische Pflegeversicherung.
- Unternehmerverbände und Union sehen in Pflegegrad 1 einen Kostentreiber.
- Bis Mitte Oktober soll eine Bund-Länder-Gruppe einen Reformkatalog vorlegen.
In der Debatte um eine mögliche Abschaffung des Pflegegrads 1 gibt es deutlichen Widerspruch aus der SPD. Wie mehrere Medien berichteten, sind Forderungen dieser Art innerhalb der Koalition und in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform angeklungen. Die Maßnahme solle dazu dienen, den stetig steigenden Defiziten in der gesetzlichen Pflegeversicherung entgegenzuwirken. Bis Mitte Oktober solle die Bund-Länder-Gruppe einen Reformkatalog vorlegen.
Pantazis: Abschaffung von Pflegegrad 1 für SPD nicht tragbar
Auf X hat sich der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Christos Pantazis, in die Debatte eingeschaltet. Er stellte in Aussicht, dass die Sozialdemokraten im Bundestag für Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung nicht zur Verfügung stünden. Er deutete an, dass die entsprechenden Forderungen ausschließlich aus den Reihen der Union stammten.
Diese habe die Union bereits – erfolglos – in den Koalitionsverhandlungen vorgebracht. Die SPD habe sie klar zurückgewiesen. Die Beitragszahler hätten bereits ausreichend Vorleistungen erbracht und benötigten Verlässlichkeit, betonte Pantazis:
„Einseitige Sparvorschläge lehnen wir ab. Was wir brauchen, ist ein Gesamtkonzept zur nachhaltigen Stabilisierung der Pflegeversicherung.“
Der SPD-Politiker warnte vor Verunsicherung, die von solchen Vorstößen ausgehe. Dies sei das „Einfallstor für Populisten“.
Sozialverbände gegen Einschränkungen im Bereich der Pflegestufen
Auch der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Matthias Miersch, hat sich kategorisch gegen die Überlegungen zum Aus für Pflegegrad 1 geäußert. Im ARD-„Bericht aus Berlin“ erläuterte Miersch, man habe diese Pflegestufe eingeführt, um beispielsweise an Demenz erkrankten Menschen und ihren Angehörigen Leistungen aus der Pflegeversicherung zu ermöglichen. Man würde diese mit einer Abschaffung „im Regen stehen lassen“.
Auch aus den Sozialverbänden kommt Widerstand. Michaela Engelmaier vom Sozialverband Deutschland (SoVD) erklärte im „Morgenmagazin“ des ZDF, dass 86 Prozent aller Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt würden. Die Pflegeversicherung ermögliche Angehörigen von Pflegebedürftigen im Pflegegrad 1 kostenlose Pflegekurse.
Auch gebe es Zuschüsse für Hilfsmittel zur häuslichen Pflege. Die aktuelle Debatte sei „sehr ärgerlich“, so Engelmeier. Um die finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen, bedürfe es einer „solidarischen Pflegeversicherung“ für alle.
Ähnlich äußert sich Evelyn Schötz von der Linksfraktion. Eine Streichung von Pflegegrad 1 sei nicht nur „grausam für die Betroffenen“. Sie führe auch dazu, dass sich der Zustand der Betroffenen schneller verschlechtere und ein höherer Pflegegrad erforderlich werde. Deshalb sei die Erwartung, dadurch sparen zu können, eine „Fehlkalkulation“.
Befürworter sehen hohen Aufwand und Bürokratie bei geringem Nutzen
Verständnis für die Idee äußerte gegenüber dem NDR der Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN), Benedikt Hüppe. Wie auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte er, es dürfe „keine Denkverbote“ bei der Reform der Sozialsysteme geben.
Hüppe sieht im Pflegegrad 1 den „Haupttreiber der Kostenexplosion in der Pflegeversicherung“. Sie sei bürokratisch und sichere keine echten Pflegeleistungen. Dem Verbandsfunktionär zufolge ließen sich durch ein Aus für die erst 2017 eingeführte Pflegestufe jährlich 1,8 Milliarden Euro einsparen.
Auch der Vorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste hält den Vorstoß für richtig. Es müsse in der Pflegeversicherung darum gehen, Menschen mit „hohen Versorgungsbedarfen“ gezielt zu unterstützen, sagte er gegenüber „Bild“.
Ökonom Boris Augurzky sagte gegenüber dem ZDF, ein Ende von Pflegestufe 1 könne tatsächlich die Kostenanstiege begrenzen. Allerdings bestätigte er die auch von MdB Schötz geäußerten Bedenken, Betroffene könnten so „vermehrt in den Pflegegrad 2“ rutschen – was ebenfalls die Kosten steigere.
Welche Leistungen Pflegegrad 1 beinhaltet
Im Pflegegrad 1 steht Berechtigten ein monatlicher Entlastungsbetrag von 131 Euro zu. In den Pflegegrad fallen Menschen mit geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit. Der Betrag stünde auch für die Unterstützung vollstationärer Pflege im Heim zu – fiele jedoch nicht ins Gewicht, sodass er keinen Anreiz dafür schafft.
Dazu kommen Zuschüsse von bis zu 42 Euro monatlich für Pflegehilfsmittel zum Verbrauch, etwa Windeln. Für den Hausnotruf stehen Berechtigten Zuwendungen von bis zu 25,50 Euro zu. Für Wohnraumanpassung sind es bis zu 4.180 Euro pro Maßnahme – etwa für Einstiegshilfen bei Badewannen. In Wohngruppen lebende Pflegebedürftige können einen monatlichen Zuschuss von etwa 224 Euro erhalten. Für 2026 erwartet die gesetzliche Pflegeversicherung ein Defizit von etwa 2 Milliarden Euro.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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