Von der Schulbank ins Leben – Studienrätin baut Bildungsbrücken
Lesen, Schreiben, Rechnen. Es gibt unterschiedliche Methoden, wie Kinder lernen. Epoch Times sprach mit Studienrätin und Gymnasiallehrerin Peggy Kaminski aus Friedland in Mecklenburg-Vorpommern über neue Wege in der Bildungslandschaft, fernab der Digitalisierung.
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Kinder lernen am besten, wenn sie sich für das Thema auch interessieren.
Schulsystem in Kritik: Gleichschritt und Leistungsdruck. Viele Schulen über- oder unterfordern Kinder und bereiten sie nicht ausreichend auf das Leben vor.
Alternative Lernansätze: Kinder lernen effektiver, wenn sie selbst Verantwortung übernehmen und ihren eigenen Interessen folgen dürfen, anstatt sich an starre Lehrpläne zu halten, sagt die Studienrätin und Schulbegründerin Peggy Kaminski.
Demokratische Schulstruktur: In der Freien Demokratischen Schule Friedland setzt man auf eigenverantwortliches Lernen, eine technikfreie Umgebung und eine Mitsprache aller Beteiligten – ohne feste Klassen oder Noten.
Vorbereitung auf das Leben: Neben Selbstverantwortung fördert die Schule gezielte praktische Erfahrungen, beispielsweise durch Kooperationen mit Unternehmen, um Schüler früh auf ihre Zukunft vorzubereiten.
Allmählich rücken die Sommerferien in greifbare Nähe. Während viele Lehrer der schulfreien Zeit entgegenfiebern, hat die Gymnasiallehrerin Peggy Kaminski aus Friedland in Mecklenburg-Vorpommern alle Hände voll zu tun. Die zweifache Mutter, Stadtvertreterin und aktuell tätige Studienrätin wagt einen Neubeginn mit einem Leuchtturmprojekt, wie sie es nennt, einer Freien Demokratischen Schule. Das Bildungsministerium hat den Betrieb unter Auflagen genehmigt. Ab September 2025 sollen hier etwa 25 Kinder von Klasse eins bis sieben altersübergreifend mit- und voneinander lernen, ganz ohne feste Klassenverbände, Klassenlehrer und Noten.
Schon zu Beginn ihrer Lehrerlaufbahn hatte die inzwischen 41-Jährige große Visionen. Doch was nach dem Studium kam, hatte Kaminski nicht erwartet. Epoch Times sprach mit ihr über die Herausforderungen in der Bildung und neue Ansätze, von denen Schüler, Lehrer und Eltern profitieren könnten.
Warum sind Sie Lehrerin geworden?
Meine Motivation war die Euphorie für die Sprache und für das Entdecken der Welt. Ich habe Geografie und Germanistik studiert. Wir haben unsere so wunderschöne deutsche Sprache, mit großartigen Dichtern wie Goethe und Schiller, die ich den Kindern näherbringen wollte. Geografie habe ich mir ausgesucht, weil Kinder diese bunte Welt entdecken sollen.
Doch dann kam es anders?
Nach dem Studium war ich in Nordrhein-Westfalen in einer Schule, in der ich erstmals soziale Verwahrlosung kennengelernt habe. Auf einmal stand ich vor ganz anderen Themen, auf die ich nicht vorbereitet war. Vom Schulischen her gab es zudem viele Vorgaben, was ich unterrichten musste. Die Kinder waren entweder über- oder unterfordert. So war es auch in Niedersachsen und Hamburg, wo ich später arbeitete.
Damals kamen Zweifel auf: Was brauchen die Kinder wirklich fürs Leben? Irgendwann wurde mir klar, dass Schule viel, viel mehr ist als Unterrichten.
Als ich vor vier Jahren in meine Heimat nach Friedland zurückkehrte, wo ich nicht mehr in der Oberstufe, sondern an einer Grundschule arbeitete, habe ich wirklich begriffen, was es heißt, wenn Kinder lernen – nämlich ganz anders, als wir es kennengelernt haben.
Können Sie das genauer erklären?
Kinder kommen mit so viel Neugier und Freude in die Schule. Sie wollen lesen, rechnen und schreiben lernen. Doch nach ein paar Wochen hörte ich dann von ihnen: „Schule ist blöd.“ In diesem Moment erinnerte ich mich an einen Abiturienten. Als ich ihn nach der mündlichen Prüfung fragte, was er vorhat, schaute er mich an und sagte: „Das weiß ich nicht.“ Wir haben diesen jungen Menschen 13 Jahre lang begleitet und konnten ihm nicht entlocken, wo sein Weg hingehen soll! Das fand ich sehr bedenklich. Schule müsste doch mehr leisten können als Wissen auf Knopfdruck.
