Landwirte bereiten die „Mutter aller Proteste“ vor

Proteste vor Zentrallagern des Einzelhandels, Traktoren auf der Straße, die neue Formel lautet 5 x D. Landwirte machen mobil und sagten: „Wir sehen uns in Brüssel!“
Landwirte protestieren vor dem Zentrallager von Edeka in Wiefelstede.
Der Agrardialog wurde aufgekündigt, die Landwirte sind sauer. Sie protestieren unter anderem vor dem Zentrallager von Edeka in Wiefelstede ab dem 18. November 2021.Foto: Stephan Kröker / Epoch Times
Von 27. November 2021
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Können die deutschen Landwirte die 83 Millionen Menschen des Landes ernähren? Ist Deutschlands Selbstversorgung mit Lebensmitteln noch gesichert?

Die Antwort ist ein klares Nein. Im Jahr 2020 war der „Selbstversorgung-Überschreitungstag“ der 17. November. Rein rechnerisch war Deutschland daher 44 Tage auf die Versorgung durch das Ausland angewiesen.

In diesem Jahr dürfte dieser Stichtag zeitiger erreicht worden sein, denn täglich geben sieben bis zehn landwirtschaftliche Betriebe auf, wie Landwirt Hans-Adolf Pfeiffer während der neuen Bauernproteste in Niedersachsen erklärt.

Die große Mehrheit der hauptberuflichen Bauern machte nach Schätzungen der Landwirtschaftskammern in diesem Jahr Verluste. Deutliche Rückgänge gab es bundesweit im Ackerbau und in der Schweinehaltung.

Für das „empfindliche Gewinnminus, verbunden mit Eigenkapitalverlusten“, wie es der Verband der Landwirtschaftskammern umschreibt, sieht der Verband drei Gründe. Die Nachfrage, die durch die Corona-Maßnahmen einbrach, die Afrikanische Schweinepest und unterdurchschnittliche Erntemengen bei wichtigen Nutzpflanzen. Die Bauern kennen noch andere Ursachen.

„Wir verlieren jeden Tag bares Geld auf den Höfen“

„Ich bin erschrocken, wie viele Landwirte und Kollegen, die 2019 noch bundesweit mit uns protestierten, aufgehört haben, ihre Höfe schließen mussten“, sagt Landwirt Jan-Bernd Stolle, der zu den neuen Protesten aufrief. Und auch: „Wir verlieren jeden Tag bares Geld auf den Höfen.“

Die Lage der Bauern hat sich seit den bundesweiten Protesten der Vorjahre zugespitzt und verschlechtert. Daher stehen die Bauern seit dem 18. November mit ihren Treckern wieder vor dem Edeka-Zentrallager in Wiefelstede. Hier fand bereits vor zwei Jahren der erste Auftaktprotest vor den Lebensmitteleinzelhandel-Zentrallagern statt.

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Verhandlungen im „Agrardialog“ liefen gut …

Durch ihren damaligen Protest entstand der „Agrardialog“, einzigartige und bisher einmalige Verhandlungen. Die Moderation übernahm die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft.

Aufgeteilt wurde der Agrardialog in drei Arbeitsgruppen (Rind/Milch, Schwein und Herkunftskennzeichnung) sowie eine übergeordnete Lenkungsgruppe. Vonseiten des Handels waren Aldi Nord, Aldi Süd, Edeka, Lidl (Schwarz Gruppe) und Rewe vertreten, außerdem der Bundesverband Lebensmitteleinzelhandel. Für die Landwirtschaft sprechen neben LSV-Deutschland, der Milchdialog/Bund deutscher Milchviehhalter, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Freien Bauern, die IG Schweinehalter Deutschlands sowie Land schafft Verbindung-Original. Beteiligt wurden auch Wissenschaftler und Juristen.

Der Handel selbst zeigte sich immer wieder beeindruckt, wie professionell und engagiert die landwirtschaftlichen Vertreter ihre Beiträge geleistet haben. In vielen Hundert ehrenamtlichen Stunden wurden klare Leitbilder und Zukunftsvorstellungen ausgearbeitet und in den vergangenen Wochen auch ganz klar konkretisiert. Immer mit dem unbeirrten Ziel, möglichst zeitnah finanzielle und strukturelle Verbesserungen für die einheimische Landwirtschaft zu schaffen.

Ein Platz am Tisch blieb jedoch ständig frei, der Deutsche Bauernverband erschien nicht, obwohl er mehrfach eingeladen wurde. Medienwirksam distanzierte sich der Verband, der als regierungs- und konzernnah beschrieben wird, von den Protesten auf der Straße.

