China: Massenproteste von Rentnern gegen Krankenversicherungsreform

Die Rentner von Wuhan gingen auf die Straße, um gegen die Reform ihrer Krankenversicherung zu protestieren. Viele sind der Ansicht, dass ihnen die Stadtregierung damit gehörig in die Taschen greifen will – um ihr eigenes Finanzloch zu stopfen.
Ein Mann mit Maske in Wuhan, China
Ein Rentner in Wuhan.Foto: Gettyimages
Von 12. Februar 2023

Eine Reform der Krankenversicherung in Wuhan sorgt für große Aufregung. In der zentralchinesischen Provinzhauptstadt – im Westen vielen als Ursprungsort der Corona-Pandemie bekannt – protestierten jüngst Zehntausende ältere Bürger gegen einschneidende Maßnahmen der Stadt.

Nach drei Jahren strenger Null-COVID-Politik mit Lockdowns, Massentests und Quarantänelagern ist die Finanzlage der Lokalregierungen in China angespannt. Denn auch auf der Einnahmenseite gab es durch die Maßnahmen große Ausfälle. Eine am 17. Januar beschlossene Reform der Krankenversicherung kommt nun mit drastischen Kürzungen in mehreren Bereichen daher. Von den Krankenversicherungen der Beamten hört man indes nichts Ähnliches.

Neben neuen Regelungen für Wanderarbeiter sollen vor allem auch die Beihilfen für Rentner zu Medizinkosten stark gekürzt werden. Mit dem 1. Februar traten die Veränderungen in Kraft. Für die rund zwei Millionen Rentner in Wuhan gibt es neben der gesundheitlichen Problematik der aktuellen verheerenden Corona-Welle noch ein weiteres Problem – ein finanzielles. Für die Rentner sind die Änderungen besonders hart und reißen ein großes Loch in ihr ohnehin schon schmales Budget. Es kam zum Protest der Rentner.

Wie erfolgreich der Protest war, ist bisher aufgrund unterschiedlicher Aussagen nicht abschätzbar. Allerdings veröffentlichte am nächsten Tag unter anderem „China News Service“, die nach „Xinhua“ zweitgrößte staatliche Nachrichtenagentur Chinas, eine Richtlinieninterpretation des Krankenversicherungsbüros zur neuen Krankenversicherungsreform. Darin wurde das Sparprojekt beworben und den Leuten schmackhaft gemacht.

Rentnerprotest in Wuhan

Am 8. Februar gegen 10:20 Uhr begann der Menschenauflauf vor und im Bereich der Stadtverwaltung von Wuhan. Immer mehr ältere Menschen versammelten sich auf der Hauptstraße vor dem Rathaus. Viele waren mit den dreirädrigen Behindertenfahrzeugen gekommen, viele andere mit öffentlichen Verkehrsmitteln – zumindest bis die Behörden die Zugänge zu den Bussen schlossen. Eine große Zahl bewaffneter Polizisten und Sonderpolizisten wurde entsandt. Es kam zu Schubsereien und Zusammenstößen, aber keinen größeren Konfrontationen. Die Polizei hielt sich mit Gewaltaktionen zurück. Für die Parteifunktionäre in Wuhan war klar, dass der Protest der Alten ein Thema von großer politischer Brisanz ist, das von Peking genau beobachtet wird.

Kernpunkt des Protests der Rentner war die Kürzung des staatlichen Gesundheitszuschusses für Pensionäre, der für Medikamente und medizinische Dienstleistungen beantragt werden kann – und im Grunde genommen von jedem genutzt wird. Von zuvor 260 Yuan (rund 35 Euro) im Monat wurde der Betrag auf 83 Yuan gekürzt – was diese Rentner auf die Straße trieb. Das Geld stammt übrigens aus dem Arbeitgeberanteil für die Krankenversicherung, von welchem rund 70 Prozent des Beitragsanteils in das Gemeinschaftskonto der Krankenversicherung flossen. 30 Prozent des Anteils flossen auf das individuelle Krankenversicherungskonto des Arbeitnehmers. Mit der Reform wurden diese 30 Prozent jedoch weggenommen. Sie sollten der Reform nach dem Gemeinschaftskonto zugeschlagen werden – theoretisch zumindest.

