„Selten war die Lage so düster“: Deutsche Wirtschaft blickt pessimistisch auf 2024

Eine Mehrheit der deutschen Wirtschaftsverbände sieht kein Licht am Ende des Tunnels in Sachen Konjunktur. Produktion, Beschäftigung und Investitionen werden wohl weiter abbauen, meint der Kölner IW-Volkswirt Prof. Michael Grömling.
Wirtschaft - Zinserhöhungen und die schwächelnde Weltwirtschaft verderben vielen Branchen in Deutschland die Stimmung.
Geopolitische Verwerfungen, die hohe Inflation und die haushaltspolitischen Unklarheiten belasten nach Auffassung des IW-Volkswirts Prof. Michael Grömling die deutschen Wirtschaftsaussichten für das Jahr 2024Foto: Arne Dedert/dpa
Von 28. Dezember 2023

„Selten war die Lage so düster wie derzeit, und selten war die Prognose so pessimistisch.“ Prof. Dr. Michael Grömling, der Leiter des Kooperationsclusters Makroökonomie und Konjunktur beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, hat ein stark gedämpftes Stimmungsbild bei den deutschen Wirtschaftsverbänden festgestellt.

Im Rahmen der jährlichen IW-Verbandsumfrage habe sich herausgestellt, dass 30 von 47 teilnehmenden Wirtschaftsverbänden die augenblickliche Wirtschaftslage als noch schlechter als im Dezember 2022 bewerten, obwohl schon damals „aufgrund der Energiekrise keine gute Stimmung in der deutschen Wirtschaft zu verzeichnen war“, so Grömling. Der Name seiner Erhebung scheint Programm: „Keine Erholung in Sichtweite.“

Grömlings Untersuchungsergebnissen zufolge betrachten lediglich elf Verbände die Lage im Vergleich zum Ende 2022 als unverändert. Und „nur in sechs Branchen wird die aktuelle Situation besser bewertet als im letzten Jahr“, erklärte der Volkswirt.

IW-Prognose: Industrie stagniert, BIP wird leicht sinken

Das IW rechnet damit, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland 2024 um beinahe ein halbes Prozent schrumpfen werde. „Damit verharrt die gesamtwirtschaftliche Produktion hartnäckig auf dem Niveau des Jahres 2019“, heißt es in Grömlings aktueller IW-Verbandsumfrage (PDF-Datei).

Nach Angaben der „Welt“ nehmen „die fünf großen Konjunkturforschungsinstitute“ allerdings einen BIP-Zuwachs in Höhe von einem Prozent an. Ihre Prognosen seien jedoch wie jene der Bundesregierung jüngst nach unten korrigiert worden.

Das ifo Institut habe für das Wirtschaftsjahr 2023 bereits einen Rückgang von 0,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr errechnet. Das IW sah in erster Linie die Exportwirtschaft geschwächt: „Der im zweiten Halbjahr 2022 begonnene Rückgang beim deutschen Außenhandel“ habe sich „im gesamten Jahr 2023 ungebremst“ fortgesetzt. Bereits in den ersten drei Quartalen hätten die „preisbereinigten Warenausfuhren […] um insgesamt 2,2 Prozent unter dem entsprechenden Vorjahresniveau“ gelegen. Das habe auch mit den kräftig erhöhten Erzeugerpreisen zu tun, die „in Deutschland zum Jahresanfang 2023“ beinahe 50 Prozent höher gewesen wären als noch zu Beginn des Jahres 2020. Insgesamt stagniere die Industrie „seit ihrer Erholung vom Corona-Einbruch im Frühjahr 2020 seit nunmehr drei Jahren“, so Grömling.

Die Produktions-, Investitions- und Beschäftigungserwartungen für 2024 gemäß der IW-Verbandsumfrage unter 47 Verbänden in Deutschland im November/Dezember 2023.
Die Produktions-, Investitions- und Beschäftigungserwartungen für 2024 gemäß der IW-Verbandsumfrage unter 47 Verbänden in Deutschland im November/Dezember 2023 Foto: Institut der deutschen Wirtschaft, Köln

Tiefpunkt bei Produktions-, Investitions- und Beschäftigungsperspektiven

Befragt nach den Aussichten für die nahe Zukunft, habe „kein einziger Verband“ angegeben, „für 2024 von einer wesentlich höheren Produktion“ auszugehen, stellte Grömling fest. Lediglich neun Verbände hätten vermutet, dass es 2024 überhaupt zu einem höheren Produktionsniveau kommen werde. 23 Verbände und damit knapp die Hälfte der Befragten glaubten dagegen, dass es einen „Produktions- oder Geschäftsrückgang“ geben werde, so Grömling. Die restlichen 15 Verbände rechneten mit „gleichbleibenden Wirtschaftsaktivitäten“.

Was das Thema Beschäftigung angehe, erwarteten 19 der 47 teilnehmenden Wirtschaftsverbände ebenfalls ein annähernd gleichbleibendes Niveau. 23 Verbände rechneten mit einem Rückgang und „nur noch fünf Verbände melden für das Jahr 2024 einen Aufbau an Beschäftigung“. Dabei handele es sich um die Informationswirtschaft, die Energie- und Wasserwirtschaft, die Pharmaindustrie, die Luft- und Raumfahrtindustrie und die Branche Feinmechanik/Optik.