Die Teilnehmer des Agrardialogs waren sehr zuversichtlich, dass es zeitnah zu einer Einigung und auch zur Umsetzung der Ergebnisse kommen könnte. Eine ihrer Forderungen an die Politik war, die Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken zu überarbeiten. Diese relativ neue EU-Regelung soll faire Verträge zwischen Handelsketten und Erzeugern gewährleisten. Die vier großen Handelsketten in Deutschland, die zusammen mehr als 85 Prozent des Marktanteils haben, betreiben nichtsdestotrotz weiterhin aggressives Preisdumping, welches die Landwirte massiv unter Druck setzt. Der Agrardialog verlangte hier, Inflation und reale Produktionskosten der Erzeuger bei längerfristigen Verträgen zu berücksichtigen.

… und wurden gesprengt

Als greifbare Ergebnisse in Reichweite waren, platzte der Agrardialog im September 2021. Die „Großen 4“, bestehend aus Edeka (Netto), Lidl, Aldi und Rewe, stellten nach Monaten intensiver Lösungssuche die Verhandlungen ohne konkrete Zugeständnisse ein.

Statt einer Weiterführung wurde ein neu gegründeter Runder Tisch der „Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft“ vorgeschlagen. Die etwas sperrige Abkürzung lautet ZKHL. Initiiert wurde die ZKHL vom Bauernverband, dem Raiffeisenverband sowie dem Handelsverband Deutschland und soll „zur grundlegenden Verbesserung der Zusammenarbeit in der Lieferkette“ dienen. Den Vorstand besetzen die drei Verbände.

Die plötzliche Beendigung der Gespräche erbost die Landwirte. Sie verlangen vom Lebensmitteleinzelhandel, die Ergebnisse des Agrardialogs umzusetzen und kostendeckende Preise zu zahlen. Eine erhellende Dokumentation zu den Machenschaften der Einkäufer im Lebensmittelhandel veröffentlichte der Fernsehsender „Arte“ am 13. Oktober. „Auslaufmodell Supermarkt?“ wurde seither auf YouTube von 1,4 Millionen Menschen gesehen und zeigt insbesondere ab Minute 28:00 die eher unbekannten Strukturen der Handelsketten.

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Gekommen um zu bleiben

Nun stehen die Traktoren wieder am Edeka-Zentrallager in Wiefelstede. Ihre Demonstration ist bis zum 24. Dezember angemeldet, die Polizei bestätigt den langen Zeitraum und hat sich darauf eingestellt.

Ein Anhänger dient als Bühne, verschiedene Gruppen der Landwirte und Redner treten auf. LSV-Deutschland und die Freien Bauern, zwei ihrer Verbände, luden auch das Management von Edeka zu einer Podiumsdiskussion ein.

Wir erwarten, „dass sie umgehend an den Verhandlungstisch zurückkehren und die im Agrardialog gemeinsam ausgearbeiteten Lösungsansätze für kostendeckende Erzeugerpreise in die Tat umsetzen“, erklärt Anthony Lee von LSV-Deutschland. „Wenn der Lebensmitteleinzelhandel sich weiterhin weigert, Verantwortung in der Wertschöpfungskette zu übernehmen, brauchen wir politische Entscheidungen gegen die Macht der Monopole“, sieht Peter Guhl von den Freien Bauern die künftige Bundesregierung bereits in der Pflicht.

Das Edeka-Management Hannover-Minden antwortete auf die Einladung mit einem Brief, sagte ab und lud die protestierenden Landwirte für den nächsten Tag in ihr Verwaltungsgebäude ein.

„Die heutigen Proteste können wir nicht nachvollziehen“, heißt es darin. „Mit der Überführung des Agrardialogs in die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft haben Handel und Landwirtschaft einen weiteren wichtigen Schritt gemacht, um die Landwirtschaft noch stärker zusammenzubringen. Dort werden der Dialog und die Arbeit in den Arbeitsgruppen fortgeführt.“

Die neue Plattform ermögliche es, die Ressourcen zu bündeln und weitere Verbände in den Austausch einzubinden. Edeka bedauert, dass einzelne Gruppierungen diesen Dialog nun abbrechen und auf Konfrontation setzen. „Wir hoffen sehr, dass die Demonstranten von der Straße zurück an den Gesprächstisch kommen, um weiter konstruktiv an der Sache zu arbeiten.“

Die Landwirte reagieren nicht unbedingt so wie erwünscht: Inzwischen hat sich der Protest in Niedersachsen auf Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz ausgedehnt.

„In die ZKHL [zu] gehen ist genau so, wie man bei uns hier so schön sagt: Nur die dümmsten Kälber suchen sich ihren Schlächter selbst“, warnt Thilo von Donner, der an der Lenkungsgruppe des Agrardialogs teilnahm. Als Feigenblatt gebe er sich nicht her. Andere überlegen, ob sie an den neuen Gesprächen teilnehmen. „Man kann nur was bewegen, wenn man mit am Tisch sitzt, sonst ist man raus“, so Maike Schulz-Broers von LandSchafftVerbindung-Original.