Kinder lernen unterschiedlich, einer lernt schnell lesen, der andere das Rechnen. In der staatlichen Schule gibt es aber fast immer diesen Gleichschritt; alle müssen im selben Tempo lernen. Ich habe mich damit nicht wohlgefühlt und weiß auch von Kollegen, denen es ähnlich geht. Außerdem sind die Klassen so groß, dass man nicht jedem Schüler gerecht werden kann.
Zwar sieht man auch bei staatlichen Schulen, dass die Strukturen ein bisschen aufgebrochen werden, beispielsweise durch Gruppenarbeit und verschiedene andere Methoden. Aber das sind nur Leuchtpunkte, das durchzieht nicht den Schulalltag. Oft wird noch frontal unterrichtet. Der Lehrer sitzt vorn und erklärt den Schülern etwas: „Und jetzt macht ihr die Aufgabe XY!“
Schulmitbegründerin Peggy Kaminski ist davon überzeugt, dass Kinder mit Vertrauen und Impulsen eigenverantwortlich lernen können.
Foto: mit freundlicher Genehmigung von Peggy Kaminski
Wie kann man es besser machen?
Ich denke, dass wir unseren Kindern mehr vertrauen müssen. Sie wachsen selbst in diese Welt hinein. Sie haben selbst laufen, gehen und sitzen gelernt. Wenn es darum geht, sie kognitiv ein bisschen fitter zu machen, glauben wir Erwachsenen, dass wir ihnen alles von A bis Z erklären müssen. Ich bin der Meinung, das brauchen wir so in dem Maße nicht. Wir können sie in die Verantwortung nehmen. Kinder hören gern Geschichten und wollen sie auch ab einem bestimmten Zeitpunkt allein lesen können. Dann kommen sie und sagen: „Ich will die Buchstaben lernen.“ Ihnen wird dadurch klar, warum sie bestimmte Dinge lernen müssen.
Lernen funktioniert viel effektiver, wenn es den Kindern wichtig ist. Das Thema Geld beispielsweise interessiert einen Erstklässler genauso wie einen Sechstklässler. Man kann an Themen arbeiten, die aus dem Leben gegriffen sind, anstatt künstlich herangezogene Problemstellungen in den Unterricht zu bringen. Wir müssen Kinder fragen: „Was beschäftigt dich gerade? Wo können wir dich unterstützen, damit du die Sache für dich verstehst, um in der Welt zurechtzukommen?“
Außerdem müssen wir bedenken, dass es unterschiedliche Lerntypen gibt. Der eine lernt akustisch, der andere braucht es haptisch [zum Anfassen], der nächste braucht viel Optik. Der eine möchte jemanden an seiner Seite, der ihn unterstützt, der andere sagt: „Gib mir dazu ein Buch. Ich lese mir das alleine durch und wenn ich Fragen habe, frage ich dich.“ Die Kinder wissen selbst am besten, wie sie lernen. Dieses Vertrauen und diesen Freiraum sollten wir ihnen geben.
Lernen heißt, sich mit den Umständen und Einflüssen, die mich tagtäglich umgeben, zurechtzufinden – und zwar so, dass ich dabei gesund bleibe. Der Mensch lernt schließlich nonstop, denn er will sich weiterentwickeln.
Und wie ist das mit dem altersübergreifenden Lernen? Brauchen die Kinder da nicht die Anleitung von Erwachsenen?
Mich fragte einmal eine Mutter, wie das altersübergreifende Lernen in der Schule funktionieren soll. Ich sagte ihr: „Sie haben doch zwei Kinder. Garantiert haben Sie schon einmal gesagt, dass Ihr jüngeres Kind viel mehr kann, als es das Erste im selben Alter konnte. So läuft es auch in der Schule. Die Jüngeren schauen sich einfach von den Älteren ganz viel ab, holen sich Anregungen beziehungsweise lassen sich vieles erklären.“
Die Kleinen nehmen die Großen also in die Verantwortung. Und ganz nebenbei können die älteren Kinder dadurch erkennen, wie gut sie ein Thema verinnerlicht und wo sie selbst noch Lücken haben.
