Berliner Erklärung
EU-Minister warnen vor industriellem Niedergang - und drängen auf weniger Regulierung
In Berlin haben 17 europäische Industrieminister einen Weckruf an Brüssel gerichtet: zu viel Bürokratie, zu hohe Energiepreise, zu wenig Vertrauen in Unternehmen – die Wettbewerbsfähigkeit Europas stehe auf dem Spiel. Ihre „Berliner Erklärung“ fordert einen pragmatischen Neustart der Industriepolitik.

Stéphane Séjourné eröffnete als Vertreter der EU-Kommission am Montag die Tagung der Friends of Industry in Berlin.
Foto: Soeren Stache/dpa
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In Kürze:
- 17 EU-Staaten unterzeichnen die Berliner Erklärung „Friends of Industry 2025“.
- Warnung vor schleichendem Verlust der industriellen Basis Europas
- Bürokratieabbau und mehr Handlungsspielraum für Unternehmen gefordert
- Europa soll bei Künstlicher Intelligenz, Rohstoffen und Verteidigung „souverän“ werden.
In Berlin haben am Montag, 3. November, der Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission, Stéphane Séjourné, und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche die 8. „Friends of Industry“-Konferenz eröffnet. Bei dieser Gelegenheit haben die Industrieminister von 17 EU-Staaten eine gemeinsame Erklärung zur Stärkung der europäischen Industrie unterzeichnet. Unter den Signatarstaaten waren unter anderem Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Österreich.
Überregulierung und Energiepreise als Hemmschuhe der Industrie
Zu Beginn der Konferenz kündigte Séjourné an, dass die Kommission der Industriestrategie derzeit „höchste Priorität“ zuweise. Man habe eine „Reihe einzigartiger Initiativen ins Leben gerufen“. Diese sollen sicherstellen, dass „die europäische Industrie weltweit wettbewerbsfähig ist und wieder prosperieren kann“. Diese reichten vom Clean Industrial Deal über Aktionspläne für zahlreiche Branchen. Man müsse jetzt „die Annahme beschleunigen und Ergebnisse vor Ort erzielen“.
In der Erklärung heißt es, Europa stehe an einem „kritischen Punkt“. Hohe Energiepreise, Überregulierung und globaler Wettbewerbsdruck drohten, seine industrielle Basis zu unterminieren. Um dieser Situation den Kampf anzusagen, haben die Unterzeichner einen Fünf-Punkte-Aktionsplan zusammengestellt.
Das Papier orientiert sich vorwiegend an der kritischen Bestandsaufnahme, die der frühere EZB-Chef Mario Draghi im September 2024 vorgelegt hatte. In seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU zog er eine vernichtende Bilanz – und forderte unter anderem höhere gemeinsame Schulden und ein Ende von Vetorechten.
EU-Normenbestand soll von Überflüssigem befreit werden
Eine der wesentlichen Anregungen, um zu verhindern, dass Europas Industrie weiter abgehängt wird, ist im aktuellen Papier die Rede von Bürokratieabbau und „Regulierungsstopp“. Die Minister der 17 Länder, die sich zur Agenda der „Freunde der Industrie“ bekennen, fordern einen „neuen legislativen Geist der Zurückhaltung“.
Es soll keine weiteren Bürokratiemonster und keine Überregulierung aus Brüssel geben. Im Wege von „Reality Checks“ will man alle EU-Gesetze auf Überflüssiges und Unverhältnismäßiges überprüfen. Unter dem Motto „Think small first“ will man weniger Vorschriften erreichen.
Vor allem kleine und mittlere Betriebe sollen davon profitieren. Die EU solle „ermöglichen statt überregulieren“. Es sei zwar sinnvoll, dass Brüssel Rahmenbedingungen setze, Detailvorgaben sollen jedoch der Vergangenheit angehören.
AI Act soll „praxisnah“ umgesetzt und Industrie „klimafreundlich“ belebt werden
Ein ganz wesentliches Anliegen ist den Verfassern der gemeinsamen Erklärung auch das Thema KI. Um nicht länger von den USA und China abgehängt zu werden, müsse der AI Act „praxisnah“ umgesetzt werden und den Unternehmen Rechtssicherheit geben. Um die „digitale und technologische Souveränität Europas“ zu erreichen, solle die europäische Cloud- und Recheninfrastruktur ausgebaut werden. Massive Investitionen in Quantencomputer und Hochleistungsrechner sollen folgen.
Der dritte Punkt, der in der Erklärung angesprochen wird, ist die Schaffung von „Leitmärkten für klimafreundliche Produkte“. Die gezielte Förderung staatlicher und privater Nachfrage nach CO₂-armen Grundstoffen bei Stahl, Zement und Chemieprodukten soll eine „industriepolitische Lenkung“ ermöglichen.
Die Minister erklären ihre Unterstützung für die Einführung EU-weit einheitlicher CO₂-Bilanzierung und freiwilliger „Carbon Footprint“-Label. Zudem soll die Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens im Sinne des „Green Public Procurement“ einen Hebel für Marktanreize schaffen. Dies setzt freilich voraus, dass der Markt das gleiche Interesse an der Erreichung möglichst ambitionierter grüner Ziele entwickelt wie die Politik.
Prinzip Hoffnung: Militärische Forschung soll auch zivile Innovation fördern
Mehr Unabhängigkeit für Europa bei kritischen Rohstoffen will man durch Recycling, neue Förderquellen und „Beschaffungsdiplomatie“ erreichen. Auch die Rüstungsindustrie sieht man als potenziellen Innovationsmotor. Dies erhofft man sich vor allem mit Blick auf sogenannte Dual-Use-Güter.
Dabei soll die Forschung zu Militärprojekten in stärkerem Maße zivilen Industriezweigen zugutekommen. Im Kern hofft man, dass auf diesem Wege Europa seinen Rückstand von Chips über KI bis hin zu Raumfahrt und Biotechnologie aufholen kann. Auch das soll zu Resilienz und technologischer Eigenständigkeit beitragen.
Last but not least sprechen sich die Teilnehmerstaaten für den geplanten „European Competitiveness Fund“ als zentrales Finanzierungsinstrument aus. Dieser soll Start-ups und Scale-ups durch mehr Kapitalzugang stärken. Außerdem soll er helfen, angeschlagene Sektoren wie Autoindustrie, Chemie, Stahl- und Maschinenbau zu stabilisieren.
Bei der Mittelvergabe soll es mehr Mitsprache aufseiten der Mitgliedstaaten geben – und damit weniger Alleingänge der EU-Kommission. Zudem stellt das Papier einmal mehr die Wichtigkeit EU-weit wettbewerbsfähiger Energiepreise in den Vordergrund.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.
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