Eine neue Formel: 5 x D

Immer häufiger plädieren die Landwirte für 5 x D – fünfmal Deutschland. Der Handel sollte bevorzugt Fleisch von Tieren anbieten, die in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet worden sind. Zudem sollten diese vom Erzeuger mit besseren Preisen gekauft werden.

Um das zu leisten, wird eine transparente Kennzeichnung des Herkunftslandes für Produkte und Produktbestandteile benötigt. Über 1.000 Labels und Siegel im Lebensmittelbereich verwirren mehr, als sie dem Verbraucher nützen. Ein Beispiel: „Verpackt in Deutschland“ bedeutet nicht unbedingt, dass Produkte aus der deutschen Landwirtschaft drin sind.

Die Landwirte auf der Bühne sagen: „Wenn wir als Bauern nicht mehr da sind, haben wir keine Kontrolle mehr über die Lebensmittel, die im Land verkauft werden. Die Verbraucher sind letztlich die Dummen, weil sie keine Lebensmittel aus Deutschland mehr bekommen.“ Und: „Wenn das Fleisch nicht mehr hier produziert wird, tun es andere im Ausland. Wir halten die Tiere nach hohen Tierschutz- und Umweltstandards. Und dort?“

Die „Mutter aller Proteste“

Für die LKW-Fahrer, die in das Edeka-Zentrallager wollen, halten die Landwirte den Weg immer frei. Staus gibt es trotzdem.

Noch mehr Staus wird es um den dritten Advent in Belgien und auf den europäischen Autobahnen geben. Dann sind Europas Bauern mit ihren Traktoren und Schleppern zur „Mutter aller Proteste“ nach Brüssel am 13. und 14. Dezember unterwegs. Der Termin wurde von den Behörden bestätigt und genehmigt. Während die EU-Agrarminister tagen, werden die Landwirte mit Schleppern im EU-Viertel eine Klimapolitik mit fairen Rahmenbedingungen von der Politik einfordern.

Die Hauptkundgebung findet am 13. Dezember ab 11 Uhr auf dem Place du Luxembourg statt. Tags darauf ist ab 9 Uhr auf dem gleichen Platz ein Bauern-Konsumenten-Frühstück geplant.

Europäische Landwirte vereint das gleiche Problem: der „Green Deal“ und die „Farm-to-Fork“-Strategie. „Farm-to-Fork“ steht im Zentrum des Green Deals und meint, Lebensmittelsysteme fair, gesund und umweltfreundlich zu gestalten. Die EU will damit einen beschleunigten Übergang zu einem nachhaltigen Ernährungssystem vorschreiben, welches Klimaveränderungen mindern und sich an seine Auswirkungen anpassen soll.

Die Veröffentlichung einer kritischen Untersuchung der Forschungsstelle der EU (GFS) zur „Farm-to-Fork“-Strategie verschleppte EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bis in den August 2021, also den Monat der geringsten medialen Aufmerksamkeit. Das belegen interne E-Mails seiner Behörde. Die GFS-Studie kam unter anderem zu dem Schluss, dass „Farm-to-Fork“ zu einem deutlichen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion und der Einkommen der Landwirte in der EU führen wird.

Es geht um die Ernährungssicherheit

Die Organisatoren, mehrere europäische Verbände und Gruppen aus dem Agrarsektor, beklagen unter anderem, dass die Bäuerinnen und Bauern dabei nicht mitreden können. In ihrer Presseerklärung heißt es:

„Durch gravierende Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, erlaubt das aktuelle Agrarsystem schon jetzt keine Preise, die die Kosten dieser Produktion angemessen decken. Neue Strategien wie der Green Deal werden die Kosten auf ein neues, noch höheres Level heben. Sie sehen allerdings im Gegenzug keine Kostendeckung für die Erzeuger vor.“

Ohne passende Rahmenbedingungen steht die Zuverlässigkeit der EU-Nahrungsmittelproduktion und damit auch die Ernährungssicherheit auf dem Spiel, warnen sie. Ein faires Agrarsystem, die Deckelung der Produktionskosten und die Einbeziehung der Bauern in die Klimastrategien seien notwendig. Der „Green Deal“ werde nur MIT und nicht GEGEN die Bauern erfolgreich, er müsse gemeinsam mit den Landwirten gestaltet werden. Ohne die Landwirte kann es keinen Deal geben.

Am 13. Dezember sollten die Landwirte, die erstmals aus der gesamten Europäischen Union kommen, zusammen zeigen, was sie wirklich über die Ideen für die Landwirtschaft der EU denken, ruft Szczepan Wójcik, Präsident des Institut of Agricultural Economy, die Bauern auf.

Sieta van Keimpema, Präsidentin des European Milk Board, wird deutlich: „In den Medien hört man ständig, dass der New Green Deal gut für die Landwirte, gut für die Umwelt und gut für die Europäer ist. Das ist nicht wahr!“

Sie sagen kurz und knapp: „Wir sehen uns in Brüssel!“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 20, vom 27. November 2021.



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