Ganz wichtig ist: In unserer Schule lernen die Kinder Selbstverantwortung. Das Kind hat bei uns immer die Fäden in der Hand. Wenn es glaubt, dass es zu wenig weiß, ist nicht der Lehrer oder jemand anderes schuld, sondern das Kind selbst reflektiert sich und sein Tun, um weiterzukommen. Hier stehen wir dem Kind zur Seite, wenn es das will. Wir geben auch Anregungen, damit es Impulse erhält, um sich weiterzuentwickeln und seine Kultur zu verstehen, in der es groß wird und hineinwächst.
Worin unterscheidet sich die von Ihnen gegründete Freie Demokratische Schule Friedland noch von anderen Schulen?
Wir sind eine demokratische Schule. Egal, ob Mentor oder ein Kind erster oder siebter Klasse, jeder kann in der sogenannten Schulversammlung mit abstimmen, was organisatorisch, finanziell und personell an unserer Schule geschieht. Und alle Stimmen sind gleichwertig. Somit schaffen wir gemeinsam eine Schule für und durch die Schüler und keine Schule mit Strukturen und Vorgaben, denen sie sich anpassen müssen.
Bei uns gibt es keine Klassen, keine festen Klassenlehrer, keinen festen Stundenplan und auch keine Noten. Wir vier Lehrkräfte – zwei in Vollzeit und zwei in Teilzeit – verstehen uns als Lernbegleiter der altersgemischten Gruppen der Klassenstufen eins bis sieben, in den nächsten Jahren dann aufbauend bis Klasse zehn. Es gibt niemanden, der vor einer Klasse steht, wie es beim Frontalunterricht üblich ist.
Bei uns gibt es Kurse. Die Kinder wählen ihre Mentoren [Lernbegleiter] selbst. Wenn sich ein Kind für einen Kurs interessiert, trägt es sich ein. Dieser Kurs ist dann aber auch verpflichtend. Die Kurse finden in den passenden Räumen statt, etwa dem Musik-, Kunst- oder Bibliotheksraum. Auch der Schulhof wird genutzt, beispielsweise im Rahmen eines Schulgartens.
Wir fragen das Kind: Welche Ziele hast du dir gesetzt? Was willst du lernen? Dadurch funktioniert das Lernen viel effektiver, viel schneller und viel nachhaltiger. Das Wissen verankert sich ganz anders, als wenn ein Kind etwas lernen muss, obwohl es sich nicht dafür interessiert.
An anderen Schulen wird Digitalisierung großgeschrieben. Wie läuft das bei Ihnen?
Wir sind eine technikfreie Schule – bis auf zwei PC-Plätze, die für Recherchen zur Verfügung gestellt werden. Müssen die Schüler einmal etwas recherchieren, können sie sich an diesen PCs einen Zeitblock buchen. Die Computerzeit ist begrenzt. Somit bringen wir sie weg vom Konsumieren durch PC und Videos hin zum gezielten Nutzen von Technik.
Bei uns lernen die Kinder mit allen Sinnen. Wir haben Bücher, Papier und viele Materialien zum Anfassen. Und fehlt ihnen einmal etwas, bringen sie ihren Wunsch inklusive Umsetzungsplan in die Schulversammlung ein, um ihn dort vorzustellen. Somit gestalten sie ihren Lernraum mit. Lernen bedeutet begreifen. Lernen bedeutet für uns, von- und miteinander zu lernen.
Dann wird bei Ihnen auch über ein Handyverbot diskutiert?
Wir sagen in allen Anmeldegesprächen gleich im Voraus, dass wir eine technikfreie Schule sind. Wir verstehen aber auch Eltern, die ihren Kindern ein Handy mitgeben, weil diese beispielsweise zweimal den Bus wechseln müssen oder Ähnliches. Kinder, die ein Handy dabeihaben, geben es morgens in der Schule im „Handyhotel“ ab. Dort bleiben die Handys, bis das Kind die Schule wieder verlässt.
Wenn wir wollen, dass Kinder von und miteinander lernen, müssen wir verhindern, dass sie alle stur auf eine Mattscheibe starren. Uns ist es wichtig, dass Kinder von- und miteinander lernen. Das bedeutet auch, dass sie lernen, mit Langeweile umzugehen und es keine Option ist, in diesem Fall das Handy zu zücken. In diesem Moment sind sie gefragt, sich etwas anderes einfallen zu lassen. In diesem Prozess finden die Kinder wieder das Gefühl zu sich selbst und lernen gleichzeitig, Verantwortung für ihre Zeit und ihr Handeln zu übernehmen.
Wie werden Sie bei Konflikten vorgehen?
