Kurzsichtigkeit: Raubt Technik unser Sehvermögen?

Immer mehr Menschen leiden unter Kurzsichtigkeit. Auffällig ist, dass die Betroffenen immer jünger werden – was zu erwarten ist, wenn man die Gründe betrachtet.
Die Kurzsichtigkeit nimmt heute epidemische Ausmaße an. Zu viel Bildschirmzeit und zu wenig Zeit im Freien gelten als die Verursacher. Foto: AntonioGuillem/iStock
Kurzsichtigkeit nimmt heute epidemische Ausmaße an. Zu viel Zeit vor dem Bildschirm und zu wenig im Freien gelten als die Hauptgründe.Foto: iStock
Von 4. Dezember 2022

Die Kurzsichtigkeit (Myopie) ist weltweit auf dem Vormarsch. Bis vor Kurzem galt sie als ursprünglich genetisch bedingt. [1] Doch heute tritt sie immer öfter bei Kindern und Jugendlichen auf – und es gibt eine Debatte darüber, was der Grund für diese Veränderung sein könnte.

Menschen mit Kurzsichtigkeit sehen Objekte in der Ferne verschwommen, in der Nähe jedoch klar. Dieser Umstand ist auf verlängerte Augäpfel zurückzuführen – eine anatomische Veränderung, die unumkehrbar ist und das Risiko ernsthafter Sehprobleme erhöht, insbesondere im späteren Leben.

Diese Form der Fehlsichtigkeit trat in den letzten Jahrzehnten immer öfter auf, vor allem in Ostasien. Laut Prognosen wird die Anzahl der kurzsichtigen Menschen weltweit in den nächsten 50 Jahren weiter steigen.

Epidemie der Kurzsichtigkeit

Im Jahr 2019 gründete der US-Berufsverband von Augenärzten American Academy of Ophthalmology (AAO) die Arbeitsgruppe „Task Force on Myopia“, um den „erheblichen weltweiten Anstieg der Kurzsichtigkeit und die damit verbundenen Komplikationen“ anzugehen. [2]

In einem Bericht der Arbeitsgruppe heißt es, dass im Jahr 2000 rund 1,406 Milliarden Menschen oder 22,9 Prozent der Weltbevölkerung kurzsichtig waren. Im Jahr 2050 wird diese Zahl auf 4,758 Milliarden Menschen ansteigen. Das entspreche dann knapp der Hälfte der Bevölkerung. Auch die starke Kurzsichtigkeit oder hohe Myopie, Werte ab minus sechs Dioptrien, werde voraussichtlich von 163 Millionen Menschen (2,7 Prozent der Bevölkerung) im Jahr 2000 auf 938 Millionen Menschen (9,8 Prozent der Bevölkerung) im Jahr 2050 ansteigen.

Unter einigen Bevölkerungsgruppen in Asien sind bereits heute über 90 Prozent kurzsichtig. Dies betrifft insbesondere Studenten. [3] Unter den jungen Erwachsenen in Ost- und Südostasien tritt Kurzsichtigkeit bei 80 bis 90 Prozent und starke Kurzsichtigkeit bei zehn bis 20 Prozent auf. Seit Langem wird angenommen, dass zu viel „Naharbeit“ die Sehschwäche fördert. [4] Unter Naharbeit versteht man längeres konzentriertes Schauen auf ein Objekt, das weniger als 30 Zentimeter entfernt ist. Daneben gilt das ständige Starren auf Bildschirme als einer der Hauptverursacher. [5]

Dass Menschen immer früher unter Kurzsichtigkeit leiden und das Leiden immer stärker fortschreitet, verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Leicht könnte das zu einer „Epidemie von hoher Myopie“ führen, sogar bei Kindern im Alter von elf bis 13 Jahren. [4]

Beträchtliches Risiko der Erblindung

Dr. Michael Repka, Professor für Augenheilkunde an der Johns Hopkins University, befürchtet gegenüber „The Atlantic“ sogar „eine Epidemie der Erblindungen“. [5] Bereits jetzt haben nach Angaben der AAO 3,8 Prozent der 75-Jährigen mit Kurzsichtigkeit und 39 Prozent jener mit hoher Kurzsichtigkeit eine „nicht mehr zu behebende Sehbehinderung“. [2] Mit anderen Worten: Kurzsichtigkeit erhöht das Risiko von Erkrankungen, die zu einer dauerhaften Erblindung führen können – selbst dann, wenn die Kurzsichtigkeit gering bis mittelstark ausgeprägt ist. Dazu gehören Erkrankungen wie Netzhautablösung sowie Grauer und Grüner Star. [3]