Der amerikanische Ökonom Davy Jun Huang erklärte jedoch gegenüber der Epoch Times, dass das Geld auf dem Sammelkonto aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und der Überalterung der Gesellschaft immer weniger werde. Zudem gebe es eine Reihenfolge, die den Mächtigen und Parteifunktionären diene: „Die Krankenversicherung dient ursprünglich dem Schutz von Parteimitgliedern und Kadern und Beamten, dann von öffentlichen Einrichtungen, Mitarbeitern staatlicher Unternehmen und schließlich von allgemeinen Unternehmen und einfachen Menschen (Mitarbeiter, die für die Krankenversicherung zahlen). Diese Reihenfolge hat sich nicht geändert.“ Die KPC habe ein riesiges Team von Beamten und Parteimitgliedern und es gebe eine große Finanzierungslücke, meinte Huang. Nun solle die medizinische Reform dieses Problem lösen.

Unter den Teilnehmern des Protests ging die Nachricht um, dass, wenn die Regierung nicht nachgebe, es am 15. Februar einen weiteren Protest im Zhongshan-Park geben soll. Ein Anwohner sagte jedoch, dass die Polizei davon Wind bekommen habe und den Termin sicherlich unterdrücken werde. Ob Leute dennoch dort erscheinen werden und in welcher Zahl, bleibt abzuwarten.

Die Forderungen der Demonstranten beinhalteten unter anderem eine Rücknahme der Reform und eine Übernahme der politischen Verantwortung durch Bürgermeister Cheng Yongwen und den Direktor des Krankenversicherungsbüros, Chen Shiliang. Sie sollten zurücktreten, forderten die Rentner.

Gegen 14 Uhr schien sich der Protest zu verschärfen, so der Anwohner. Gemeindemitarbeiter hätten versucht, die Menschenmassen in verschiedene Richtungen zu zerstreuen. Eine Gruppe Rentner sei in einen Hörsaal gebracht worden, wo man ihnen erklärte, dass die Stadtregierung die Durchsetzung der neuen Regelungen aussetzen werde, so der Anwohner. Er selbst verließ gegen 15:30 Uhr den Protestort. Eine offizielle Bestätigung für diese Aussage gibt es bisher nicht.

Einem weiteren Bericht der chinesischsprachigen Epoch Times nach wurden tatsächlich zahlreiche Rentner ins Auditorium der Wuhaner Stadtregierung gebracht. Was dort dann geschah oder ob überhaupt etwas geschah, ist bisher nicht bekannt. Es bleibt spekulativ, anzunehmen, dass dort eine Aussetzung der Durchführung der Krankenversicherungsreform bestätigt wurde, ob den alten Leuten nur ein Platz zum Ausruhen geboten wurde oder ob man dadurch die Leute auf der Straße beruhigen oder zerstreuen wollte.

In dem Bericht wird auch auf eine Aussage des städtischen Büros für Krankenversicherung von Wuhan am 9. Februar hingewiesen, dass man „definitiv weiter voranschreiten“ werde.

Der Protest selbst dauerte noch bis in die Abendstunden. Xie Wanjun, ein in den USA im Exil lebender chinesischer Dissident und Vorsitzender der in China verbotenen Demokratischen Partei Chinas, postete auf Twitter ein Video von den Menschenmassen, die noch zu später Stunde in den Straßen von Wuhan unterwegs waren.

Den Rentnern in die Tasche greifen

Herr Gao, ein Bürger von Wuhan, sagte der Epoch Times: „Die 260 Yuan reichen kaum zum Überleben und jetzt reichen 80 Yuan nicht aus, um ein Medikament zu kaufen.“ Er sagte noch, dass die Menschen vor Ort auch gegen die Kürzungen bei den Beihilfen zu den Beerdigungskosten protestieren. Diese seien in den letzten Jahren von 70.000 Yuan auf 30.000 gekürzt worden und im vergangenen Jahr nochmals auf 19.000 Yuan (rund 2.600 Euro).