Bei uns an der Schule wird es ein sogenanntes Justizgremium geben, das durch Schüler und einen Mentor besetzt ist. Dieses Gremium kommt an unserer Schule ein- bis zweimal in der Woche zusammen, je nach Bedarf. Das Prinzip läuft so: Jeder, dem auffällt, dass etwas in der Schule nicht wie vereinbart läuft, jemand Grenzen überschreitet und vereinbarte Regeln nicht einhält, gibt einen Beschwerdezettel ab. Das Justizgremium nimmt sich dieser Sache an und untersucht die Beschwerde: Der Beschuldigte sowie der Schüler, der sich beschwert, werden angehört. Im Anschluss werden Zeugen gehört. Dann geht die Beschwerde ins Justizgremium, in dem über die Beschwerde verhandelt wird.
Eine Beschwerde könnte so lauten: „Tom wäscht immer seine Sportschuhe im Waschbecken. Ich finde das eklig und habe ihm das schon ein paar Mal gesagt.“ Dann wird Tom angehört. Vielleicht liegen schon weitere Beschwerden vor. Dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass wir eine Regel brauchen, dass keine Sportschuhe im Waschbecken gewaschen werden dürfen.
Wer gegen diese Regel verstößt, muss mit Konsequenzen rechnen. Dann kommt es wie im realen Leben zu einer Art kleiner Gerichtsverhandlung. Da könnte es heißen: „Tom, weißt du, jetzt haben wir das sechsmal gesagt und dich verwarnt. Aber du hältst dich nicht an die Regel. Daher musst du eine Woche die Waschbecken säubern.“ Oder etwas Ähnliches. Die Strafe wird durch das Justizgremium festgelegt. Dadurch lernen Schüler, dass sie Regeln einhalten müssen und Verstöße Konsequenzen für sie haben.
Sie hatten das Beispiel des Abiturienten angesprochen, der nicht wusste, wie es weitergeht. Wie bereiten Sie Schüler auf den Berufseinstieg vor?
Wir sind talentorientiert und wollen Friedland als Bildungsstandort stärken. Wir wollen dafür sorgen, dass unsere Kinder hier bleiben. Deswegen suchen wir frühzeitig den Kontakt zu Unternehmen. Wenn beispielsweise ein Schüler unbedingt schweißen lernen will, suchen wir einen Betrieb dafür. Den Unternehmen wird dadurch die Möglichkeit gegeben, ihren Nachwuchs anzuwerben und einen innovativen Lehrling zu bekommen, der wirklich Spaß an der Sache hat. Hierfür suchen wir dann entsprechende Betriebe.
Wie sieht es mit staatlicher Unterstützung aus?
In Mecklenburg-Vorpommern bekommen freie Schulen in den ersten drei Jahren der Schulgründung keine finanzielle Unterstützung vom Land. Das ist auch die größte Herausforderung, vor der wir aktuell stehen. Daher suchen wir weiterhin Menschen, die bereit sind, unsere Bildungsinitiative finanziell zu unterstützen. Es war auch nicht ganz einfach, das Konzept durchzubekommen, weil wir ganz anders lernen. Das war ein bisschen kräftezehrend. Die Genehmigung, die wir nun vor Kurzem erhalten haben, wurde zudem an drei Bedingungen geknüpft. Eine davon ist, dass wir nachweisen müssen, dass wir uns reformpädagogisch weiterbilden, obwohl wir alle komplett ausgebildete Lehrkräfte sind, die im staatlichen Schuldienst gearbeitet haben und ausgebildet wurden. Die anderen beiden Bedingungen sind eine ausreichend hohe Summe zur Sicherstellung des Schulbetriebs und die Baugenehmigung für die Raumcontainer, in denen die Lernräume entstehen sollen.
Uns allen ist klar, dass es eine Lebensaufgabe ist, eine Schule zu gründen. Seit nunmehr eineinhalb Jahren bringe ich gemeinsam mit Kerstin Baumgartner [die andere Mitbegründerin der Schule] die FDS Friedland auf den Weg – neben meinem Vollzeitjob als Lehrerin an einer staatlichen Schule und meiner Familie mit zwei Kindern. Unsere Arbeitsverträge laufen im Sommer aus. Hinter uns liegen eineinhalb Jahre mit quasi einem zweiten Vollzeitjob. Uns ist bewusst, worauf wir uns eingelassen haben – und wir freuen uns darauf. Wir nehmen die Herausforderung mit all ihrem Auf und Ab an, denn wir wollen unseren Kindern den Rücken stärken, damit sie die Freude am lebenslangen Lernen behalten!
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Susanne Ausic.
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.