Die AAO erklärte, dass die weitreichenden klinischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der zunehmenden Ausbreitung der Kurzsichtigkeit eine „koordinierte globale Antwort“ [2] erfordern, zumal die Entwicklung umso schneller fortschreitet, je jünger die Betroffenen beim Einsetzen der Krankheit sind. [6]

In Hochrisikogebieten werde die unkorrigierbare Sehbehinderung durch Myopie bis zum Jahr 2055 um das 7- bis 13-Fache ansteigen, fügte die AAO hinzu. Das werde nicht nur zu höheren Kosten im Gesundheitswesen führen, sondern auch zu „sozioökonomischen Auswirkungen und einer verminderten Lebensqualität, die mit Sehbehinderungen einhergehen“.

Technik verändert, wie wir unsere Augen nutzen

Der Anstieg der Kurzsichtigkeit ist ein besorgniserregender Trend, der weit über die unbequeme Notwendigkeit einer Brille hinausgeht. Tatsache ist, dass die Technologie in unser Leben eingedrungen ist und wir sie in vielen Fällen von morgens bis tief in die Nacht nutzen. In nur kurzer Zeit veränderte dies die Art und Weise, wie der Mensch seine Augen nutzt.

„Vor langer Zeit waren Menschen Jäger und Sammler“, erklärte Liandra Jung, eine Optikerin aus San Francisco, gegenüber „The Atlantic“. „Wir verließen uns auf unsere scharfe Fernsicht, um Beute zu verfolgen und reife Früchte zu finden. Unser modernes Leben spielt sich im Nahbereich und in geschlossenen Räumen ab.“ Essen könne einfach bestellt werden. Dazu heißt es weiter:

„In der Vergangenheit bemerkten britische Ärzte, dass Kurzsichtigkeit bei Oxford-Studenten und in ‚strengeren‘ städtischen Schulen viel häufiger vorkam als bei Militärrekruten und in ländlichen Schulen. In einem Handbuch für Augenheilkunde aus dem späten 19. Jahrhundert wurde sogar empfohlen, Kurzsichtigkeit mit einem Urlaub und dem Vermeiden jeglicher Arbeit für die Augen zu behandeln – ‚eine Seereise, wenn möglich‘.“

Kurzsichtigkeit ausbremsen

Da die Kurzsichtigkeit bei kleinen Kindern zunimmt, werden Behandlungen – jenseits von Kreuzfahrten – immer häufiger. In den USA schossen Kliniken zur Myopiekontrolle in wohlhabenden Gegenden aus dem Boden. Auch in China sind sie weit verbreitet. Suchergebnisse belegen, dass dieses Konzept auch in Deutschland angekommen ist.

Die Myopiekontrolle zielt darauf ab, die Verlängerung der Augäpfel zu verlangsamen, die bei Kurzsichtigkeit auftritt. [6] Zu den Behandlungsmethoden gehören Atropin-Augentropfen, weiche Gleitsichtkontaktlinsen und Orthokeratologie-Linsen (Ortho-K), die über Nacht getragen werden. Ortho-K sind Kontaktlinsen, die die klare vordere Schicht des Augapfels neu formen. Dadurch verändert sich der Lichteinfall in das Auge, was die Sehkraft verbessert. [5]

China ergriff darüber hinaus weitreichende Maßnahmen, um den wachsenden Trend zur Kurzsichtigkeit bei Kindern zu bekämpfen. Neben der Einschränkung von Videospielen werden vor der dritten Klasse keine schriftlichen Tests mehr durchgeführt. Es werden sogar Metallstangen an Schulbänke angebracht, damit die Kinder nicht zu nah an ihre Materialien kommen.

Allerdings vermag keine dieser Behandlungsmethoden, die Kurzsichtigkeit zu heilen – sie können lediglich ihr Fortschreiten verlangsamen. Vorbeugung ist der bessere Weg, besonders bei kleinen Kindern.

Mehr Bildschirm, weniger Frischluft

In der Fachzeitschrift „Progress in Retinal and Eye Research“ benannte ein Expertenteam intensive Bildung (das heißt mehr Lernen) und wenig Zeit im Freien als Hauptrisikofaktoren. Randomisierte klinische Studien zeigten, dass mehr Zeit an der frischen Luft während der Schule das Auftreten von Myopie verhindert. [4] Daraus leiteten die Forscher zwei Forderungen ab:

  1. Schülern mehr Zeit im Freien zu ermöglichen. 
  2. Das Schulsystem zu reformieren, um „den Leistungsdruck in jungen Jahren zu verringern“.