22 Verbände hätten zudem angegeben, weniger Geld für Investitionen ausgeben zu wollen. „Nur acht Verbände gehen davon aus, dass ihre Mitgliedsunternehmen mehr investieren“, schrieb Grömling. Man habe also wohl auch „ein schwaches Investitionsjahr“ vor sich. „Die Entwicklung des unternehmerischen Kapitalstocks kommt somit auch im neuen Jahr nicht weiter voran – mit langwierigen Folgen für das Produktionspotenzial am Standort Deutschland“, meint der Professor. Er nannte auch die Hauptgründe für die insgesamt düstere Stimmung:

Die schwache Entwicklung der Weltwirtschaft infolge der geopolitischen Verwerfungen, die geldpolitische Straffung infolge der hohen Inflation sowie die Verunsicherungen der Unternehmen und Haushalte infolge der haushaltspolitischen Unklarheiten in Deutschland drücken die Aussichten für das Jahr 2024.“ (Hervorhebungen: Epoch Times)

„Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung“ zu erwarten

Grömling geht angesichts der IW-Erfahrungen aus den vergangenen 30 Jahren davon aus, dass es im Jahr 2024 tatsächlich zu einem „Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung“ kommen wird. Parallel dazu sei „eine Trendwende hin zu weniger Beschäftigung und zu leicht ansteigender Arbeitslosigkeit im Gang“.

Auch aus Sicht der „Welt“ sind die Unternehmen in Deutschland „nach vier schwierigen Jahren […] ausgezehrt“:

Erst schickte die Pandemie die Konjunktur auf Talfahrt. Dann ließ der von Russland angezettelte Ukrainekrieg die Energiepreise in die Höhe schießen. Im zu Ende gehenden Jahr verhinderten Rekordinflation, rasant ansteigende Zinsen, der Fachkräftemangel und zum Jahresende auch noch das Haushaltsdesaster die Hoffnung auf ein Comeback der deutschen Wirtschaft.“

Energieintensive Branchen besonders hart betroffen

All das betreffe sowohl den Dienstleistungssektor als auch die Industrie, schreibt die „Welt“. Die Branchen mit den „schlechtesten Perspektiven“ seien dabei jene, die viel Energie benötigten, ergänzte IW-Studienautor Grömling. Darunter fielen „beispielsweise Gießereien, die Keramische Industrie, die Lederindustrie sowie Unternehmen aus der Kunststoffverarbeitung“. Gerade die Kunststoffbranche könne sich wegen der neuen Plastiksteuer des Bundes auf noch höhere Belastungen einstellen.

Wegen der Wohnungsbaukrise blickten auch die „Immobilienwirtschaft, Banken, Sparkassen sowie die Bauindustrie und das Baugewerbe“ pessimistisch in die Zukunft. Dahinter steckten nach Angaben der „Welt“ wiederum die „hohen Zinsen und stark gestiegenen Baukosten“. Auch die „Grundstoffindustrie“, die Stahlindustrie und die Mode- und Textilbranche litten unter der schwachen Konjunktur, allerdings „nicht ganz so dramatisch“. Sie hätten vielmehr „erheblich mit dem Strukturwandel im Zuge der Dekarbonisierung zu kämpfen“, schreibt die „Welt“ – also erneut mit einem hausgemachten politischen Problem.

IW-Chef Hüther hofft auf Schuldenbremsen-Reform

„Die deutsche Wirtschaft leidet flächendeckend darunter, dass sie nicht planen kann“, brachte IW-Direktor Prof. Dr. Michael Hüther die Gesamtsituation auf den Punkt. Verantwortlich ist für ihn die Bundesregierung: „Die Ampel verspricht viel und hält wenig. Das Desaster um den Haushalt zeigt, wie gravierend die Lage ist“, so Hüther. Die „Deindustrialisierung und eine zunehmende Orientierung ins Ausland“ habe in der deutschen Wirtschaft bereits begonnen.

Seiner Einschätzung nach würden die Probleme noch schlimmer werden, falls die Ampel keine Reform der Schuldenbremse auf den Weg bringe. Dieser Schritt wäre aus Hüthers Sicht „eine Chance, um kurz- und mittelfristig zumindest einige Unsicherheiten auszuräumen und den Unternehmen eine Perspektive für Investitionen am Standort Deutschland zu bieten“.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte Mitte Dezember angekündigt, im Jahr 2024 eine Teilreform der Schuldenbremse auf den Weg bringen zu wollen, nachdem seine Koalitionspartner SPD und Grüne eine klare Lockerung gefordert hatten. Beides war unter anderem in der Union auf Widerstand gestoßen: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte erklärt, auf keinen Fall einer Veränderung der Schuldenbremse im Bundestag zustimmen zu wollen.

Habeck noch im August optimistisch

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte noch im August 2023 trotz anhaltender Konjunkturflaute Optimismus und Selbstbewusstsein verbreitet. Aus seiner Sicht sei die deutsche Wirtschaft nicht krank, nur „etwas untertrainiert“. Die Schwierigkeiten gingen auf den Gasmangel infolge des Ukrainekrieges, auf die hohen Teuerungsraten und EZB-Zinssätze und auf die Bürokratie zurück.
Zu diesem Zeitpunkt hatte eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar Public unter 150 deutschen Firmen ergeben, dass gut ein Viertel der deutschen Unternehmen darüber nachdenke, seine Produktion ins Ausland zu verlagern. Habeck sah allerdings keinen Grund zur Selbstkritik: „Das, was ich im Moment mache, ist das Beste, was ich in meinem bisherigen politischen Leben gemacht habe. Es bedeutet mir richtig viel, und ich bin stolz darauf“, sagte der Wirtschaftsminister im Wochenblatt „Zeit“ (Bezahlschranke).


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