Herr Zhang, ein Augenzeuge vor Ort, meinte, dass die Kürzungen zeigten, dass Wuhan ein zu großes finanzielles Defizit habe. Nach fast drei Jahren Corona-Tests und Null-COVID-Politik sei den lokalen Regierungen und Gemeinden tatsächlich das Geld ausgegangen, so Zhang. „Deshalb haben sie diese sogenannte Gesundheitsreform eingeführt.“

Er erklärte, dass die Menschen mit Chinas Zwei-Klassen-Gesellschaft unzufrieden sind: „Das zweigleisige System, das wir in China implementieren, die sogenannten Beamten in diesen Systemen, sie haben alles garantiert. Aber gewöhnliche Menschen, die nur um ihr Leben herumrennen, einschließlich der sogenannten Gesundheit, haben keine Garantie.“

Herr Zhang meinte, dass es sinnvoll gewesen sei, dass die Arbeiter vor das Rathaus gegangen seien, um ihre Rechte zu verteidigen. Man müsse diesen alten, pensionierten Arbeitern danken. „Wuhan ist eine heldenhafte Stadt“, meinte Zhang, es sei gerecht, dass so viele alte Rentner gingen und ihre Rechte verteidigten. „Ich unterstütze das absolut.“

Zhang kritisierte auch, dass die Regierung „Geld von der Gesundheitsreform“ abzweigen wolle, das wollten die Leute nicht zulassen. Das Moratorium gebe allen einen „Puffer“: „Die Menschen geben der Regierung eine Chance, die Regierung gibt den Menschen ein Versprechen und wir werden sehen, was die Regierung als Nächstes tun wird.“

Proteste auch in Guangzhou

Wie die chinesischsprachige Epoch Times berichtet, hatte nicht nur Wuhan damit begonnen, neuen Krankenversicherungsreglungen einzuführen, sondern auch andere Orte in China wie beispielsweise in Guangzhou.

In der südchinesischen Provinzhauptstadt gab es auch drei Rentnerproteste. Am 28. und am 30. Dezember sowie am 11. Januar versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Sozialversicherungsamt von Guangzhou, um von der Regierung zu fordern, die Kürzungen zurückzunehmen.

Herr Li, ein Rentner in Guangzhou, seit sieben Jahren in Pension, erklärte der Epoche Times: „Als ich arbeitete, wurden 80 Prozent für Krankenversicherung und Rente von der Firma bezahlt, 20 Prozent von einem selbst.“ Damals sei auch festgelegt worden, wie viel im Monat zu zahlen sei und wie viel man nach der Pensionierung bekommen würde. Dann, nach der Pensionierung, sei plötzlich alles gekürzt worden. „Das ist das Geld, das wir verdienen. Die Regierung ist unvernünftig und ignorant gegenüber dem Gesetz. Viele Rentner wissen nicht, dass die Kommunistische Partei Menschen mit ‚tausend Schnitten‘ tötet.“

Laut Li seien die Beihilfen der Stadt von zuletzt 484 Yuan im November auf 160 Yuan (circa 22 Euro) im Dezember gekürzt worden: „Wir alten Leute nehmen dieses lebensrettende Geld, um in der Apotheke ein paar Medikamente zu kaufen, damit wir nicht ins Krankenhaus gehen müssen.“ Im Krankenhaus müsse man alles selbst bezahlen, meinte Lin. „Und es gibt so viele Leute, deren Rente nur 1.000 bis 2.000 Yuan beträgt.“

Eine im Internet kursierende Liste soll die neuen Zahlen der medizinischen Beihilfen für Rentner in verschiedenen Städten Chinas nach der Reform zeigen:

Shenzhen: 251 Yuan
Guangzhou: 160 Yuan
Shanghai: 140 Yuan (für unter 74-Jährige) und 157,5 Yuan (für über 75-Jährige)
Peking: 100 Yuan (für unter 70-Jährige) und 110 Yuan (für über 70-Jährige)
Zhengzhou: 95 Yuan
Heilongjiang: 90 Yuan
Wuhan: 83 Yuan
Xinjiang: 80 Yuan
Dalian: 80 Yuan
… und andere …



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