Logo Epoch Times
Europäische Erfahrungen

Boris Palmer fordert „pragmatischen Umgang“: AfD soll begrenzt Regierungsverantwortung übernehmen

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer stellt angesichts steigender AfD-Umfragewerte die bisherige Abgrenzungsstrategie infrage. Er fordert, die Partei begrenzt in politische Verantwortung einzubinden, um einer möglichen absoluten Mehrheit in den kommenden Jahren vorzubeugen. Ein Verbotsverfahren hält er für wenig aussichtsreich.

top-article-image

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Parteilos, l.) kommt zu seiner Diskussionsrunde mit dem AfD-Landesvorsitzenden Frohnmaier zum Austragungsort, der Hermann-Hepper-Halle, vor der eine Demonstration der Linken gegen die AfD stattfindet.

Foto: Christoph Schmidt/dpa

author-image
Artikel teilen

Lesedauer: 7 Min.


In Kürze:

  • Palmer bezweifelt Erfolg einer Allparteienkoalition gegen die AfD in Sachsen-Anhalt 2026.
  • Er empfiehlt ein begrenztes Koalitionsangebot – unter Führung der CDU.
  • Ein AfD-Verbotsverfahren hält er für chancenlos und potenziell kontraproduktiv.
  • Europäische Beispiele zeigen: Regierungsbeteiligungen können rechte Parteien schwächen – aber nicht zwingend.

 
Angesichts anhaltend hoher Umfragewerte für die AfD hat Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer erneut gefordert, die Partei in Regierungsverantwortung zu bringen.
Er gab am Mittwoch in der Talksendung „Maischberger“ in der ARD seiner Befürchtung Ausdruck, eine Allparteienkoalition gegen die AfD wäre nicht in der Lage, gute Politik zu machen. So könne die AfD spätestens 2031 eine absolute Mehrheit erreichen. Als Gegenrezept empfahl er eine Flucht nach vorn:
„Dann ist die Alternative, zu fragen: Kann man die AfD, ohne zu große Risiken für unsere Verfassung in Kauf zu nehmen, begrenzt in Verantwortung nehmen? Ich gehe da pragmatisch ran.“
Palmer forderte ein konkretes Regierungsangebot an die Partei. Allerdings solle die CDU den Ministerpräsidenten stellen und auch verfassungssensible Ministerien wie das Innen- oder Justizressort übernehmen. Darüber hinaus werde nach dieser Vorstellung „der AfD ein sehr klares Koalitionsangebot gemacht, und dann gucken wir mal, was wirklich passiert, wenn die mitregieren“.
Im Oktober hatte eine Umfrage von INSA Aufsehen erregt, der zufolge die AfD in Sachsen-Anhalt mit 40 Prozent der abgegebenen Stimmen rechnen könne. Eine Regierung gegen diese könnte die CDU nur unter Einschluss der Linkspartei bilden. Zudem liegen die SPD und das BSW bei nur noch 6 Prozent – mit jeweils sinkender Tendenz.

Verbotsverfahren wäre ein „Entmündigungs-Experiment“

Den Einwand von Juso-Chef Philipp Türmer, dass man auch die NSDAP in den 1930er-Jahren nicht „in Verantwortung nehmen und entzaubern“ konnte, ließ Palmer nicht gelten. Mit Blick auf ein Verbotsverfahren, wie Türmer es gefordert hatte, forderte Tübingens OB, dieses anzustreben, um Klarheit zu erlangen:
„Ich prophezeie Ihnen: Das geht schief, in Karlsruhe. Aber jetzt machen Sie es bitte, damit wir klären, ob der Weg des Verbots überhaupt gangbar ist.“
In einem Gastbeitrag für „BILD“ äußerte Palmer über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren, dieses wäre ein „Entmündigungs-Experiment, dass ich nicht wagen wollte“. Stattdessen müsse es darum gehen, die Millionen Wähler der Partei zurückzugewinnen.
Palmer äußerte in seinem Beitrag, dass es zwar gute Gründe gebe, eine Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ nachzuvollziehen, für ein Verbot reiche es aber „nicht aus, dass eine Partei oberste Verfassungswerte in Zweifel zieht oder ablehnt“. Dafür müsse eine Partei „planvoll die demokratische Grundordnung beseitigen“ wollen. Einen solchen Nachweis habe der Verfassungsschutz jedoch nicht vorlegen können.

