Polizei abschaffen oder finanzieren? Minneapolis muss im November entscheiden

Wenn die Bürger mit Ja stimmen, wird die Polizeibehörde von Minneapolis aufgelöst und durch eine Abteilung für öffentliche Sicherheit ersetzt.
Titelbild
Menschen tragen Schilder während eines „Defund the Police“-Marsches vom King County Youth Jail zum Rathaus in Seattle, Washington, am 5. August 2020.Foto: JASON REDMOND/AFP via Getty Images
Von 7. September 2021

Eineinhalb Jahre nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten werden die Einwohner von Minneapolis über den bisher gewagtesten Reformversuch der Stadt abstimmen: Die Polizeibehörde soll durch eine neue namens „Department of Public Safety“ (zu Deutsch: Behörde für öffentliche Sicherheit) ersetzt werden.

Auf dem Stimmzettel für die allgemeine Bürgermeister- und Stadtratswahl im November werden Wähler zusätzlich gefragt, ob sie für die Auflösung des Minneapolis Police Department sind und eine entsprechende Änderung der Verfassung befürworten. Die Wähler werden gebeten, mit Ja oder Nein zu antworten.

„Das Polizeisystem ist marode“

Für viele ist die Frage, wie man mit Polizeigewalt umgeht und die öffentliche Sicherheit bewahrt, nicht einfach zu beantworten. „Die Sache ist die, dass ich die Polizei unterstützen möchte“, sagt ein Mann in US-Marine-Maske zu „MotherJones“. „Aber ich will nicht Leute wie diesen Idioten unterstützen, der vor Gericht steht“, sagt er und bezog sich dabei auf den Polizisten Derek Chauvin, der Floyd getötet hat.

„Ich denke, was uns 2020 gezeigt hat, ist, dass unser Polizeisystem unglaublich marode ist“, sagt Munira Mohamed, Mitarbeiterin der Amerikanischen Bürgerrechtsunion in Minnesota. „Schauen Sie sich die Ursachen für Gewalt in den Gemeinden an. Meist sind es Wohnraum oder Armut.“ Dafür sei die Polizei nicht ausgelegt, deswegen ergibt aus ihrer Sicht ein „polizeiliches Modell der öffentlichen Sicherheit keinen Sinn“.

Wonsley Worlobah, eine farbige Anhängerin der Demokratischen Partei, räumte ein, dass die Stadt vielleicht „eine bewaffnete Truppe braucht, die verstärkt auf Gewaltverbrechen reagieren kann, aber wir müssen trotzdem militärische Waffen abschaffen“. 

Die 29-jährige Aktivistin, die für den Stadtrat in Minneapolis kandidiert, geht mit ihrem Argument noch einen Schritt weiter und interpretiert das Wort „öffentliche Sicherheit“ ganz neu: „Wir sprechen über Mietpreiskontrolle. Wir sprechen über die Besteuerung der Reichen, um unsere Schulen zu finanzieren – das ist Teil der öffentlichen Sicherheit. Öffentliche Sicherheit bedeutet, dafür zu sorgen, dass Ihre Nachbarn in ihren Gemeinden bleiben können und nicht in Obdachlosenunterkünften oder in unseren Parks landen.“

Minneapolis ist seit über einem Jahr Epizentrum einer nationalen Bewegung, die die öffentliche Sicherheit in den USA neu definieren will. Die Idee, die Polizei durch eine Sicherheitsbehörde zu ersetzen, wurde von mehreren Stadtratsmitgliedern und der „Yes4Minneapolis“, einer Koalition von 34 lokalen Unternehmen, Organisationen und Glaubensgemeinschaften, vorangetrieben.

Die Koalition hat mehr als 22.000 Unterschriften zur Unterstützung der Reform gesammelt – in einer Stadt, wo laut Ratsmitgliedern petitionsgestützte Gesetzesänderungen eher selten sind.