Dazu erklärte die AAO: „Zu viel Zeit in geschlossenen Räumen erhöht für Kinder das Risiko, kurzsichtig zu werden. Studien zeigen, dass mehr Zeit im Freien bei Tageslicht das Risiko verringert.“ [1] In ähnlicher Weise beschrieben französische Forscher „Aktivitäten im Freien“ als eine der vielversprechendsten Behandlungsmethoden für Kurzsichtigkeit bei Kindern. [7]

Angesichts dessen ist es wenig verwunderlich, dass im Jahr 2020 die Anzahl der Betroffenen stark anstieg. Menschen, die ohnehin schon wenig Zeit im Freien verbrachten, wurden – gezwungenermaßen – noch mehr zu Stubenhockern. Im Jahr 2020 erhöhte sich die Anzahl der kurzsichtigen Kinder im Alter von sechs bis acht Jahren im Vergleich zu den fünf Jahren davor um das 1,4- bis 3-Fache. [8]

„Das [Fortschreiten der Kurzsichtigkeit] könnte sich möglicherweise während der COVID-19-Pandemie und darüber hinaus verschlimmern“, schlussfolgern die Autoren einer anderen Studie. [9]

Eine weitere Gefahr: Blaulicht

Die Bildschirmzeit ist jedoch nicht das einzige Problem, auch das blaue Licht der Bildschirme ist gefährlich. Wie die Europäische Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE) auf ihrer 60. Jahrestagung zeigte, setzt die Pubertät bei Ratten, die über eine lange Zeit Blaulicht ausgesetzt sind, früher ein. Außerdem verringert sich der Melatoninspiegel (Schlafhormon), während sich der Spiegel bestimmter Fortpflanzungshormone erhöht und es zu Veränderungen an den Eierstöcken kommt. [10]

Leuchtdioden (LEDs), die in vielen Bildschirmen zu finden sind, geben so gut wie kein wohltuendes Infrarotlicht, aber dafür umso mehr blaues Licht ab. Dieses erzeugt reaktive Sauerstoffverbindungen (Sauerstoffradikale), die die Sehkraft beeinträchtigen und möglicherweise eine altersbedingte Makuladegeneration (AMD) verursachen – eine Erkrankung des Zentrums der Augennetzhaut [11] und Hauptursache für schwere Sehbehinderungen bei älteren Menschen.

„Obwohl die Ergebnisse nicht endgültig sind, raten wir dazu, die Verwendung von Geräten, die blaues Licht ausstrahlen, bei Kindern in der Vorpubertät zu minimieren – insbesondere am Abend, wenn die Belastung die meisten hormonverändernden Auswirkungen haben kann“, erklärte Dr. Aylin Kilinç Uğurlu in einer Pressemitteilung der ESPE. [10]

Wer also abends Zeit am Bildschirm verbringt, sollte seine Blaulichtbelastung verringern. Für Computer gibt es verschiedene Programme, die das Blaulicht reduzieren. Wer fernsieht oder andere Bildschirme nutzt, sollte nach Sonnenuntergang eine Brille tragen, die das Blaulicht filtert. Noch besser ist es, nach Anbruch der Dunkelheit ganz auf Bildschirme zu verzichten – vor allem für kleine Kinder, die für ihre schädlichen Wirkungen besonders anfällig sind.

Über den Autor

Dr. Joseph Mercola ist der Gründer von Mercola.com. Er ist Osteopath und Bestsellerautor. Außerdem erhielt er mehrfach Auszeichnungen auf dem Gebiet der natürlichen Heilkunde.

Dieser Artikel erschien im Original auf mercola.com unter dem Titel: Is Technology Stealing Your Eyesight? (redaktionelle Bearbeitung as, ger)

Quellen und Literatur

[1] David Turbert, AAO (2022); Nearsightedness: What Is Myopia?

[2] Modjtahedi et al. (2021); doi.org/10.1016/j.ophtha.2020.10.040

[3] T A Aller (2013); doi.org/10.1038/eye.2013.259

[4] Morgan et al. (2017); doi.org/10.1016/j.preteyeres.2017.09.004

[5] Sarah Zhang, The Atlantic (2022); The Myopia Generation

[6] AOA (2021); Clinical Report: Myopia Management

[7] Bremond-Gignac (2020); doi.org/10.1051/medsci/2020131

[8] Wang et al. (2021); doi.org/10.1001/jamaophthalmol.2020.6239

[9] Wong et al (2020); doi.org/10.1016/j.ajo.2020.07.034

[10] ESPE (2022); eurekalert.org/news-releases/964236

[11] Cleveland Clinic (2019); Are LED Lights Damaging Your Retina?



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion