Merkels Verzichtspolitik: Seit 2005 keine Deutschen mehr an der Spitze bedeutender Institutionen

Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass Manfred Weber nicht die erforderliche Rückendeckung als EU-Kommissionspräsident finden würde, machte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für den noch massiveren Wahlverlierer Frans Timmermans stark. Publizist Gabor Steingart sieht in Merkels Amtszeit ein System gezielter Leisetreterei.
Titelbild
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Veranstaltung im Amtssitz des Bundespräsidenten, Schloss Bellevue.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 1. Juli 2019

Von Griechenland über die Türkei, die USA, die Russische Föderation, Österreich, Polen, Israel oder Ungarn bis hin zu Italien, wohin deutsche Spitzenpolitiker derzeit ihre Wortspenden ob der Festnahme der „Sea Watch 3“-Kapitänin Carola Rackete richten: Es gibt eine Vielzahl europäischer und außereuropäischer Länder, in denen Deutschlands Regierung und erst recht die Medien als arrogant, schulmeisterhaft, aufdringlich und größenwahnsinnig wahrgenommen werden.

Wenn es um die offensive Ansprache „universeller Werte“ gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Übeltätern geht, ist der deutsche Musterschüler überaus maßregelungseifrig – Ausnahmen wie der Iran oder die Palästinenserorganisationen, wo man dies erfahrungsgemäß etwas lockerer nimmt, bestätigen die Regel.

„Die unsichtbare Nation“

Demgegenüber ist Berlin hingegen ausnehmend handzahm, so fällt es dem Publizisten und Medienmanager Gabor Steingart auf, wenn es darum geht, greifbare eigene Vorteile und Interessen zu verfolgen. Dies zeige sich, schreibt er in seinem „Morning Briefing“ vom Montag (1.7.), insbesondere daran, dass Deutsche in den vorangegangenen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, weder auf europäischer noch auf internationaler Ebene Spitzenposten bekleidet hätten.

Deutschland sei, so Steingart, die „unsichtbare Nation“. Besonders auffällig sei dies in der Ära Angela Merkel gewesen. Als den letzten Deutschen in einer internationalen Spitzenposition betrachtet der Publizist Ex-Bundespräsident Horst Köhler, der zuvor von Merkel-Vorgänger Gerhard Schröder als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchgesetzt worden wäre.

Angela Merkel glaubt offenbar, dass man dem deutschen Interesse am besten dadurch dient, dass man es nicht durchsetzt“, schreibt Steingart.

Der jüngste „Coup“ Merkels wäre in diesem Zusammenhang, dass sich nach derzeitigem Stand kein deutscher Vertreter in der Exekutive der EU wiederfinden würde. Ob, wie jüngst kolportiert, Ursula von der Leyen als Hohe Beauftragten der EU für Außenpolitik vorgesehen ist, war zum Zeitpunkt der Abfassung des Morning Briefings noch nicht spruchreif.

Steingart kritisierte bereits, wie bereitwillig Merkel angesichts der fehlenden Bestätigungsaussichten des EVP-Kandidaten Manfred Weber im Europäischen Parlament einer Übernahme des Postens des Kommissionspräsidenten durch den Sozialisten Frans Timmermans zugestimmt hat – obwohl dessen Sozialdemokraten mit der SPE bei den EU-Wahlen noch deutlichere Stimmenverluste erlitten hatte als die Bürgerlichen.

Spitzenkandidaten-Prinzip auf Kosten des Demokratieprinzips behauptet

Offenbar, so Steingart, wollte Merkel das Spitzenkandidaten-Prinzip retten, das komplett zur Lachnummer geworden wäre, wären jemand als Kommissionspräsident zum Zug gekommen, der sich zuvor nicht einmal für das Amt empfohlen hatte. So sollte eben der Spitzenkandidat der zweitstärksten Partei zum Zuge kommen.

„Aber sie hat heute Nacht zugleich das demokratische Prinzip verraten“, meint Steingart. „Man muss kein Demokratieforscher sein, sondern nur die Chatrooms der großen Medienportale durchstreifen, um die abstoßende Wirkung solcher Art Hinterzimmer-Geschäfte auf das Publikum zu erfassen. Die ARD – daran erkennt man den treuen Johann des Parteienstaates – schloss kurzerhand auf ihrem Webportal die Kommentarfunktion, weil sich dort partout keine für Merkel günstige Sicht einstellen wollte.“

In den 14 Jahren Amtszeit habe Merkel weder einen Kommissionspräsident noch einen Ratspräsidenten noch einen EZB-Präsidenten, geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds, Weltbank-Präsidenten oder Präsident des Europäischen Gerichtshofs mit einem Deutschen besetzen können – obwohl das zahlenmäßig größte und ökonomisch bedeutendste Land Europas geeignete Kandidaten präsentieren hätte können.

Man habe fast das Gefühl, die Kanzlerin „geniert sich nicht nur ob der ökonomischen Kraft des Landes“, sondern sei „sogar bereit – zum Beweis unserer Harmlosigkeit – diese zu beschädigen“. Dies, so Steingart, zeige sich daran, dass die EZB in den Händen von Staaten sei, die im Bereich der Schuldenpolitik das glatte Gegenteil dessen verfolge, was Deutschland mühsam im Bereich der Stabilitätspolitik erkämpft habe.

„Wer Europa liebt und dafür die Nation verrät, verliert beides“

Die Einhaltung des Stabilitätspaktes sei ein Minderheitenprogramm geworden, Merkel betreibe den Zerfall nicht, aber sie lasse ihn geschehen:

„Im Durchschnitt liegt der Verschuldungsgrad in der Eurozone bei 85 Prozent des jährlichen gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich oberhalb dessen, was der Stabilitätspakt erlaubt: Legal, illegal, scheißegal. Die regelbasierte Weltordnung, die mittlerweile jeder Hinterbänkler gegenüber Trump anmahnt, wurde für Europa suspendiert. Wie angesichts dieser Gleichgültigkeit nun ein Defizitverfahren gegen Italien (Verschuldungsgrad: 132 Prozent) angestrengt werden kann, ist juristisch und politisch mehr als fragwürdig. Der Dieb hält den Dieb nicht.“

Für die Koalitionsparteien gebe es jetzt einen Handlungsauftrag:

Wenn die großen Fraktionen im Bundestag sich nicht nur als Nickgemeinschaft der Regierungschefin verstehen, sollten sie die Kanzlerin noch in dieser Woche ein- oder besser vorladen. Merkels 14 Jahre währende Verzichtspolitik ist spätestens jetzt erklärungspflichtig.“

Wer Europa liebt und dafür die Nation verrate, werde am Ende beide verlieren, heißt es bei Steingart weiter. Ein großtönendes Deutschland sei nicht wünschenswert, allerdings auch keines, das sich sogar seines eigenen Spitzenpersonals schäme.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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