Behörde untersteht dem Stadtrat

Die neue Behörde soll ein integriertes System von ausgebildeten medizinischen und psychosozialen Krisenspezialisten und Sozialarbeitern als Ersthelfer neben Polizei und Feuerwehr schaffen. Durch die Änderung würde auch der Passus in der aktuellen Satzung gestrichen, der eine Mindestanzahl von Polizeimitarbeitern vorschreibt. Außerdem würde die Behörde dem 13-köpfigen Stadtrat und nicht dem Bürgermeister und dem Polizeichef unterstellt.

Doch um die neue Sicherheitsbehörde durchzubekommen, benötigen die Initiatoren im November mehr als die Hälfte der Stimmen, was kein leichtes Unterfangen sein wird. Zu den Gegnern des Änderungsantrags gehören Bürgermeister Jacob Frey und eine Gruppe von Aktivisten, die für die Polizei eintreten und sich „Operation Safety Now“ nennen, schreibt „Vice“. Sie argumentieren, dass die Verschiebung von Geldern die Waffengewalt weiter verschlimmern wird, weil die Polizei dadurch weniger Ressourcen zur Verfügung haben wird.

„Es heißt nur noch: Polizei abschaffen oder Polizei finanzieren? Es ist weit komplexer als das, aber ich denke, das wirft Probleme auf“, sagt Tim Walz, Gouverneur von Minnesota. Der Demokrat glaubt nicht, dass man diese Frage auf dem Stimmzettel klären sollte. „Ich denke, es gibt andere Möglichkeiten, das zu tun.“

JaNae Bates, einer der Initiatoren der Abstimmung, glaubt nicht, dass die Menschen in Minneapolis die Polizei unbedingt abschaffen oder reformieren wollen. „Es sind Leute, die sagen: ‚Ich will Sicherheit.‘“. Sie wollen, dass Personen, die bei einer Krise zu Hilfe eilen, deeskalieren statt gleich mit Gewalt zu reagieren.

Die Organisatoren sagen, sie gehen nicht von Tür zu Tür, um zu fragen, „Würden Sie eine Petition zur Abschaffung der Polizei unterschreiben?“. „Was wir fragen, ist: Sollten wir Berater anstelle der Schulpolizei einstellen? Sollten wir Strategien für die öffentliche Gesundheit entwickeln, um mit Drogenproblemen umzugehen?“ Dafür würden sie eine breite Unterstützung bekommen.

Allerdings wird den Wählern die Frage im November genau so präsentiert. Sie müssen entscheiden, ob die Polizeibehörde erhalten bleiben soll.

Atlanta baut Trainingszentrum für die Polizei

Eine Zeit lang sah es auch in Atlanta so aus, als würde das demokratische Establishment in der überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadt Polizeireformen durchführen. Im Juli diskutierte der Stadtrat darüber, 70 Millionen US-Dollar aus dem Polizeibudget zu streichen, schreibt „The Daily Beast“. Sie sollten zu einer Neuausrichtung der Polizeiarbeit beitragen.

Doch kürzlich änderte sich die Lage. Die Stadtverwaltung hat nicht nur das Budget für die Polizei um 7 Prozent erhöht, sondern auch grünes Licht für ein neues Trainingszentrum für die Polizei gegeben. 

Die Anlage liegt auf einem 85 Hektar großen Gelände und soll 90 Millionen US-Dollar kosten. Sie soll hochmoderne Sprengstofftestbereiche, Schießstände und eine Stadtattrappe haben. 

Wie kam es dazu, dass sich die Haltung der Stadtverwaltung um 180 Grad geändert hat? Das Zentrum wird von Investoren unterstützt, vor allem von der „Atlanta Police Foundation“. Diese wird wiederum von örtlichen Geschäften finanziert und ist in der Region politisch sehr einflussreich. 

Nachdem die Interessengruppe darauf hingewiesen hatte, dass Gewaltbrechen in Atlanta zugenommen haben und das Zentrum dringend notwendig sei, war die Sache praktisch besiegelt.