Volksverständnis der AfD „Weg in gesellschaftliches Desaster“

Auch das durch zahlreiche Belege untermauerte ethnische Volksverständnis der AfD sei zwar in einem Land, in dem ein Drittel der Kinder einen Migrationshintergrund aufweise, „der sichere Weg in ein gesellschaftliches Desaster“, ein hinreichender Verbotsgrund sei aber auch dieses nicht. Bis zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts in der Regierungszeit von Gerhard Schröder habe der Abstammungsgedanke dort eine tragende Rolle gespielt.
Palmer beanstandet auch, dass der Verfassungsschutz unter seinen Belegen für die völkisch-nationalistische Partei auch Beispiele aufführe, die „dafür nicht taugen und weit über ihre Anhängerschaft auf Unverständnis stoßen“. So sei es potenziell kontraproduktiv, bereits Begriffe wie „Messermänner“ als rassistisch zu werten.
Auch könne die Herstellung einer Verbindung von Herkunft und schweren Straftaten als solche noch nicht rechtsextremistisch sein. Das Problem diesbezüglich sei weniger die „abstoßende“ Sprache der AfD, sondern der Umstand, dass erst nach den Bluttaten von Mannheim, Solingen und Aschaffenburg dieser Zusammenhang anerkannt worden sei.

Schaden Regierungsbeteiligungen rechten Parteien?

Palmer hatte bereits im September des Vorjahres der CDU in Thüringen geraten, die AfD, die als stärkste Kraft aus den Landtagswahlen hervorgegangen war, in die Verantwortung zu nehmen.
Europäische Erfahrungen der jüngeren Zeit zeigen, dass eine Einbindung von Parteien des rechten Randes in Koalitionsregierungen diesen tendenziell eher schadet als nützt. Ein Automatismus besteht diesbezüglich jedoch nicht. In Österreich zerbrachen 2002 und 2019 Bündnisse zwischen ÖVP und FPÖ, wobei die Christdemokraten zumindest kurzfristig davon profitierten und die Rechten einen Absturz in der Wählergunst erlebten.
Auch in den Niederlanden konnte die PVV nicht von einer Einbindung in Regierungsbündnisse profitieren und musste 2012 ebenso wie jüngst Verluste hinnehmen. Demgegenüber konnten sich die Schwedendemokraten, die in Schweden eine Minderheitsregierung tolerieren, in der Wählergunst stabilisieren. Auch in Italien verschoben sich seit den späten 2010er-Jahren lediglich die Gewichte zwischen Lega und Fratelli d’Italia.
Dabei zeigten sich bislang in allen Fällen ähnliche Herausforderungen für rechte Parteien in direkter oder indirekter Regierungsverantwortung. Eine besteht darin, pragmatische Politik zu betreiben, statt wie in der Opposition Fundamentalkritik zu üben. Eine andere liegt darin, ihr Profil nicht einzubüßen – und damit jene Wähler zu verprellen, die radikalere Lösungen erwartet hatten.

Union würde im Fall einer Zusammenarbeit mit der AfD Stimmen einbüßen

Aber auch für CDU und CSU wäre eine mögliche Zusammenarbeit mit der AfD mit hohen Risiken verbunden. Einer Forsa-Befragung vom Oktober zufolge hätten zwar 49 Prozent der Unionswähler keine wesentlichen Einwände gegen ein solches Bündnis, allerdings sagen auch 39 Prozent der befragten bisherigen Wähler, in einem solchen Fall CDU und CSU nicht länger wählen zu wollen.
Nur 12 Prozent der Unionsanhänger sehen demnach in der AfD eine normale demokratische Partei. Hingegen sehen 81 Prozent dort klare rechtsextremistische Tendenzen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte Anfang Mai verkündet, die AfD als gesichert rechtsextremistisch einzustufen. Allerdings hat der Inlandsgeheimdienst wenig später erklärt, diese Einstufung nicht öffentlich zu verkünden, solange von der AfD dagegen angestrengte Gerichtsverfahren anhängig sind.
Reinhard Werner schreibt für Epoch Times zu Wirtschaft, gesellschaftlichen Dynamiken und geopolitischen Fragen. Schwerpunkte liegen dabei auf internationalen Beziehungen, Migration und den ökonomischen Folgen politischer Entscheidungen.

Aktuelle Artikel des Autors

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.