Die Befürworter der Polizeireformen sind enttäuscht. Kamau Franklin, Gründer einer örtlichen Gemeinschaft, die sich gegen Polizeibrutalität in der Stadt einsetzt, hat sowieso nicht daran geglaubt, dass Atlanta „ernsthaft“ eine Abschaffung der Polizei in Betracht ziehen würde. „Aber die Idee dieses Ausbildungszentrums steht in direktem Gegensatz zu den Gesprächen, die wir geführt haben“, sagte er.

Andere Aktivisten sind nicht gegen das Zentrum selbst, sondern gegen die Art und Weise, wie der Polizeistiftung erlaubt wurde, die Führung des Projekts zu übernehmen.

Michael Bond, ein Stadtrat, der das Ausbildungszentrum unterstützt, glaubt, dass es nach seiner Eröffnung in drei bis fünf Jahren einen großen Fortschritt bei der Rekrutierung und Einstellung qualifizierterer Polizeibeamter bringen wird. Allerdings räumte er auch ein, dass es die Kriminalität nicht auf magische Weise verringern wird.

Dennoch ist er überzeugt, dass es die Situation wesentlich verbessern wird. „Letztendlich wird die Polizeiarbeit besser werden“, sagte Bond. „Wird es einen sofortigen Effekt auf die Kriminalitätsrate haben? Wahrscheinlich nicht. Aber ich bin sicher, dass es die Moral der Menschen, die derzeit in der Stadt Polizeiarbeit leisten, verbessern wird.“

90 Prozent wollen Reformen

Eine landesweite Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Amerikaner Reformen wünscht, aber die Polizei behalten will. Dem Marktforschungsunternehmen Ipsos zufolge glauben zwar gerade mal 22 Prozent der Amerikaner, dass die Polizei alle Amerikaner gleichbehandelt, die Abschaffung der Polizei wollen jedoch weniger als ein Viertel – und nur jeder dritte Demokrat.

Die Mehrheit mit 90 Prozent würde allerdings polizeiliche Reformbemühungen unterstützen. Solche wie Trainings zur Deeskalation, mehr bürgernahe Polizeiarbeit und soziale Dienste sowie die unabhängige Untersuchung von Polizeischießereien. 72 Prozent der Befragten haben eine positive Meinung von der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden.

In der Umfrage haben 77 Prozent angegeben, dass sie den Einsatz von mehr Polizeibeamten auf der Straße befürworten und 70 Prozent wollen ihre Budgets sogar erhöhen. Die Umfrage wurde von 29. Juni bis 6. Juli 2021 mit 1.201 Teilnehmern durchgeführt.

Biden will mehr Polizisten

US-Präsident Joe Biden verhält sich zu der Frage eher zurückhaltend und stellte in den letzten Monaten öfter klar, dass er gegen die Bewegung „Defund the Police“ ist. „Ich kenne keine Gemeinden, insbesondere nicht die bedürftigsten, ärmsten und am stärksten gefährdeten, die keine Polizei wollen“, sagte er im Juli.

Biden präsentiert sich als Reformer der Strafjustiz und zugleich als Freund fleißiger Polizisten. Die Polizisten hätten echte Probleme, aber nicht alle seien „böse“, es gebe „eine Menge guter Jungs“.

„Wir brauchen Regeln, mit denen wir ermitteln können, wie oft ein Polizist gegen die Regeln verstoßen hat“, so Biden. Er plädiert für mehr Polizisten, nicht weniger, „aber wir brauchen sie in der Gemeindepolizei“.

Biden fordert zudem mehr Offenheit seitens der Polizei. Er will wissen, was in den Polizeibehörden vor sich geht, damit sich das Justizministerium einschalten kann.

Der ehemalige Präsident Donald Trump hat die Bewegung „Defund The Police“ als eine vorübergehende „Marotte“ betitelt und sich entschieden dagegen gestellt. „Wir werden unsere Polizei nie und nimmer abschaffen“, sagte er vor einem Jahr. Seine Einstellung hat sich auch unter dem neuen Präsidenten nicht geändert. Er kritisierte erst vor wenigen Wochen New York, Detroit und San Francisco, dass sie wegen der Schwächung der Polizei „zu einem Paradies für Kriminelle geworden“ seien.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung.



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